Entschwunden von Emanuel Geibel

Einstmals hab ich ein Lied gewußt,
Einst, in goldenen Stunden,
Sang ich's, da ich ein Kind noch war,
Aber mir ist's entschwunden.
 
Lieblich schwebte die Weise hin,
weich wie Schwanengefieder;
Ach, wohl such' ich durch Feld und Wald,
Finde nimmer sie wieder.
 
Manchmal mein ich, es wogt ihr Laut
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Über der Flur in den Winden;
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Aber es ist verhallt im Nu,
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Will ich ihn greifen und binden.
 
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Oft auch, wenn ich bei Nacht entschlief,
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Streift urplötzlich und leise
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Über mein Herz mit Traumeshand
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Die verlorene Weise.
 
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Aber fahr' ich vom Kissen auf,
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Kann ich mich nimmer besinnen;
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Nur vom Auge noch fühl ich sacht
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Brennende Tränen rinnen.
 
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Und doch mein ich: fänd ich den Klang,
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All die heimlichen Schmerzen
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Könnt, ich wieder, wie einst als Kind,
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Mir wegsingen vom Herzen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Entschwunden“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
130
Entstehungsjahr
1815 - 1884
Epoche
Klassik,
Romantik,
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht stammt von Emanuel Geibel, einem deutschen Lyriker und Dramatiker, der im 19. Jahrhundert lebte. Geibel zählt zu den Vertretern der Spätromantik und Biedermeier.

Der erste Eindruck des Gedichts ist melancholisch und nostalgisch. Es erzählt vom Verlust eines Lieds, das das lyrische Ich in der Kindheit kennengelernt und gesungen hat, sich aber nicht mehr erinnern kann. Diese Thematik schwingt in einer tiefergehenden Ebene mit, denn das verlorene Lied scheint symbolisch für verlorene Erinnerungen, Unschuld und Jugend zu stehen.

Das lyrische Ich sehnt sich nach diesem verlorenen Lied, das offenbar als Trost in schwierigen Zeiten diente („All die heimlichen Schmerzen / Könnt, ich wieder, wie einst als Kind, / Mir wegsingen vom Herzen“). Dennoch bleibt das Lied unerreichbar, trotz seiner Bemühungen im Wachen („sang ich's, da ich ein Kind noch war, / aber mir ist's entschwunden.“) wie auch im Schlaf („Oft auch, wenn ich bei Nacht entschlief, / streift urplötzlich und leise / über mein Herz mit Traumeshand / die verlorene Weise.“).

In Bezug auf die Form und Sprache ist das Gedicht in sechs Strophen zu jeweils vier Versen unterteilt und hat ein klassisches Reimschema (aabb). Die Sprache ist eher einfach und gut verständlich, geprägt von der Romantik des 19. Jahrhunderts mit ihrer Sehnsucht nach der Vergangenheit.

Die repetitiven Strukturen intensivieren dabei das Gefühl der Sehnsucht und des Verlustes („Einstmals hab ich ein Lied gewusst, / Einst, in goldenen Stunden, / sang ich's, da ich ein Kind noch war, / Aber mir ist's entschwunden.“). Auch die Verwendung von Metaphern, wie „weich wie Schwanengefieder“ oder „Über mein Herz mit Traumeshand“ lässt Raum für Interpretation und unterstreicht die emotionale Tiefe des Gedichts.

Zusammengefasst handelt es sich bei dem Gedicht um einen Ausdruck von Verlust und Sehnsucht nach der Unschuld und Unbeschwertheit der Kindheit, repräsentiert durch ein vergessenes Lied. Diese Melancholie, gepaart mit der formellen Struktur und sprachlicher Gestaltung, macht es zu einem typischen Beispiel für die Spätromantik und Biedermeierzeit.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Entschwunden“ des Autors Emanuel Geibel. Der Autor Emanuel Geibel wurde 1815 in Lübeck geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1831 und 1884. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Klassik, Romantik, Biedermeier, Junges Deutschland & Vormärz, Realismus oder Naturalismus zuordnen. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das Gedicht besteht aus 24 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 130 Worte. Weitere Werke des Dichters Emanuel Geibel sind „Nun die Schatten dunkeln“, „Die stille Wasserrose“ und „Mahnung“. Zum Autor des Gedichtes „Entschwunden“ haben wir auf abi-pur.de weitere 67 Gedichte veröffentlicht.

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