Der Tag von Hemmingstedt von Theodor Fontane

Denk an den Tag von Hemmingstedt,
Wo siebentausend abgemäht!
Schläft Ditmars Vater unterm Sand,
 
Ist Ditmars Sohn noch bei der Hand.
 
Und über Johann von Dänemark kam seine finstre
Stunde
Er murmelt: »Es brennt im Herzen mir die alte
Ditmarsenwunde!
Beim Himmel, es soll nicht Messer, nicht Scher' mir
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Bart noch Haupthaar stutzen
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Bis daß ich wieder ins Joch gebeugt dies bauernstolze
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Trutzen.«
 
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Und Boten sendet er in die Marsch, die künden
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allerwegen:
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»Drei Schlösser will unser König und Herr in eure
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Lande legen
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Nach Meldorf eins, an den Elbstrom eins und das
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dritt' an die Lundner Fähre«
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Es brachte da Zornes viel ins Land die königliche
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Märe.
 
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Und von den Bauern Wolf Isebrand, der sprach: »Er
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mag nur kommen!
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Wir haben aus keines Königs Hand dies Land zu
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Lehn genommen,
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Wir sind zudem vom Aufrechtgehn versteift in unsern
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Hälsen,
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Und wer seine Schlösser auf Marschgrund baut, der
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baut sie nicht auf Felsen.
 
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Dies Land ist unser, wir haben's im Kampf der
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Sturmflut abgerungen,
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Wir bangen vor keines Königs Zorn, wir, die wir das
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Meer bezwungen,
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Unser altes Recht, unser alter Mut - so w erden wir
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nicht zu Schanden;
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Noch lebt der Gott, der bei Bornhövd auf unsrer Seite
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gestanden.«
 
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Da gingen die Boten. Bei Rendsburg war's, wo sie
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den König trafen,
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Der lagerte da, drei Nächte schon, samt seinen
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Fürsten und Grafen,
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Es stieß dazu viel kriegerisch Volk von Jütland und
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von Fühnen,
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All' wollten sie brechen den Bauernstolz und die
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Schmach des Königs sühnen.
 
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Von Deutschland auch viel edele Herrn hernieder ins
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Lager kamen:
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Zwei junge Grafen von Oldenburg, Adolf und Otto
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mit Namen,
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Mit ihnen zugleich manch Holsten-Geschlecht um den
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Danebrog sich scharte:
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Fünf Rantzaus, sieben von Ahlefeld und vierzehn
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Wackerbarte.
 
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Und Söldner auch; - Gesindel war's aus Rheinland,
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Franken und Sachsen,
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All' hatten sich längst, durch Mord und Brand, in die
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Schlinge hineingewachsen.
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Die ?sächsische Garde« hieß man sie, wohl auch die
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»schwarze Bande«,
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Verheerend, wie der schwarze Tod, zogen sie durch
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die Lande.
 
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Ihr Führer aber war der Junker Slenz, der maß sechs
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rheinische Schuhe,
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Heut brach er am Wege die Schlösser ab und morgen
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an der Truhe,
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In Flechten hing sein flachsenes Haar wie Stricke
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herab, zum Würgen,
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Er hatte zwei Feuerräder im Kopf und hieß - der lange
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Jürgen.
 
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Und Jürgen Slenz, an der Seite Johanns, vorauf die
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gepanzerten Glieder,
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So führt er heut, unter schmetterndem Klang, das
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Heer in die Marsch hernieder,
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Zwölftausend sind's, schon dringen sie vor auf der
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Marschen getrocknetem Schlamme
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Um Rache schreit in die Nacht hinein brennender
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Dörfer Flamme.
 
