Die Brautfahrt von Joseph von Eichendorff

Durch des Meeresschlosses Hallen
Auf bespültem Felsenhang,
Weht der Hörner festlich Schallen;
Froher Hochzeitgäste Drang,
Bei der Kerzen Zauberglanze,
Wogt im buntverschlungnen Tanze.
 
Aber an des Fensters Bogen,
Ferne von der lauten Pracht,
Schaut der Bräut'gam in die Wogen
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Draußen in der finstern Nacht,
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Und die trunknen Blicke schreiten
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Furchtlos durch die öden Weiten.
 
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»Lieblich«, sprach der wilde Ritter
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Zu der zarten, schönen Braut,
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»Lieblich girrt die sanfte Zither
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Sturm ist meiner Seele Laut,
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Und der Wogen dumpfes Brausen
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Hebt das Herz in kühnem Grausen.
 
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Ich kann hier nicht müßig lauern,
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Treiben auf dem flachen Sand,
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Dieser Kreis von Felsenmauern
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Hält mein Leben nicht umspannt;
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Schönre Länder blühen ferne,
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Das verkünden mir die Sterne.
 
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Du mußt glauben, du mußt wagen,
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Und, den Argonauten gleich,
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Wird die Woge fromm dich tragen
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In das wunderbare Reich;
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Mutig streitend mit den Winden,
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Muß ich meine Heimat finden!
 
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Siebst du, heißer Sehnsucht Flügel,
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Weiße Segel dort gespannt?
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Hörst du tief die feuchten Hügel
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Schlagen an die Felsenwand?
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Das ist Sang zum Hochzeitsreigen
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Willst du mit mir niedersteigen?
 
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Kannst du rechte Liebe fassen,
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Nun so frage, zaudre nicht!
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Schloß und Garten mußt du lassen
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Und der Eltern Angesicht
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Auf der Flut mit mir alleine,
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Da erst, Liebchen, bist du meine!«
 
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Schweigend sieht ihn an die milde
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Braut mit schauerlicher Lust,
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Sinkt dem kühnen Ritterbilde
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Trunken an die stolze Brust:
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»Dir hab ich mein Los ergeben,
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Schalte nun mit meinem Leben.«
 
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Und er trägt die süße Beute
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Jubelnd aus dem Schloß aufs Schiff,
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Drunten harren seine Leute,
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Stoßen froh vom Felsenriff;
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Und die Hörner leis verhallen,
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Einsam rings die Wogen schallen.
 
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Wie die Sterne matter blinken
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In die morgenrote Flut,
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Sieht sie fern die Berge sinken,
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Flammend steigt die hehre Glut,
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Überm Spiegel trunkner Wellen
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Rauschender die Segel schwellen.
 
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Monde steigen und sich neigen,
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Lieblich weht schon fremde Luft,
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Da sehn sie ein Eiland steigen
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Feenhaft aus blauem Duft,
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Wie ein farb'ger Blumenstreifen
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Meerwärts fremde Vögel schweifen.
 
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Alle faßt ein freud'ges Beben
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Aber dunkler rauscht das Meer,
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Schwarze Wetter schwer sich heben,
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Stille wird es ringsumher,
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Und nur freudiger und treuer
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Steht der Ritter an dem Steuer.
 
73 
Und nun flattern wilde Blitze,
74 
Sturm rast um den Felsenriff,
75 
Und von grimmer Wogen Spitze
76 
Stürzt geborsten sich das Schiff.
77 
Schwankend auf des Mastes Splitter,
78 
Schlingt die Braut sich um den Ritter.
 
79 
Und die Müde in den Armen,
80 
Springt er abwärts, sinkt und ringt,
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Hält den Leib, den blühend warmen,
82 
Bis er alle Wogen zwingt,
83 
Und am Blumenstrand gerettet,
84 
Auf das Gras sein Liebstes bettet.
 
85 
»Wache auf, wach auf, du Schöne!
86 
Liebesheimat ringsum lacht,
87 
Zaubrisch ringen Duft und Töne,
88 
Wunderbarer Blumen Pracht
89 
Funkelt rings im Morgengolde
90 
Schau um dich! wach auf, du Holde!«
 
91 
Aber frei von Lust und Kummer
92 
Ruht die liebliche Gestalt,
93 
Lächelnd noch im längsten Schlummer,
94 
Und das Herz ist still und kalt,
95 
Still der Himmel, still im Meere,
96 
Schimmernd rings des Taues Zähre.
 
97 
Und er sinkt zu ihr vor Schmerzen,
98 
Einsam in dem fremden Tal,
99 
Tränen aus dem wilden Herzen
100 
Brechen da zum erstenmal,
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Und vor diesem Todesbilde
102 
Wird die ganze Seele milde.
 
103 
Von der langen Täuschung trennt er
104 
Schauernd sich - der Stolz entweicht,
105 
Andre Heimat nun erkennt er,
106 
Die kein Segel hier erreicht,
107 
Und an echten Schmerzen ranken
108 
Himmelwärts sich die Gedanken.
 
109 
Scharrt die Tote ein in Stille,
110 
Pflanzt ein Kreuz hoch auf ihr Grab,
111 
Wirft von sich die seidne Hülle,
112 
Leget Schwert und Mantel ab,
113 
Kleidet sich in rauhe Felle,
114 
Haut in Fels sich die Kapelle.
 
115 
Überm Rauschen dunkler Wogen
116 
In der wilden Einsamkeit,
117 
Hausend auf dem Felsenbogen,
118 
Ringt er fromm mit seinem Leid,
119 
Hat, da manches Jahr entschwunden,
120 
Heimat, Braut und Ruh gefunden.
 
