Berliner Herbst von Kurt Tucholsky

Denn, so um’m September rum,
denn kriejn se wacklije Beene –
die Fliejen nämlich. Denn rummeln se so
und machen sich janz kleene.
Nee –
fliejn wolln se nich mehr.
 
Wenn se schon so ankomm, ’n bisken benaut…
denn krabbeln se so anne Scheihm;
oda se summ noch ’n bisken laut,
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aba mehrschtens lassen ses bleihm…
11 
Nee -
12 
fliejn wolln se nich mehr.
 
13 
Wenn se denn kriechen, falln se beinah um.
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Un denn wern se nochmal heita,
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denn rappeln se sich ooch nochmal hoch,
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un denn jehts noch ’n Sticksken weita –
17 
Aba fliejn… fliejn wolln die nich mehr.
 
18 
Die andan von Somma sind nu ooch nich mehr da.
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Na, nu wissen se – nu is zu Ende.
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Manche, mit so jelbe Eia an Bauch,
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die brumm een so über de Hände…
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A richtich fliejn wolln se nich mehr.
 
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Na, und denn finnste se morjens frieh,
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da liejen se denn so hinta
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de Fenstern rum. Denn sind se dot.
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Und wir jehn denn ooch in’n Winta.
27 
Wie alt bist du eijentlich –?
 
28 
–„Ick? Achtunnfürzich.“
29 
–„Kommst heut ahmt mit, nach unsan Lokal –?“
30 
–„Allemal.“
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26 KB)

Details zum Gedicht „Berliner Herbst“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
30
Anzahl Wörter
179
Entstehungsjahr
1929
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Berliner Herbst“ wurde von dem Autor Kurt Tucholsky verfasst, der zwischen 1890 und 1935 lebte. Dies platziert das Gedicht in Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts, wobei das definitive Datum der Veröffentlichung des Gedichts nicht gegeben ist.

Der erste Eindruck des Gedichts wird stark von dem Dialekt beeinflusst, in dem es geschrieben ist, nämlich Berlinerisch. Diese einzigartige Sprachform verleiht dem Gedicht einen lokalen Charme und es spricht an die Kultur und die Menschen Berlins in dieser Zeitperiode.

Inhaltlich beschreibt das Gedicht den Übergang von Herbst zu Winter und illustriert diese Veränderung anhand des Verhaltens von Fliegen. Die einst aktiven Insekten werden träge und hören auf zu fliegen. Sie fallen um, rappeln sich auf, um dann wieder zu stürzen. Schließlich werden sie immer schwächer, bis sie tot sind. In der letzten Strophe findet jedoch eine Veränderung statt, als das lyrische Ich sein Alter („Achtunnfürzich.“) erwähnt und jemandem anbietet ins „unsan Lokal“ zu kommen.

Das lyrische Ich scheint mit den Fliegen eine Metapher für das Altern und den Tod zu verwenden. Es geht darum, wie das Leben sich verlangsamt und letztendlich endet, ähnlich wie der Prozess der Fliegen, die im Herbst sterben.

Formal besteht das Gedicht aus sechs Strophen mit unterschiedlicher Zeilenzahl, wobei jedoch der einfache, gesprächige Ton durchgehend gehalten wird. Die Form und die Nutzung des Berliner Dialekts verleihen dem Gedicht eine unverwechselbare Stimme. Die Sprache ist einfach und unprätentiös und passt damit zum Thema des alltäglichen Lebens und Sterbens.