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Die Bauern aber, kaum tausend Mann, zogen sich
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rasch zurücke,
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Bis daß sie kamen, um Mitternacht, an die
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Hemmingstedter Brücke,
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Sie fanden da Wall und Graben noch aus der Zeit der
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alten Sassen,
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Und es sprach Wolf Isebrand: »Hier sei's, hier wollen
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wir auf sie passen!«
 
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Man hielt. Nur einer murmelte bang: »Das mög' unser
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Heiland nicht wollen,
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Wir sind hier am Tausend-Teufels-Wall, wo die
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Moorelfen tanzen und tollen,
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Mit den Flammenbüscheln das Irrlichtvolk, es haust
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hier unterm Rasen,
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Und bei Vollmond kommt das Feuerpferd, um die
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Büschel abzugrasen. «
 
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Da stutzten die andern; Wolf aber rief: »Was Irrlicht
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und was Elfen,
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Wenn droben der Himmel mit uns ist, muß auch die
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Hölle helfen.
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Die Nacht ist schwarz, wir brauchen Licht, laßt's nur
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da unten flimmern,
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Wir wollen ein christlich Bollwerk hier trotzdem
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zusammenzimmern.«
 
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Da griffen sie freudig nach Spaten und Axt, vorbei
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war Murren und Stutzen,
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Sie schleppten das Brückengebälk herbei, als
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Pfahlwerk es zu nutzen,
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Sie füllten und stopften, mit Moor und Schlamm, des
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alten Erdwalls Lücken
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Und warfen zuletzt ihm Rasen und Sand, drei Fuß
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hoch, auf den Rücken.
 
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So kam der Tag, und mit ihm kam, goldblinkend, die
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sächsische Garde,
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Hell spiegelte sich der Morgenstrahl auf Harnisch und
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Hellebarde,
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Die trotzige Schar, rasch rückte sie vor, gegliedert
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und dicht geschlossen,
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Nicht kümmerte sie der Hagelgruß von Steinen und
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Wurfgeschossen.
 
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Jetzt war sie heran, zwischen ihr und dem Wall war
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nur noch des Grabens Quere,
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Da schnürten die Vordersten schnell in eins je zwölf
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ihrer kantigen Speere,
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Sie warfen wie Balken querüber dann die Bündel aus
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Speer und Lanze,
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Und über die fliegende Brücke hinweg wollten sie
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gegen die Schanze.
 
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Umsonst; man stieß sie rücklings hinab - es fehlte das
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Brückengelände -,
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Da nahmen die Folgenden, springstockgleich, ihren
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Speerschaft in die Hände,
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Sie setzten ihn auf, und war es mißglückt, im
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Sturmschritt vorzudringen,
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So sollte nun Sprung- und Hebelkraft im Flug sie
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hinüber-schwingen.
 
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Umsonst auch das; sie sprangen zu kurz; wer dennoch
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das Ufer erklettert,
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Der ward, unter wildem Freudengeschrei, von den
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Bauern zu Boden geschmettert,
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Dumpf dröhnte die Axt - bis plötzlich jetzt die
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Freudenrufe verklangen,
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Wolf Isebrand murmelte vor sich hin: »Hilf Himmel,
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wir sind umgangen! «
 
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So war's. Zu schwanken begann der Kampf, immer
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mächtiger wurden die Dränger,
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Da trat Gott selbst für die Schwachen ein und rief:
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»Ich will es nicht länger! «
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Und er schickte die Flut, die stieg am Strand bis hoch
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an die Schleusenpforte
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Und rüttelte dran und rief: »Macht auf! da drinnen bin
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ich am Orte.«
 
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Die Wächter am Strande zögerten noch, da sieh, unter
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Schäumen und Kochen,
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Die Hilfe Gottes kam mit Gewalt! - wurde die
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Schleuse zerbrochen,
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Schon über die Felder von Hemmingstedt hinbrausten
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Wogen und Wetter,
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Das Meer, der Marsen alter Feind, heut kommt es als
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ihr Retter.
 
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Sie nahmen jetzt wieder festen Stand hinterm
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Tausend - Teufels - Walle,
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Da waren sie sicher vor der Flut und behielten den
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Feind in der Falle,
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Der wandte sich rechts und wandte sich links, doch
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der Tod war immer zur Stelle,
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Wer floh, den faßte die Marsenfaust, wer stand, den
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faßte die Welle.
 
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Nur Jürgen Slenz, der ritt an den Wall, als wäre noch
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nichts verloren,
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Ein stieß er tief, zum Sprunge bergan, seinem
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friesischen Hengste die Sporen;
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Jetzt war er hinauf - er schaute sich um, wie wohl in
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besseren Tagen,
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Und rief: »Wer ein Herz im Leibe hat, der mag es mit
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mir wagen! «
 
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Das hörte der Reimer von Wimerstedt, der hatte Lust
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zum Streite,
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Er sprang heran und schlug mit der Axt den Speer des
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Junkers zur Seite,
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Er holte dann aus, einen vollen Hieb auf die stählerne
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Brust zu führen,
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Und - fest im Panzer stak die Axt, tät sich nicht
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rücken, nicht rühren.
 
