Beschluß und Erinnerung von Kurt Tucholsky

Bei allem, was ich tu und treibe,
denk ich an eine starke Hand;
die lenkt mich heut noch, wenn ich schreibe,
ob auch der Freund uns jäh entschwand.
Der Freund – ich nannt ihn dann und wann:
den kleinen Mann.
 
Er war uns viel.
Der wollt nicht dämpfen,
er packte wuchtig seine Zeit.
10 
In Lärm und Streit und lauten Kämpfen;
11 
ein Blick - wir wußten gleich Bescheid.
12 
Und kämpf ich heut - wie fehlt mit dann
13 
der kleine Mann!
 
14 
Er hat uns vieles hinterlassen:
15 
den Dienst am Werk und Schuld und Pflicht.
16 
Ich will im Lieben und im Hassen
17 
so tun wie er - stets kann ichs nicht.
18 
Ich hab mich oft in Zweifeln still gefragt:
19 
„Was hätte wohl S. J. dazu gesagt -?“
 
20 
In seinem Sinn will ich mir Mühe geben:
21 
die Wahrheit an das helle Taglicht heben -
22 
aus Liebe streiten - in der Stille leben …
23 
Das sieht von oben freundlich lächelnd an
24 
der kleine Mann.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.8 KB)

Details zum Gedicht „Beschluß und Erinnerung“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
157
Entstehungsjahr
1929
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Beschluss und Erinnerung“ wurde von Kurt Tucholsky, einem deutschen Journalisten und Schriftsteller, verfasst, der vom 9. Januar 1890 bis zum 21. Dezember 1935 lebte. Tucholsky wird hauptsächlich der Weimarer Republik zugeordnet, einer Periode der deutschen Geschichte von 1919 bis 1933, die von kultureller Blüte, politischer Instabilität und wirtschaftlichen Herausforderungen gekennzeichnet war.

Auf den ersten Blick scheint das Gedicht eine Reflektion des lyrischen Ichs auf den Einfluss einer bestimmten Person, den „kleinen Mann“, auf sein Leben zu sein.

Inhaltlich beschreibt das lyrische Ich seine Einstellung und Aktionen, die von der Präsenz eines Freundes oder Mentors, den er den „kleinen Mann“ nennt, beeinflusst werden. Dieser Freund scheint eine starke Hand zu haben, die das lyrische Ich in seinen Aktionen leitet und ihm sogar nach seinem Verschwinden oder Tod noch beeinflusst. Er wird als eine wichtige, aktive und kämpferische Figur dargestellt, deren Fehlen bemerkt und betrauert wird. Das lyrische Ich strebt danach, diesem Freund in seinem Lieben, Hassen und seinem Verhalten gegenüber der Wahrheit gerecht zu werden - auch wenn es zugeben muss, dass es dies nicht immer kann. Es stellt sich häufig vor, was dieser Freund zu bestimmten Situationen sagen würde und lebt in dem Wunsch, diesem Freund gerecht zu werden, der es immer noch aus dem Himmel betrachtet.

In Bezug auf die Form des Gedichts, es besteht aus vier Strophen mit unterschiedlicher Länge und verfügt über ein relativ einfaches Versmaß. Das Gedicht verwendet keine speziellen Reim- oder Rhythmusmuster, was den Fokus auf den Inhalt sowie das Gefühl der persönlichen Reflexion und Intimität erhöht.

Sprachlich gesehen ist das Gedicht in einem direkten und unverschnörkelten Stil verfasst. Die Sprache ist einfach und der Ausdruck ist klar, was zur Emotion und Aufrichtigkeit der Botschaft des Gedichts beiträgt. Es werden keine ausgefallenen oder komplizierten Wörter oder Phrasen verwendet, und die Botschaft des lyrischen Ichs ist leicht zu verstehen.

