Lieder eines Lumpen von Wilhelm Busch

1.
Als ich ein kleiner Bube war,
War ich ein kleiner Lump;
Zigarren raucht? ich heimlich schon,
Trank auch schon Bier auf Pump.
Zur Hose hing das Hemd heraus,
Die Stiefel lief ich krumm,
Und statt zur Schule hinzugehn,
Strich ich im Wald herum.
 
10 
Wie hab ich?s doch seit jener Zeit
11 
So herrlich weit gebracht!
12 
Die Zeit hat aus dem kleinen Lump
13 
?nen grossen Lump gemacht.
 
14 
2.
15 
Der Mond und all die Sterne,
16 
Die scheinen in der Nacht,
17 
Hinwiederum die Sonne
18 
Bei Tag am Himmel lacht.
 
19 
Mit Sonne, Mond und Sternen
20 
Bin ich schon lang vertraut!
21 
Sie scheinen durch den Ärmel
22 
Mir auf die blosse Haut.
 
23 
Und was ich längst vermutet,
24 
Das wird am Ende wahr:
25 
Ich krieg? am Ellenbogen
26 
Noch Sommersprossen gar.
 
27 
3.
28 
Ich hatt? einmal zehn Gulden!
29 
Da dacht? ich hin und her,
30 
Was mit den schönen Gulden
31 
Nun wohl zu machen wär?.
 
32 
Ich dacht? an meine Schulden,
33 
Ich dacht? ans Liebchen mein,
34 
Ich dacht? auch ans Studieren,
35 
Das fiel zuletzt mir ein.
 
36 
Zum Lesen und Studieren,
37 
Da muss man Bücher han,
38 
Und jeder Manichäer
39 
Ist auch ein Grobian;
 
40 
Und obendrein das Liebchen,
41 
Das Liebchen fromm und gut,
42 
Das quälte mich schon lange
43 
Um einen neuen Hut.
 
44 
Was soll ich Ärmster machen?
45 
Ich wusst nicht aus noch ein.
46 
Im Wirtshaus an der Brucken,
47 
Da schenkt man guten Wein.
 
48 
Im Wirtshaus an der Brucken
49 
Sass ich den ganzen Tag,
50 
Ich sass wohl bis zum Abend
51 
Und sann den Dingen nach.
 
52 
Im Wirtshaus an der Brucken,
53 
Da wird der Dümmste Klug;
54 
Des Nachts um halber zwölfe,
55 
Da war ich klug genug.
 
56 
Des Nachts um halber zwölfe
57 
Hub ich mich von der Bank
58 
Und zahlte meine Zeche
59 
Mit zehen Gulden blank.
 
60 
Ich zahlte meine Zeche,
61 
Da war mein Beutel leer.
62 
Ich hatt? einmal zehn Gulden,
63 
Die hab? ich jetzt nicht mehr.
 
64 
4.
65 
Im Karneval, da hab? ich mich
66 
Recht wohlfeil amüsiert,
67 
Denn von Natur war ich ja schon
68 
Fürtrefflich kostümiert.
 
69 
Bei Maskeraden konnt? ich so
70 
Passieren frank und frei;
71 
Man meinte am Entree, dass ich
72 
Charaktermaske sei.
 
73 
Recht unverschämt war ich dazu
74 
Noch gegen jedermann
75 
Und hab? aus manchem fremden Glas
76 
Manch tiefen Zug getan.
 
77 
Darüber freuten sich die Leut
78 
Und haben recht gelacht,
79 
Dass ich den echten Lumpen so
80 
Natürlich nachgemacht.
 
81 
Nur einem groben Kupferschmied,
82 
Dem macht? es kein Pläsier,
83 
Dass ich aus seinem Glase trank
84 
Er warf mich vor die Tür.
 
85 
5.
86 
Von einer alten Tante
87 
Ward ich recht schön bedacht:
88 
Sie hat fünfhundert Gulden
89 
Beim Sterben mir vermacht..
 
90 
Die gute alte Tante!
91 
Fürwahr, ich wünschte sehr,
92 
Ich hätt? noch mehr der Tanten
93 
Und - hätt? sie bald nicht mehr!
 
94 
6.
95 
Ich bin einmal hinausspaziert,
96 
Hinaus wohl vor die Stadt.
97 
Da kam es, dass ein Mädchen mir
98 
Mein Herz gestohlen hat.
 
99 
Ihr Aug war blau, ihr Mund war rot,
100 
Blondlockig war ihr Haar.
101 
Mir tat?s in tiefster Seele weh,
102 
Dass solch ein Lump ich war.
 
103 
7.
104 
Seit ich das liebe Mädchen sah,
105 
War ich wie umgewandt,
106 
Es hätte mich mein bester Freund
107 
Wahrhaftig nicht gekannt.
 
108 
Ich trug, fürwahr, Glacéhandschuh,
109 
Glanzstiefel, Chapeau claque,
110 
Vom feinsten Schnitt war das Gilet
111 
Und magnifik der Frack.
 
112 
Vom Fusse war ich bis zum Kopf
113 
Ein Stutzer comme il faut,
114 
Ich war, was mancher andre ist,
115 
Ein Lump, inkognito.
 
116 
8.
117 
Was tat ich ihr zuliebe nicht!
118 
Zum erstenmal im Leben
119 
Hab? ich mich neulich ihr zulieb
120 
Auf einen Ball begeben.
 
121 
Sie sah wie eine Blume aus
122 
In ihrer Krinolinen,
123 
Ich bin als schwarzer Käfer mir
124 
In meinem Frack erschienen.
 