Die Sprache des Gedichts, die stark vom Berliner Dialekt geprägt ist, schafft ein Gefühl von Alltäglichkeit und Normalität, während die Metapher der sterbenden Fliegen dem Text eine dunklere, melancholischere Note verleiht. Es ist ein Beweis für die Kunstfertigkeit Tucholskys, dass er es schafft, ernste Themen wie das Altern und den Tod in einen Kontext zu setzen, der ansonsten von Alltagsleben und Alltagssprache dominiert wird.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Berliner Herbst“ ist Kurt Tucholsky. Tucholsky wurde im Jahr 1890 in Berlin geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1929 entstanden. In Berlin ist der Text erschienen. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zuordnen. Bei Tucholsky handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Der Erste Weltkrieg und die daraufhin folgende Entstehung und der Fall der Weimarer Republik hatten großen Einfluss auf die Literatur der Weimarer Republik. Neue Sachlichkeit ist eine Richtung der Literatur der Weimarer Republik. In den Werken dieser Zeit ist die zwischen den Weltkriegen hervortretende Tendenz zu illusionslos-nüchterner Darstellung von Gesellschaft, Technik, Weltwirtschaftskrise aber auch Erotik deutlich erkennbar. Man kann dies auch als Reaktion auf den literarischen Expressionismus werten. Die Handlung wurde meist nur kühl und distanziert beobachtet. Die Dichter orientierten sich an der Realität. Mit einem Minimum an Sprache wollte man ein Maximum an Bedeutung erreichen. Mit den Texten sollten so viele Menschen wie möglich erreicht werden. Deshalb wurde darauf geachtet eine nüchterne sowie einfache Alltagssprache zu verwenden. Viele Schriftsteller litten unter der Zensur in der Weimarer Republik. Im Jahr 1922 wurde nach einem Attentat auf den Reichsaußenminister das Republikschutzgesetz erlassen, das die zunächst verfassungsmäßig garantierte Freiheit von Wort und Schrift in der Weimarer Republik deutlich einschränkte. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die zum Beispiel in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz setze den Schriftstellern dieser Zeit noch mal verstärkt Grenzen. 1931 trat die Pressenotverordnung in Kraft, dadurch waren die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate hinweg möglich geworden.

Als Exilliteratur wird die Literatur von Schriftstellern bezeichnet, die unfreiwillig Zuflucht in der Fremde suchen müssen, weil ihre Person oder ihr Werk in ihrer Heimat bedroht sind. Für die Flucht ins Exil geben meist politische oder religiöse Gründe den Ausschlag. Die Exilliteratur in Deutschland entstand in den Jahren von 1933 bis 1945 als Literatur der Gegner des Nationalsozialismus. Dabei spielten insbesondere die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 und der deutsche Überfall auf die Nachbarstaaten Deutschlands 1938/39 eine ausschlaggebende Rolle. Die Exilliteratur bildet eine eigene Epoche in der deutschen Literaturgeschichte. Sie schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an. Die Themen der Exilliteratur Deutschlands lassen sich zunächst in zwei Gruppen einteilen. Einige Autoren fühlten sich in ihrer neuen Heimat nicht zu Hause, hatten Heimweh und wollten einfach in ihr altes Leben vor dem Nationalsozialismus zurückkehren. Oftmals konnten sie im Ausland nicht mehr ihrer Tätigkeit als Schriftsteller nachgehen, da sie nur in Deutsch schreiben konnten, was im Ausland aber niemand verstand. Heimweh und ihre Liebe zum Mutterland sind die thematischen Schwerpunkte in ihren Werken. Die anderen Schriftsteller wollten sich gegen Nazideutschland wehren. Man wollte zum einen die Welt über die Grausamkeiten in Deutschland aufklären. Zum anderen aber auch den Widerstand unterstützen. Anders als andere Epochen der Literatur, die zum Beispiel bei der formalen Gestaltung (also in Sachen Metrum, Reimschema oder dem Gebrauch bestimmter rhetorischer Mittel) ganz charakteristische Merkmale aufweisen, ist die Exilliteratur nicht durch bestimmte formale Merkmale gekennzeichnet. Die Exilliteratur weist häufig einen Pluralismus der Stile (Expressionismus, Realismus), eine kritische Betrachtung der Wirklichkeit und eine Distanz zwischen Werk und Leser oder Publikum auf. Sie hat häufig die Absicht zur Aufklärung und möchte Gesellschaftsentwicklungen aufzeigen (wandelnder Mensch, Abhängigkeit von der Gesellschaft).

Das Gedicht besteht aus 30 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 179 Worte. Kurt Tucholsky ist auch der Autor für Gedichte wie „An das Publikum“, „An die Meinige“ und „An einen garnisondienstfähigen Dichter“. Zum Autor des Gedichtes „Berliner Herbst“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 136 Gedichte vor.

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