Berliner Gerüchte von Kurt Tucholsky
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Herr Meyer, Herr Meyer – und hörst du es nicht, |
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Das wilde, das grause, des dumpfe Gerücht: |
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Ein Licht! |
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Ein Licht in der russischen Botschaft! |
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Und da, wo ein Licht, da ist auch ein Mann, |
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und der sitzt an einem Vertrage dran, |
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beim Licht in der russischen Botschaft. |
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Und das Licht geht manchem Politiker auf; |
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es strömet das Volk, es rennet zuhauf |
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zum Licht in der russischen Botschaft. |
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Und einer zum andern geheimnisvoll spricht: |
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„Da ist was im Gange – ja, sehn Sie’s denn nicht, |
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das Licht in der russischen Botschaft?“ |
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Es erbrausen die Linden! „Berennet die Tür!“ |
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Ein Schutzmann hält seinen Bauch dafür |
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vor das Licht, |
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das Licht in der russischen Botschaft. |
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Sogar ein geheimer Studienrat |
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sagt die Information, die er bei sich hat, |
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vom Licht in der russischen Botschaft. – |
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Und drin spricht der Klempner im öden Saal: |
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„Du hör mal, Maxe, Du kannst mir mal |
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die Ölkanne ribajehm!“ |
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Dann gehen die beiden geruhig nach Haus, |
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nach dem Stralauer Tor – und das Licht löscht aus, |
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das Licht in der russischen Botschaft. |
Details zum Gedicht „Berliner Gerüchte“
Kurt Tucholsky
8
26
171
1919
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Berliner Gerüchte“ wurde von Kurt Tucholsky verfasst, einem deutschen Journalisten und Schriftsteller, der im Zeitraum von 1890 bis 1935 lebte. Durch diese zeitliche Einordnung kann man davon ausgehen, dass das Gedicht sozialkritische Themen der Weimarer Republik oder der aufsteigenden Nationalsozialisten in Deutschland behandelt.
Auf den ersten Eindruck beschreibt das Gedicht eine aufgeheizte und unruhige Atmosphäre in Berlin. Alle Augen und Gerüchte scheinen auf die russische Botschaft gerichtet zu sein, wo ein Licht brennt und somit auf eine Aktivität hinweist. Eine poetische Interpretation des Inhalts könnte folgendermaßen lauten: Die Figuren wie Herr Meyer, der Schutzmann oder der geheime Studienrat sind besessen von diesem Licht und den damit verbundenen Mutmaßungen, während in Wahrheit der Lichtschein von etwas alltäglichem, wie der Arbeit eines Klempners, herrührt.
Das Gedicht scheint eine Satire auf die Gesellschaftsstruktur und das politische Klima der Weimarer Republik zu sein, insbesondere auf die instabile und von Gerüchten angetriebene Metropole Berlin. Das lyrische Ich karikiert die Hysterie der Bevölkerung und ihre Neigung, Verschwörungen oder verborgene Absichten in den alltäglichsten Gegebenheiten zu vermuten.
Die Formgebung des Gedichts weist vorwiegend Dreizeiler auf, mit Ausnahme der ersten und fünften Strophe, die vier Zeilen besitzen. Diese Struktur erinnert an das traditionelle Volkslied, was vermutlich beabsichtigt ist, um bildhaft die mentalen Zustände des „Volks“ darzustellen. Sprachlich setzt Tucholsky auf direkte, einfache Formulierungen und Alltagssprache, die der gesellschaftskritischen Aussage des Gedichts zusätzliches Gewicht geben. Der humorige Stil ist typisch für Tucholskys Werk und dient hier dazu, die Absurdität der Situation, die Panik um ein simples Licht, zu betonen. Der Höhepunkt und das ironische Ende des Gedichts ist die Tatsache, dass das Licht letztlich nur von Klempnern stammt, die ihren Arbeitstag beenden und das Licht einfach ausmachen.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Berliner Gerüchte“ des Autors Kurt Tucholsky. Geboren wurde Tucholsky im Jahr 1890 in Berlin. Im Jahr 1919 ist das Gedicht entstanden. In Charlottenburg ist der Text erschienen. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zuordnen. Bei dem Schriftsteller Tucholsky handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.