125 
Für einen Käfer - welche Lust,
126 
An einer Blume baumeln!
127 
Für mich - welch Glück an ihrer Brust
128 
Im Tanz dahinzutaumeln!
 
129 
Doch ach! Mein schönes Käferglück,
130 
Das war von kurzer Dauer;
131 
Ein kläglich schnödes Missgeschick
132 
Lag heimlich auf der Lauer.
 
133 
Denn weiss der Teufel, wie?s geschah,
134 
Es war so glatt im Saale
135 
Ich rutschte - und so lag ich da
136 
Rumbums! Mit einem Male.
 
137 
An ihrem seidenen Gewand
138 
Dacht? ich mich noch zu halten.
139 
Ritsch, ratsch! Da hielt ich in der Hand
140 
Ein halbes Dutzend Falten.
 
141 
Sie floh entsetzt. - Ich armer Tropf,
142 
Ich meint?, ich müsst? versinken,
143 
Ich kratzte mir beschämt den Kopf
144 
Und tät beiseite hinken.
 
145 
9.
146 
Den ganzen noblen Plunder soll,
147 
Den soll der Teufel holen!
148 
Ein Leutnant von der Garde hat
149 
Mein Liebchen mir gestohlen.
 
150 
Du neuer Hut, du neuer Frack,
151 
Ihr müsst ins Pfandhaus wandern.
152 
Ich selber sitz? im Wirtshaus nun
153 
Von einem Tag zum andern.
 
154 
Ich sitz? und trinke aus Verdruss
155 
Und Ärger manchen Humpen.
156 
Die Lieb, die mich solid gemacht,
157 
Die macht mich nun zum Lumpen;
 
158 
Und wem das Lied gefallen hat,
159 
Der lasse sich nicht lumpen;
160 
Der mög dem Lumpen, der es sang,
161 
Zum Dank - ?n Gulden pumpen.

Details zum Gedicht „Lieder eines Lumpen“

Anzahl Strophen
37
Anzahl Verse
161
Anzahl Wörter
765
Entstehungsjahr
1832 - 1908
Epoche
Biedermeier,
Junges Deutschland & Vormärz,
Realismus

Gedicht-Analyse

Das vorgegebene Gedicht „Lieder eines Lumpen“ wurde von Wilhelm Busch verfasst, einem bedeutenden deutschen Humoristen, Dichter, Zeichner und Maler, der zwischen dem 15. April 1832 und dem 9. Januar 1908 lebte. Er ist bekannt für seine satirischen, oft humorvollen Verse und Cartoons, die meist den Alltag und die menschliche Natur beleuchten.

Beim ersten Durchlesen des Gedichts wird die humorvolle und leicht sarkastische Stimme des Lyrischen Ichs sofort spürbar. Es schildert seine Zeit als unartiger Junge, als er heimlich Zigarren rauchte, Bier auf Kredit trank und nicht zur Schule ging. Mit fortschreitendem Alter gewöhnt er sich noch mehr an das „Lumpenleben“. Er beschreibt ironisch, wie aus ihm ein großer „Lump“ geworden ist, ein Mensch von geringer gesellschaftlicher Stellung und wenig Anerkennung.

Im weiteren Verlauf des Gedichts erzählt das lyrische Ich von seinen Misserfolgen und Fehltritten im Leben, von verspieltem Geld, verpassten Chancen und gescheiterten Liebesbeziehungen. Es deutet auf eine gewisse Resignation und Akzeptanz seines losen und unproduktiven Lifestyles hin. Es wird deutlich, dass das lyrische Ich das Bild des „Lumpen“ als Metapher für sein gescheitertes Leben und seine Unfähigkeit benutzt, ein sinnvolles und erfülltes Leben zu führen.

Was die Form und Sprache des Gedichts angeht, besteht es aus mehreren Strophen unterschiedlicher Länge. Die Sprache ist einfach und umgangssprachlich, wodurch eine Verbindung zum Protagonisten, einem einfachen Mann, hergestellt wird. Der Reim und Rhythmus tragen zu der Leichtigkeit und dem humorvollen Charakter des Gedichts bei. Ironie und Sarkasmus sind wichtige stilistische Mittel in diesem Gedicht. So verwendet das lyrische Ich oft humorvolle und ironische Formulierungen, um seine Lebensumstände zu beschreiben und seine Fehler und Misserfolge ins Lächerliche zu ziehen.

Insgesamt zeigt das Gedicht Wilhelm Buschs charakteristischen Humor und seine Fähigkeit, tiefgehende und komplexe Themen auf eine leicht zugängliche und humorvolle Weise zu behandeln. Es ist ein interessanter Blick auf gesellschaftliche Normen und Erwartungen und die Schwierigkeiten einiger Menschen, diese zu erfüllen.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Lieder eines Lumpen“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Wilhelm Busch. Der Autor Wilhelm Busch wurde 1832 in Wiedensahl geboren. Im Zeitraum zwischen 1848 und 1908 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Biedermeier, Junges Deutschland & Vormärz, Realismus, Naturalismus oder Moderne zugeordnet werden. Prüfe bitte vor Verwendung die Angaben zur Epoche auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich Literaturepochen zeitlich überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung häufig mit Fehlern behaftet. Das vorliegende Gedicht umfasst 765 Wörter. Es baut sich aus 37 Strophen auf und besteht aus 161 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Wilhelm Busch sind „Also hat es dir gefallen“, „Auf Wiedersehn“ und „Auf den Sonntag früh Morgen“. Zum Autor des Gedichtes „Lieder eines Lumpen“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 208 Gedichte vor.

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