Der alte Dessauer von Theodor Fontane

Ich will ein Lied euch singen!
Mein Held ist eigner Art:
Ein Zopf vor allen Dingen,
Dreimaster, Knebelbart,
Blitzblank der Rock vom Bürsten
Und jeder Knopf wie Gold
Ihr merkt, es gilt dem Fürsten,
Dem alten Leopold.
 
All' Wissenschaft und Dichtung
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Sein Lebtag er vermied,
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Und sprach er je von »Richtung«,
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Meint' er in Reih und Glied;
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Statt Opern aller Arten
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Hatt' er nur einen Marsch,
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Und selbst mit Schriftgelahrten
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Verfuhr er etwas barsch.
 
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Nicht mocht' er Phrasen türmen
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Von Fortschritt, glatt und schön,
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Er wußte nur zu stürmen
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Die Kesselsdorfer Höhn;
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Er hielt nicht viel vom Zweifel
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Und wen'ger noch vom Spott,
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Er war ein dummer Teufel
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Und glaubte noch an Gott.
 
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Ja, ja, er war im Leben
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Beschränkt, wie man's so heißt,
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Und soll ich Antwort geben,
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Warum mein Lied ihn preist?
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Nun denn, weil nie mit Worten
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Er seine Feinde fraß,
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Und weil ihm rechter Orten
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So Herz wie Galle saß.
 
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Wir haben viel von Nöten,
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Trotz allem guten Rat,
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Und sollten schier erröten
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Vor solchem Mann der Tat;
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Verschnittnes Haar im Schopfe.
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Macht nicht allein den Mann
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Ich halt' es mit dem Zopfe,
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Wenn solche Männer dran.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.5 KB)

Details zum Gedicht „Der alte Dessauer“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
191
Entstehungsjahr
1819 - 1898
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht heißt „Der alte Dessauer“ und wurde von Theodor Fontane verfasst, einem deutschen Schriftsteller des Realismus, der von 1819 bis 1898 lebte.

Die erste Strophe stellt den Protagonisten des Gedichts vor: einen kantigen, altmodischen Helden, der mit seinen breiten Schultern, seinem blitzblanken Rock und goldenen Knöpfen beschrieben wird. Er wird als „alter Leopold“ identifiziert, ein Verweis auf Leopold I., Fürst von Anhalt-Dessau, eine historische Figur des frühen 18. Jahrhunderts.

In den zweiten und dritten Strophen wird das Bild dieses Charakters weiter ausgearbeitet. Er meidet Wissenschaft und Poesie und legt stattdessen Wert auf Disziplin und Ordnung (Strophe 2). Er ist ein einfacher Mann, der an Gott glaubt und kein Freund von Zweifeln oder Spott ist (Strophe 3).

In der vierten Strophe enthüllt das lyrische Ich seine Bewunderung für diese Gestalt. Trotz aller Begrenzungen lobt er den alten Dessauer für seinen Mut, seine Haltung und sein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden.

Die letzte Strophe schließt dann mit einem Appell des lyrischen Ichs an den Leser in der heutigen Gesellschaft. Es wirft ein kritisches Licht auf die heutige Zeit, in der es „Verschnittnes Haar im Schopfe“ gibt. Offensichtlich bezieht sich das auf das Fehlen von Männern wie dem „alten Dessauer“, was bedeuten könnte, dass der Dichter eine kritische Ansicht von seiner Zeit und den Menschen hat, die sie bewohnen.

Das Gedicht besteht aus fünf gleich strukturierten Strophen zu je acht Zeilen und folgt keinem festen Reimschema, was die Sprache locker und gesprächig wirken lässt. Der Versart variiert, es gibt sowohl Jamben als auch Trochäen. Das Gedicht verwendet einfache, alltägliche Worte und verzichtet auf blumige Metaphern, was im Einklang mit dem Charakter des alten Dessauer steht.

Insgesamt kann das Gedicht als Huldigung an eine vergangene Ära und ihre Werte gelesen werden und vermittelt zugleich eine Kritik an der Gegenwart, die ihre eigenen Werte nicht mehr ehrt. Es stellt einen Vergleich zwischen Idealen der Vergangenheit und der Gegenwart her und fordert den Leser auf, sich zu entscheiden, welchem Ideal er folgen möchte.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Der alte Dessauer“ ist Theodor Fontane. Geboren wurde Fontane im Jahr 1819 in Neuruppin. Das Gedicht ist in der Zeit von 1835 bis 1898 entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Realismus zugeordnet werden. Bei Fontane handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 40 Versen mit insgesamt 5 Strophen und umfasst dabei 191 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Theodor Fontane sind „An Lischen“, „An Marie“ und „An meinem Fünfundsiebzigsten“. Zum Autor des Gedichtes „Der alte Dessauer“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 214 Gedichte vor.

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