Wichtigen Einfluss auf die Literatur der Weimarer Republik nahmen der Erste Weltkrieg und die daraufhin folgende Entstehung der Weimarer Republik. Neue Sachlichkeit ist eine Richtung der Literatur der Weimarer Republik. In den Werken dieser Zeit ist die zwischen den Weltkriegen hervortretende Tendenz zu illusionslos-nüchterner Darstellung von Gesellschaft, Technik, Weltwirtschaftskrise aber auch Erotik deutlich erkennbar. Man kann dies auch als Reaktion auf den literarischen Expressionismus werten. Die Handlung wurde meist nur kühl und distanziert beobachtet. Die Dichter orientierten sich dabei an der Realität. Mit einem Minimum an Sprache wollte man ein Maximum an Bedeutung erreichen. Mit den Texten sollten so viele Menschen wie möglich erreicht werden. Deshalb wurde darauf geachtet eine nüchterne sowie einfache Alltagssprache zu verwenden. Viele Schriftsteller litten unter der Zensur in der Weimarer Republik. Im Jahr 1922 wurde nach einem Attentat auf den Reichsaußenminister das Republikschutzgesetz erlassen, das die zunächst verfassungsmäßig garantierte Freiheit von Wort und Schrift in der Weimarer Republik deutlich einschränkte. In der Praxis wurde dieses Gesetz allerdings nur gegen linke Autoren angewandt. Aber gerade die rechts gerichteten Schriftsteller waren es häufig, die in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Die Grenzen der Zensur wurden 1926 durch das sogenannte Schund- und Schmutzgesetz nochmals verstärkt. Die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen wurden durch die Pressenotverordnung im Jahr 1931 ermöglicht.
Als Exilliteratur wird die Literatur von Schriftstellern bezeichnet, die unfreiwillig Zuflucht in der Fremde suchen müssen, weil ihre Person oder ihr Werk im Heimatland bedroht sind. Für die Flucht ins Exil geben meist politische oder religiöse Gründe den Ausschlag. Die Exilliteratur in Deutschland entstand in den Jahren von 1933 bis 1945 als Literatur der Gegner des Nationalsozialismus. Dabei spielten zum Beispiel die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 und der deutsche Überfall auf die Nachbarstaaten Deutschlands in den Jahren 1938/39 eine ausschlaggebende Rolle. Die deutsche Exilliteratur schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an und bildet damit eine eigene Literaturepoche in der deutschen Literaturgeschichte. Die Themen der deutschen Exilliteratur lassen sich zunächst in zwei Gruppen einteilen. Einige Schriftsteller fühlten sich in ihrer neuen Heimat nicht zu Hause, hatten Heimweh und wollten einfach in ihr altes Leben vor dem Nationalsozialismus zurückkehren. Oftmals konnten sie im Ausland nicht mehr ihrer Arbeit als Schriftsteller nachgehen, da sie nur in Deutsch schreiben konnten, was im Ausland niemand verstand. Heimweh und ihre Liebe zum Mutterland sind die thematischen Schwerpunkte in ihren Werken. Die anderen Schriftsteller wollten sich gegen Nazideutschland wehren. Man wollte einerseits die Welt über die Grausamkeiten in Deutschland aufklären. Andererseits aber auch den Widerstand unterstützen. Anders als andere Epochen der Literatur, die zum Beispiel bei der formalen Gestaltung (also in Sachen Metrum, Reimschema oder dem Gebrauch bestimmter rhetorischer Mittel) ganz charakteristische Merkmale aufweisen, ist die Exilliteratur nicht durch bestimmte formale Merkmale gekennzeichnet. Die Exilliteratur weist häufig einen Pluralismus der Stile (Realismus und Expressionismus), eine kritische Betrachtung der Wirklichkeit und eine Distanz zwischen Werk und Leser oder Publikum auf. Sie hat häufig die Absicht zur Aufklärung und möchte Gesellschaftsentwicklungen aufzeigen (wandelnder Mensch, Abhängigkeit von der Gesellschaft).
Das 171 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 26 Versen mit insgesamt 8 Strophen. Die Gedichte „All people on board!“, „Also wat nu – ja oder ja?“ und „An Lukianos“ sind weitere Werke des Autors Kurt Tucholsky. Zum Autor des Gedichtes „Berliner Gerüchte“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 136 Gedichte vor.
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Zum Autor Kurt Tucholsky sind auf abi-pur.de 136 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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