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Der Hieb war gut, doch unversehrt waren des Jürgen
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Glieder,
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Da riß der Reimer und wuchtete traun am Axtstiel ihn
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hernieder,
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Er trat ihm dann, fünf Finger breit, das Eisen
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zwischen die Rippen,
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Es kam kein Laut, kein Seufzer mehr über des Junkers
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Lippen.
 
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Das war das Ende von Jürgen Slenz; mit ihm zu Tode
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kamen
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Die Knechte und Söldner ungezählt - viel hundert
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tapfere Namen,
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Zumal auch, was von Holstein her um den Danebrog
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sich scharte:
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Fünf Rantzaus, sieben von Ahlefeld und vierzehn
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Wackerbarte.
 
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Der König aber floh zu Schiff bis in seine Stadt am
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Sunde,
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Er trug zu der alten Narbe heim eine neue brennende
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Wunde,
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Die neue Wunde - bis in den Tod wollt' ihm die nie
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verharschen -,
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Das war der Tag von Hemmingstedt, der Brauttag der
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Dithmarschen.

Details zum Gedicht „Der Tag von Hemmingstedt“

Anzahl Strophen
27
Anzahl Verse
204
Anzahl Wörter
1171
Entstehungsjahr
1819 - 1898
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der Tag von Hemmingstedt“ wurde von Theodor Fontane verfasst, einem deutschen Dichter und Autor, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebte. Das Gedicht erzählt die Geschichte der Schlacht von Hemmingstedt, die im 15. Jahrhundert zwischen den Dithmarschen Bauern und dem König von Dänemark, Johann von Dänemark, stattfand.

Beim ersten Lesen wirkt das Gedicht wie eine Erzählung einer historischen Schlacht, in der das Lyrische Ich die verschiedenen Aspekte und Highlights des Krieges darstellt.

Das Gedicht handelt von der Weigerung der Dithmarschen, dem dänischen König Untertan zu sein und ihre Stärke bei der Verteidigung ihres Landes. Diese Beharrlichkeit und Widerstandsfähigkeit fallen aufgrund der geringen Anzahl der Verteidiger im Vergleich zu den angreifenden Kräften besonders auf. Das lyrische Ich möchte die Kühnheit und Entschlossenheit dieser Bauern und ihre Fähigkeit, gegen eine größere Kraft zu bestehen, verdeutlichen.

In Bezug auf die Form besteht das Gedicht aus 27 Strophen mit jeweils acht Versen. Die Sprache ist lebendig und bildlich, mit vielen Beschreibungen der Schlacht, der beteiligten Parteien und des Schauplatzes. Beispielsweise wird die Flut, die die Bauern rettete, als „Hilfe Gottes“ personifiziert, was die dramatische und entscheidende Rolle der Naturkräfte in der Schlacht unterstreicht.

Ein wichtiger Aspekt ist auch die Rolle der Natur, repräsentiert durch die Flut, die die Bauern rettet und den Feind besiegt. Dies gibt dem Gedicht eine spirituelle Dimension und hebt die Bindung der Bauern an ihr Land und dessen natürliche Kräfte hervor.

Durch dieses Gedicht gelingt es Fontane, eine historische Episode zum Leben zu erwecken und auf poetische Weise die Kraft, den Mut und die Entschlossenheit der Dithmarschen darzustellen.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Der Tag von Hemmingstedt“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Theodor Fontane. Der Autor Theodor Fontane wurde 1819 in Neuruppin geboren. Im Zeitraum zwischen 1835 und 1898 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Realismus zu. Der Schriftsteller Fontane ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das 1171 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 204 Versen mit insgesamt 27 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Theodor Fontane sind „An Marie“, „An meinem Fünfundsiebzigsten“ und „Auf der Treppe von Sanssouci“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Der Tag von Hemmingstedt“ weitere 214 Gedichte vor.

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