Vom heiligen Eremiten Wilhelm von Joseph von Eichendorff

Von Jerusalem die Warten
Lagen schon in rotem Duft,
Stand der Patriarch im Garten,
Glockenklang ging durch die Luft.
 
Kommt ein Pilger da gezogen,
Tritt zu ihm im Abendrot,
Bleich, von strupp'gem Haar umflogen,
Bettelt um ein Stücklein Brot.
 
»Kommst aus Frankreich, frommer Pilger,
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Hör der Heimat Laut so gern!
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Kennst du dort den Grafen Wilhelm,
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Meinen vor'gen Landesherrn?«
 
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»Kenn ihn wohl, er hat geschrieben
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Feur'ge Schrift mit blut'ger Hand,
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Hat aus Frankreich dich vertrieben,
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Und dein Kloster liegt verbrannt.«
 
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»Gott im Himmel, sollt dich kennen,
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Wie du so den Blick gewandt,
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Bist Graf Wilhelm der Ardennen -«
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»Also ward ich sonst genannt.«
 
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»O mein lieber Herr, am Grabe
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Stehen beid als Sünder wir
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Haus und Garten, was ich habe,
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Nehmt es hin und rastet hier!«
 
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»Bet für mich, ich darf nicht rasten,
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Denn ohn Rasten geht die Zeit,
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Hart mit Geißeln, Wachen, Fasten
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Lieg ich mit der Höll in Streit.
 
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Kron und Land ließ ich den Erben
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Muß mit stürmender Gewalt
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Mir ein andres Reich erwerben.«
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Und so schritt er fort zum Wald.
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Vom heiligen Eremiten Wilhelm“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
32
Anzahl Wörter
174
Entstehungsjahr
1788 - 1857
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Dieses Gedicht wurde von Joseph von Eichendorff verfasst, einem deutschen Dichter und Schriftsteller der Romantik, der zwischen 1788 und 1857 lebte.

Beim ersten Durchlesen mag die melancholische und spirituelle Atmosphäre sowie die dramatische Spannung zwischen den Figuren auffallen. Die Worte bauen eine Geschichte auf, über eine Begegnung zwischen einem Pilger und einem Patriarchen in Jerusalem, dessen Stimmung sich verändert, als er erkennt, dass der Pilger Graf Wilhelm ist, ein ehemaliger Feind.

Im Inhalt geht es um das aufregende Aufeinandertreffen des Patriarchen und des Pilgers, der sich als Graf Wilhelm entpuppt, der Verursacher von Leid und Zerstörung in der Vergangenheit des Patriarchen. Doch der Pilger-Graf ist nun ein reuiger Sünder auf einer spirituellen Reise. Der Patriarch bietet Großzügigkeit und Vergebung an, doch der Graf lehnt ab, da er glaubt, dass er sein Heil selbst erwerben muss.

Die Form des Gedichts besteht aus acht Strophen zu je vier Versen. Das regelmäßige metrische Muster und der beständige Reimquadrat dient dazu, die Begegnung zwischen dem Patriarchen und dem Pilger hervorzuheben und einen Rahmen für ihre Geschichte zu schaffen.

Die Sprache des Gedichts ist klar und direkte, und sie verwendet bildliche Ausdrücke („roter Duft“, „feurige Schrift“) um die Stimmung und Atmosphäre zu vermitteln. Darüber hinaus wird eine aufregende Liste von Hauptfiguren und Handlungen durch eine effektive Kombination von Beschreibungen und direkter Rede erstellt. Es finden sich Merkmale von Eichendorffs Romantik, insbesondere seine Neigung, Natur, Religion und die innere Reise des Einzelnen zu thematisieren.

Insgesamt interpretiert dieses Gedicht das Thema der spirituellen Reise und der Möglichkeit von Vergebung und Erlösung durch Glaube und Buße auf raffinierte Weise, wie es für die Zeit der Romantik typisch ist. Der Kontrast zwischen der heiligen Stadt Jerusalem und dem sündhaften Graf Wilhelm unterstreicht diesen Prozess.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Vom heiligen Eremiten Wilhelm“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Joseph von Eichendorff. Im Jahr 1788 wurde Eichendorff geboren. Zwischen den Jahren 1804 und 1857 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Romantik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Eichendorff ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik ist eine kulturgeschichtliche Epoche, die vom Ende des 18. Jahrhunderts bis weit in das 19. Jahrhundert hinein dauerte und sich insbesondere auf den Gebieten der bildenden Kunst, der Literatur und der Musik äußerte. Auch die Gebiete Geschichte, Theologie und Philosophie sowie Medizin und Naturwissenschaften waren von ihren Auswirkungen betroffen. Die Literaturepoche wird in Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848) unterschieden. Die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts galt im Allgemeinen als wissenschaftlich und aufstrebend, was hier vor allem durch die einsetzende Industrialisierung deutlich wird. Die Gesellschaft wurde zunehmend technischer, fortschrittlicher und wissenschaftlicher. Diese Entwicklung war den Schriftstellern der Romantik zuwider. Sie stellten sich in ihren Schriften gegen das Streben nach immer mehr Gewinn, Fortschritt und das Nützlichkeitsdenken, das versuchte, alles zu verwerten. Als Merkmale der Romantik sind die Weltflucht, die Verklärung des Mittelalters, die Hinwendung zur Natur, die Betonung subjektiver Gefühle und des Individuums, der Rückzug in Fantasie- und Traumwelten oder die Faszination des Unheimlichen aufzuführen. Wichtige Symbole sind die Blaue Blume oder das Spiegel- und Nachtmotiv. Strebte die Klassik nach harmonischer Vollendung und Klarheit der Gedanken, so ist die Romantik von einer an den Barock erinnernden Maß- und Regellosigkeit geprägt. Die Romantik begreift die schöpferische Phantasie des Künstlers als unbegrenzt. Zwar baut sie dabei auf die Errungenschaften der Klassik auf. Deren Ziele und Regeln möchte sie aber hinter sich lassen.

Das Gedicht besteht aus 32 Versen mit insgesamt 8 Strophen und umfasst dabei 174 Worte. Joseph von Eichendorff ist auch der Autor für Gedichte wie „Auch ein Gedicht?“, „Der Isegrimm“ und „Der verliebte Reisende“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Vom heiligen Eremiten Wilhelm“ weitere 395 Gedichte vor.

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