Der Reitersmann von Joseph von Eichendorff

Hoch über den stillen Höhen
Stand in dem Wald ein Haus,
Dort war's so einsam zu sehen
Weit übern Wald hinaus.
 
Drin saß ein Mädchen am Rocken
Den ganzen Abend lang,
Der wurden die Augen nicht trocken,
Sie spann und sann und sang:
 
»Mein Liebster, der war ein Reiter,
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Dem schwur ich Treu bis in Tod,
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Der zog über Land und weiter,
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Zu Krieges Lust und Not.
 
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Und als ein Jahr war vergangen,
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Und wieder blühte das Land,
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Da stand ich voller Verlangen
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Hoch an des Waldes Rand.
 
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Und zwischen den Bergesbogen,
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Wohl über den grünen Plan,
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Kam mancher Reiter gezogen,
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Der meine kam nicht mit an.
 
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Und zwischen den Bergesbogen,
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Wohl über den grünen Plan,
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Ein Jägersmann kam geflogen,
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Der sah mich so mutig an.
 
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So lieblich die Sonne schiene,
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Das Waldhorn scholl weit und breit,
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Da führt' er mich in das Grüne,
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Das war eine schöne Zeit!
 
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Der hat so lieblich gelogen
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Mich aus der Treue heraus,
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Der Falsche hat mich betrogen,
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Zog weit in die Welt hinaus.«
 
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Sie konnte nicht weitersingen,
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Vor bitterem Schmerz und Leid,
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Die Augen ihr übergingen
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In ihrer Einsamkeit.
 
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Die Muhme, die saß beim Feuer
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Und wärmte sich am Kamin,
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Es flackert' und sprüht' das Feuer
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Hell über die Stube es schien.
 
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Sie sprach: »Ein Kränzlein in Haaren,
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Das stünde dir heut gar schön,
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Willst draußen auf dem See nicht fahren?
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Hohe Blumen am Ufer dort stehn.«
 
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»Ich kann nicht holen die Blumen,
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Im Hemdlein weiß am Teich
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Ein Mädchen hütet die Blumen,
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Die sieht so totenbleich.«
 
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»Und hoch auf des Sees Weite,
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Wenn alles finster und still,
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Da rudern zwei stille Leute,
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Der eine dich haben will.«
 
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»Sie schauen wie alte Bekannte,
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Still, ewig stille sie sind.
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Doch einmal der eine sich wandte,
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Da faßt' mich ein eiskalter Wind.
 
57 
Mir ist zu wehe zum Weinen
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Die Uhr so gleichförmig pickt,
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Das Rädlein, das schnurrt so in einem,
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Mir ist, als wär ich verrückt.
 
61 
Ach Gott! wann wird sich doch röten
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Die fröhliche Morgenstund!
63 
Ich möchte hinausgehn und beten,
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Und beten aus Herzensgrund!
 
65 
So bleich schon werden die Sterne,
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Es rührt sich stärker der Wald,
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Schon krähen die Hähne von ferne,
68 
Mich friert, es wird so kalt!
 
69 
Ach, Muhme! was ist Euch geschehen?
70 
Die Nase wird Euch so lang,
71 
Die Augen sich seltsam verdrehen
72 
Wie wird mir vor Euch so bang!«
 
73 
Und wie sie so grauenvoll klagte,
74 
Klopft's draußen ans Fensterlein,
75 
Ein Mann aus der Finsternis ragte,
76 
Schaut' still in die Stube herein.
 
77 
Die Haare wild umgehangen,
78 
Von blutigen Tropfen naß.
79 
Zwei blutige Streifen sich schlangen,
80 
Wie Kränzlein, ums Antlitz blaß.
 
81 
Er grüßt' sie so fürchterlich heiter,
82 
Seine Braut wohl heißet er sie,
83 
Da kannt sie mit Schaudern den Reiter,
84 
Fällt nieder auf ihre Knie.
 
85 
Er zielt' mit dem Rohre durchs Gitter
86 
Auf die schneeweiße Brust hin;
87 
»Ach, wie ist das Sterben so bitter,
88 
Erbarm dich, weil ich so jung noch bin!«
 
89 
Stumm blieb sein steinerner Wille,
90 
Es blitzte so rosenrot,
91 
Da wurd es auf einmal stille
92 
Im Walde und Haus und Hof.
 
93 
Frühmorgens da lag so schaurig
94 
Verfallen im Walde das Haus,
95 
Ein Waldvöglein sang so traurig,
96 
Flog fort über den See hinaus.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (32.5 KB)

Details zum Gedicht „Der Reitersmann“

Anzahl Strophen
24
Anzahl Verse
96
Anzahl Wörter
521
Entstehungsjahr
1788 - 1857
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der Reitersmann“ wurde von Joseph von Eichendorff verfasst. Eichendorff war einer der bekanntesten deutschen Lyriker und Prosaautoren des 19. Jahrhunderts, dessen Werke zu den Hauptvertretern der Spätromantik zählen, sodass dieses Gedicht zeitlich in eben diese Epoche einzuordnen ist.

