Aus dem Walde von Emanuel Geibel

Mit dem alten Förster heut
bin ich durch den Wald gegangen,
während hell im Festgeläut'
aus dem Dorf die Glocken klangen.
 
Golden floß ins Laub der Tag,
Vöglein sangen Gottes Ehre,
fast, als ob der ganze Hag
wüßte, daß es Sonntag wäre.
 
Und wir kamen ins Revier,
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wo, umrauscht von alten Bäumen,
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junge Stämmlein sonder Zier
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sproßten auf besonnten Räumen.
 
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Feierlich der Alte sprach:
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"Siehst du über unsern Wegen
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hochgewölbt das grüne Dach?
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Das ist unsrer Ahnen Segen.
 
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Denn es gilt ein ewig Recht,
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wo die hohen Wipfel rauschen;
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von Geschlechte zu Geschlecht
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geht im Wald ein ewig Tauschen.
 
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Was uns not ist, uns zum Heil
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ward's gegründet von den Vätern;
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aber das ist unser Teil,
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daß wir gründen für die Spätern.
 
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Drum im Forst auf meinem Stand
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ist mir's oft, als böt' ich linde
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meinem Ahnherrn diese Hand,
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jene meinem Kindeskinde.
 
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Und sobald ich pflanzen will,
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pocht das Herz mir, daß ich's merke,
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und ein frommes Sprüchlein still
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muß ich beten zu dem Werke.
 
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"Schütz euch Gott, ihr Reiser schwank!
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Mögen unter euren Kronen,
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rauscht ihr einst den Wald entlang,
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Gottesfurcht und Freiheit wohnen!
 
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Und ihr Enkel, still erfreut,
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mögt ihr dann mein Segnen ahnen
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wie's mit frommem Dank mich heut
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an die Väter will gemahnen."
 
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Wie verstummend im Gebet
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schwieg der Mann, der tiefergraute,
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klaren Auges, ein Prophet,
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welcher vorwärts, rückwärts schaute.
 
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Segnend auf die Stämmlein rings
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sah ich dann die Händ' ihn breiten;
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aber in den Wipfeln ging's
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wie ein Gruß aus alten Zeiten.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.2 KB)

Details zum Gedicht „Aus dem Walde“

Anzahl Strophen
12
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
247
Entstehungsjahr
1815 - 1884
Epoche
Klassik,
Romantik,
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Aus dem Walde“ ist von Emanuel Geibel, einem deutschen Dichter, der bekannt war für seine romantische Poesie. Geibel lebte von 1815 bis 1884, daher lässt sich das Gedicht in der Epoche der Romantik einordnen.

Das Gedicht erzeugt auf den ersten Blick einen ruhigen, beschaulichen Eindruck. Es berichtet von einem Sonntagsspaziergang durch den Wald, wobei die Natur und die Verbindung zwischen den Generationen in einem symbolischen Rahmen dargestellt sind.

Im Inhalt geht es um den Spaziergang des lyrischen Ichs zusammen mit einem älteren Förster durch den Wald. Sie bewundern die Schönheit der Natur und der Förster erzählt dem lyrischen Ich über den Wert und die Tradition des Waldes für die Generationen. Der Förster erklärt, wie wesentlich es ist, die Schönheit und die Ressourcen des Waldes für die zukünftigen Generationen zu bewahren und zu pflegen.

Mehrere Elemente in Form und Sprache des Gedichts sind bemerkenswert. Das Gedicht besteht aus zwölf Strophen zu jeweils vier Versen und hat ein regelmäßiges Metrum und Reimschema, was dem Gedicht einen fließenden, melodischen Rhythmus verleiht. Die Sprache ist bildhaft und ansprechend, mit Worten wie „Festgeläut“, „goldener Tag“ und „hochgewölbtes grünes Dach“, die Bilder von Frieden und Harmonie evozieren.

Im Sinne der Romantik idealisiert das Gedicht die Natur und betont den heiligen Aspekt des Lebens in Harmonie mit der Natur. Gleichzeitig bringt es den Gedanken der Verantwortung für die Erhaltung der Natur zum Ausdruck und hebt den zyklischen Charakter des Lebens hervor, indem es den Prozess des Wachstums und des Verfalls im Wald und die Verantwortung des Menschen für seine Erhaltung beschreibt.

Zusammengefasst ist „Aus dem Walde“ ein Gedicht, dass die tief verwurzelte Beziehung zwischen Mensch und Natur und zwischen den Generationen reflektiert und das ein romantisches Ideal der Harmonie und Verantwortung darstellt. Es appelliert an die Verantwortung jedes Einzelnen, für die Bewahrung der natürlichen Ressourcen für zukünftige Generationen zu sorgen.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Aus dem Walde“ ist Emanuel Geibel. 1815 wurde Geibel in Lübeck geboren. Zwischen den Jahren 1831 und 1884 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Klassik, Romantik, Biedermeier, Junges Deutschland & Vormärz, Realismus oder Naturalismus zugeordnet werden. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das vorliegende Gedicht umfasst 247 Wörter. Es baut sich aus 12 Strophen auf und besteht aus 48 Versen. Der Dichter Emanuel Geibel ist auch der Autor für Gedichte wie „Die stille Wasserrose“, „Mahnung“ und „Liebesglück“. Zum Autor des Gedichtes „Aus dem Walde“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 67 Gedichte vor.

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