Zusammenfassend liefert Tucholsky mit „Beschluss und Erinnerung“ ein introspektives und emotionales Gedicht, das die Rolle eines Freundes oder Mentors im Leben und im Lernprozess des lyrischen Ichs hervorhebt, indem es die Kraft der Erinnerung und die fortwährende Präsenz eines geliebten Menschen, selbst nach dem Tod, betont.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Beschluß und Erinnerung“ des Autors Kurt Tucholsky. 1890 wurde Tucholsky in Berlin geboren. 1929 ist das Gedicht entstanden. Erschienen ist der Text in Berlin. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zu. Der Schriftsteller Tucholsky ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Inhaltlich wurden in der Literatur der Weimarer Republik häufig die Ereignisse des Ersten Weltkriegs verarbeitet. Die geschichtlichen Einflüsse des Ersten Weltkrieges und der späteren Weimarer Republik sind die prägenden Faktoren dieser Epoche. Neue Sachlichkeit ist eine Richtung der Literatur der Weimarer Republik. In den ihr zugerechneten Werken ist die zwischen den Weltkriegen hervortretende Tendenz zu illusionslos-nüchterner Darstellung von Gesellschaft, Erotik, Technik und Weltwirtschaftskrise deutlich erkennbar. Dies kann man als Reaktion auf den literarischen Expressionismus werten. Die Dichter orientierten sich an der Realität. Die Handlung wurde meist nur kühl und distanziert beobachtet. Man schrieb ein Minimum an Sprache, dafür hatte diese ein Maximum an Bedeutung. Es sollten so viele Menschen wie möglich mit den Texten erreicht werden, deshalb wurde eine einfache sowie nüchterne Alltagssprache verwendet. Viele Schriftsteller litten unter der Zensur in der Weimarer Republik. Im Jahr 1922 wurde nach einem Attentat auf den Reichsaußenminister das Republikschutzgesetz erlassen, das die zunächst verfassungsmäßig garantierte Freiheit von Wort und Schrift in der Weimarer Republik deutlich einschränkte. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die zum Beispiel in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz setze den Schriftstellern dieser Zeit noch mal verstärkt Grenzen. 1931 trat die Pressenotverordnung in Kraft, dadurch waren die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate hinweg möglich geworden.

Als Exilliteratur wird die Literatur von Schriftstellern bezeichnet, die unfreiwillig Zuflucht im Ausland suchen müssen, weil ihre Person oder ihr Werk im Heimatland bedroht sind. Für die Flucht ins Exil geben meist politische oder religiöse Gründe den Ausschlag. Die deutsche Exilliteratur entstand in den Jahren von 1933 bis 1945 als Literatur der Gegner des Nationalsozialismus. Dabei spielten zum Beispiel die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 und der deutsche Überfall auf die Nachbarstaaten Deutschlands 1938/39 eine ausschlaggebende Rolle. Die Exilliteratur der Literaturgeschichte Deutschlands bildet eine eigene Literaturepoche und folgt auf die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik. Die Themen der deutschen Exilliteratur lassen sich zunächst in zwei Gruppen einteilen. Einige Schriftsteller fühlten sich in ihrer neuen Heimat nicht zu Hause, hatten Heimweh und wollten einfach in ihr altes Leben vor dem Nationalsozialismus zurückkehren. Oftmals konnten sie im Ausland nicht mehr ihrer Tätigkeit als Schriftsteller nachgehen, da sie nur in Deutsch schreiben konnten, was im Ausland niemand verstand. Heimweh und ihre Liebe zum Mutterland sind die Themen in ihren Werken. Die anderen Schriftsteller wollten sich gegen Nazideutschland wehren. Man wollte einerseits die Welt über die Grausamkeiten in Deutschland aufklären. Andererseits aber auch den Widerstand unterstützen. Anders als andere Literaturepochen, die zum Beispiel bei der formalen Gestaltung (also in Sachen Metrum, Reimschema oder dem Gebrauch bestimmter rhetorischer Mittel) ganz charakteristische Merkmale aufweisen, ist die Exilliteratur nicht durch bestimmte formale Merkmale gekennzeichnet. Allerdings gab es einige neue Gattungen, die in dieser Literaturepoche geboren wurden. Das epische Theater von Bertolt Brecht oder auch die historischen Romane waren neue literarische Textsorten. Aber auch Flugblätter und Radioreden der Widerstandsbewegung sind hierbei als neue Textsorten zu erwähnen. Oftmals wurden die Texte auch getarnt, so dass sie trotz Zensur nach Deutschland gebracht werden konnten. Dies waren dann die sogenannten Tarnschriften.

Das Gedicht besteht aus 24 Versen mit insgesamt 4 Strophen und umfasst dabei 157 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Kurt Tucholsky sind „An die Meinige“, „An einen garnisondienstfähigen Dichter“ und „An ihren Papa“. Zum Autor des Gedichtes „Beschluß und Erinnerung“ haben wir auf abi-pur.de weitere 136 Gedichte veröffentlicht.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Kurt Tucholsky

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Kurt Tucholsky und seinem Gedicht „Beschluß und Erinnerung“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Kurt Tucholsky (Infos zum Autor)

Zum Autor Kurt Tucholsky sind auf abi-pur.de 136 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.