Bei einem ersten Lesen erzeugt das Gedicht einen starken Eindruck von Einsamkeit, Verlust und Enttäuschung. Es scheint einen melancholischen und tragischen Ton zu haben, insbesondere durch die Kette unglücklicher Ereignisse, die der lyrische Sprecher erlebt.

Der Inhalt des Gedichts beschreibt die Erlebnisse und Gefühle einer jungen Frau, die in einem abgelegenen Haus lebt. Sie schwur Treue zu ihrem Geliebten, einem Reiter, der fortzog in den Krieg. Als er nicht zurückkehrt, keimt in ihr Hoffnung auf als andere Reiter ins Dorf zurückkehren, jedoch umsonst. Sie verliebt sich in einen Mann, der sie schließlich betrügt und ebenfalls fortzieht. Das lyrische Ich erlebt tragische Ereignisse die sie in Einsamkeit und Trauer stürzen – bis zum Ende, als sie von einem schaurigen Reiter durch das Fenster hindurch angeschossen wird und stirbt.

In der formalen Analyse fallen vor allem die Regelmäßigkeit der Versstrukturen auf: jede Strophe enthält vier Zeilen, was dem Gedicht einen stark rhythmischen Charakter verleiht. Die Wiederholungen und die konsequente Verwendung der Vierzeiler-Strophe erzeugen eine Intensität und Steigerung, die bis zum tragischen Höhepunkt anhält.

Des Weiteren ist die Sprache des Gedichts gekennzeichnet durch ihre bildhafte Darstellung und ihre Emotionalität. Es gibt viele Beschreibungen der Umgebung, die dazu dienen, eine düstere und melancholische Atmosphäre zu schaffen. Dabei wird die Natur häufig als Spiegel des Seelenzustands des lyrischen Ichs genutzt. Auch der Einsatz von direkter Rede und inneren Monologen erhöht die Emotionalität und Gedankenwelt der Protagonistin wird ausführlich dargestellt.

Insgesamt zeigt „Der Reitersmann“ die charakteristischen Merkmale der Spätromantik: die Einsamkeit, die Sehnsucht, die Naturverbundenheit und das Tragische. Es spiegelt die tiefe Gefühlswelt und den inneren Konflikt der Protagonistin wider und ist damit ein typisches Beispiel für Eichendorffs Dichtkunst.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Der Reitersmann“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Joseph von Eichendorff. Im Jahr 1788 wurde Eichendorff geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1804 bis 1857 entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Romantik zuordnen. Der Schriftsteller Eichendorff ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Als Romantik wird die Epoche der Kunstgeschichte bezeichnet, deren Ausprägungen sich sowohl in der Literatur, Kunst und Musik als auch in der Philosophie niederschlugen. Die Epoche der Romantik lässt sich vom Ende des 18. Jahrhunderts bis ins späte 19. Jahrhundert verorten. Die literarische Romantik kann darauf aufbauend etwa auf die Jahre 1795 bis 1848 datiert werden. Die Literatur der Romantik (ca. 1795–1848) lässt sich in Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848) aufgliedern. Zu großen gesellschaftlichen Umbrüchen führte die Industrialisierung. Die neue Maschinenwelt förderte Verstädterung und Landflucht. Die zuvor empfundene Geborgenheit war für die Lyriker der Romantik in Auflösung begriffen. Als Merkmale der Literatur der Romantik sind die Weltflucht, die Verklärung des Mittelalters, die Hinwendung zur Natur, die Betonung subjektiver Gefühle und des Individuums, der Rückzug in Fantasie- und Traumwelten oder die Faszination des Unheimlichen aufzuführen. Bedeutende Symbole der Romantik sind die Blaue Blume oder das Spiegel- und Nachtmotiv. Die äußere Form von romantischer Dichtung ist völlig offen. Kein starres Schema grenzt die Literatur ein. Dies steht ganz im Gegensatz zu den strengen Normen der Klassik. In der Romantik entstehen erstmals Sammlungen so genannter Volkspoesie. Bekannte Beispiele dafür sind Grimms Märchen und die Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn. Doch bereits unmittelbar nach Erscheinen der Werke wurde die literarische Bearbeitung (Schönung) durch die Autoren kritisiert, die damit ihre Rolle als Chronisten weit hinter sich ließen.

Das Gedicht besteht aus 96 Versen mit insgesamt 24 Strophen und umfasst dabei 521 Worte. Weitere Werke des Dichters Joseph von Eichendorff sind „Der verliebte Reisende“, „Die Heimat“ und „In Danzig“. Zum Autor des Gedichtes „Der Reitersmann“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 395 Gedichte vor.

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