121 
Viele Schiffe drunten gehen
122 
An dem schönen Inselland,
123 
Sehen hoch das Kreuz noch stehen,
124 
Warnend von der Felsenwand;
125 
Und des strengen Büßers Kunde
126 
Gehet fromm von Mund zu Munde.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (34 KB)

Details zum Gedicht „Die Brautfahrt“

Anzahl Strophen
21
Anzahl Verse
126
Anzahl Wörter
630
Entstehungsjahr
1788 - 1857
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Brautfahrt“ wurde von Joseph von Eichendorff verfasst, einem bedeutenden Vertreter der Romantik. Er lebte von 1788 bis 1857, was das Gedicht zeitlich in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts einordnet.

Beim ersten Lesen fällt auf, dass das Gedicht eine Geschichte erzählt, was für lyrische Texte eher ungewöhnlich ist. Es handelt von einem Bräutigam und seiner Braut, die gemeinsam eine Reise ins Unbekannte auf sich nehmen. Der Bräutigam ist unzufrieden mit seinem derzeitigen Leben und sehnt sich nach Abenteuer und Veränderung. Er überzeugt seine Braut, ihn auf dieser Reise zu begleiten und ihre vertraute Heimat zu verlassen. Sie segeln zum Meer hinaus, doch das Schiff gerät in einen Sturm und zerbricht. Der Bräutigam rettet seine Braut an Land, aber sie überlebt nicht. Er begräbt sie und lebt fortan als Einsiedler auf der Insel.

Die zentrale Aussage des Gedichts scheint ein Warnruf vor impulsiven Entscheidungen und unüberlegtem Streben nach Freiheit und Abenteuer zu sein, die möglicherweise zu tragischen Konsequenzen führen können. Der Bräutigam ist ursprünglich durch Kräfte wie Sehnsucht und Unzufriedenheit getrieben, aber sein Wahnsinn brachte letzten Endes den Tod seiner geliebten Braut.

Die Form des Gedichts folgt dem Muster eines erzählenden Gedichts. Mit insgesamt 21 Strophen und 126 Versen ist es sehr umfangreich. Jede Strophe besteht aus 6 Versen. In Bezug auf den Versfuß lässt sich vermuten, dass es sich bei dem Gedicht um einen jambischen Pentameter handelt. Jeder Vers endet reimschematisch abwechselnd mit männlicher und weiblicher Kadenz, was den Fluss der Erzählung unterstützt.

Die Sprache von Eichendorff ist klar und dennoch schön bildhaft, Geist der Romantik spiegelt sich in der ausgiebigen Verwendung von Natur- und Witterungssymbolik wider. An mehreren Stellen verwendet er auch antike Referenzen, wie beispielsweise die Argonauten in Vers 26, die seine Sehnsucht nach abenteuerlicher Freiheit und Heldentum unterstreichen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass „Die Brautfahrt“ ein typisches Werk der Romantik ist, das die Spannung zwischen Sehnsucht und Realität, Abenteuer und Sicherheit, Freiheit und Bindung schildert und damit den Leser sowohl emotional anspricht als auch zum Nachdenken anregt.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Die Brautfahrt“ ist Joseph von Eichendorff. Geboren wurde Eichendorff im Jahr 1788 . Im Zeitraum zwischen 1804 und 1857 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Romantik zu. Eichendorff ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Der Romantik vorausgegangen waren die Epochen der Weimarer Klassik und der Aufklärung. Die Literaturepoche der Romantik ist zeitlich vom Ende des 18. Jahrhunderts bis weit in das 19. Jahrhundert hinein einzuordnen. Besonders auf den Gebieten der bildenden Kunst, der Musik und der Literatur hatte diese Epoche Auswirkungen. Bis in das Jahr 1804 hinein spricht man in der Literatur von der Frühromantik, bis 1815 von der Hochromantik und bis 1848 von der Spätromantik. Die Epoche der Romantik entstand in Folge politischer Krisen und gesellschaftlicher Umbrüche. In ganz Europa fand ein Übergang von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft statt. Gleichermaßen bildete sich ein bürgerliches Selbstbewusstsein heraus. Technologischer Fortschritt und Industrialisierung sind prägend für diese Zeit. Die zentralen Motive der Literatur der Romantik sind das Schaurige, Leidenschaftliche, Unterbewusste, Fantastische, Individuelle, Gefühlvolle und Abenteuerliche, welche die Grenzen des Verstandes sprengen und erweitern sollen und sich gegen das bloße Nützlichkeitsdenken sowie die Industrialisierung richten. Die Schriftsteller der Romantik sehnen sich nach der Einheit von Natur und Geist. Ein Hinwenden zum Mittelalter ist erkennbar. So werden Kunst und Architektur dieser vergangenen Zeit geschätzt. Die Missstände des Mittelalters bleiben jedoch unerwähnt. Die äußere Form von romantischer Dichtung ist völlig offen. Kein starres Schema grenzt die Literatur ein. Dies steht ganz im Gegensatz zu den strengen Normen der Klassik. In der Romantik entstehen erstmals Sammlungen so genannter Volkspoesie. Bekannte Beispiele dafür sind Grimms Märchen und die Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn. Doch bereits direkt nach Erscheinen der Werke wurde die literarische Bearbeitung (Schönung) durch die Autoren kritisiert, die damit ihre Rolle als Chronisten weit hinter sich ließen.

Das Gedicht besteht aus 126 Versen mit insgesamt 21 Strophen und umfasst dabei 630 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Joseph von Eichendorff sind „Abschied“, „Antwort“ und „Auch ein Gedicht?“. Zum Autor des Gedichtes „Die Brautfahrt“ haben wir auf abi-pur.de weitere 395 Gedichte veröffentlicht.

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