Der Mann von Schnee von Friedrich Wilhelm Güll

Schneemann dort am Gartenzaune
Hat gar eine üble Laune.
Steht er da voll Trutz und Groll,
Weiß nicht, was er reden soll.
Und die Sonne blinkt und blitzt,
Daß er wie ein Kranker schwitzt.
Weil der Himmel ist so blau,
Aergert er sich braun und grau;
Weil die Wiesen werden grün,
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Aergert er sich schmal und dünn.
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Schneemann ist in großer Noth,
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Denn es winkt ihm schon der Tod.
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Noch ein Schnapper, noch ein Schnauf
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Und er steht nicht wieder auf.
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Kommen dann die schwarzen Raben,
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Seine Leiche zu begraben.
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Und Schneeglöcklein will vor Freuden,
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Ihm die Sterbeglocke läuten.
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Und die Lerch' vor allen Dingen
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Ihm ein Schlummerliedchen singen.
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Aber wo ist er zu finden?
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Vornen nicht, und auch nicht hinten.
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Freilich, weil ihm ganz zerbrochen
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An der Sonne seine Knochen,
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Weil zu Wasser er zerronnen
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An dem Glanz der goldnen Sonnen.
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Kommt der Storch dazu geflogen,
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Und die Schwalbe hergezogen,
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Fragen nach dem todten Mann,
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Niemand von ihm sagen kann:
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Wälzt der Storch mit seinem Bein
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An den Zaun hin einen Stein;
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Und die Schwalbe mit dem Schnabel
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Schreibt darauf die ganze Fabel:
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Hier liegt Einer, der im Leben,
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Weiter keinen Taug gegeben;
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Der sich faul und sehr verstockt,
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Lebenslang daher gehockt;
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Und damit er doch nicht länger
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Bleiben soll ein Müßiggänger,
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Und ein Griesgram und ein Hasser,
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Schmolz der Frühling ihn zu Wasser;
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Und damit will er begießen
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All' die Blumen auf den Wiesen,
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Daß sie weiß und gelb und grün
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Euch zur Lust und Freude blüh'n.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.9 KB)

Details zum Gedicht „Der Mann von Schnee“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
46
Anzahl Wörter
249
Entstehungsjahr
1812 - 1879
Epoche
Klassik,
Romantik,
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das durch Friedrich Wilhelm Güll verfasste Gedicht „Der Mann von Schnee“ stammt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, einer Phase der deutschen Literatur, die durch ausgeprägte Romantik und politische Unruhe geprägt war. Besagtes Gedicht weckt auf den ersten Blick einen sinnbildlichen und leicht morbid anmutenden Eindruck.

Im Gedicht geht es um einen Schneemann, der schlechte Laune hat und letztendlich stirbt: zunächst ärgert er sich über die sonnige, warme Welt um ihn herum, verrinnt und wird schlussendlich von Raben, einem Schneeglöckchen und einer Lerche begraben. Der Frühling schmilzt ihn in Wasser, um die Wiesen und Blumen zu begießen. Dabei lässt der Autor den Schneemann menschenähnlich agieren und Gefühle erleben.

Das lyrische Ich beschreibt aus der Perspektive eines unbeteiligten Beobachters den Sterbeprozess des Schneemanns und legt dessen Aufgabe klar dar: Er soll für die Aufblüte der Natur Platz machen, zum Wohl der Schönheit und Freude aller. Der Schneemann wird dargestellt als faul und verstockt, ein Griesgram und Hasser: Es ist fast so, als ob seine Funktion nicht der Verschönerung der Landschaft, sondern eher der harten Realität des Lebens und Todes dient.

Das Gedicht ist in Vierzeilern geschrieben, was eine klassische Form darstellt. Die Sprache ist recht einfach und nicht besonders bildhaft, lässt jedoch Raum für Interpretationen. Es erzeugt durch sorgfältige Wort- und Rhythmuswahl eine Atmosphäre von sowohl Leichtigkeit als auch Spott. Die Ironie der Geschichte spiegelt sich auch in der munteren und fast spielerischen Art und Weise wider, in der der Tod des Schneemanns dargestellt wird.

Zusammenfassend könnte man sagen, dass Güll in diesem Gedicht auf humorvolle und dennoch tiefgründige Weise das unausweichliche Schicksal jedes Schneemanns - und implizit jedes Menschen - darstellt: Das Leben ist vergänglich, aber Tod und Vergehen sind notwendige Prozesse, um Raum für neues Leben und Wachstum zu schaffen.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Der Mann von Schnee“ ist Friedrich Wilhelm Güll. Güll wurde im Jahr 1812 in Ansbach geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1828 bis 1879 entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Klassik, Romantik, Biedermeier, Junges Deutschland & Vormärz oder Realismus zugeordnet werden. Die Richtigkeit der Epochen sollte vor Verwendung geprüft werden. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da es keine starren zeitlichen Grenzen bei der Epochenbestimmung gibt, können hierbei Fehler entstehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 249 Wörter. Es baut sich aus nur einer Strophe auf und besteht aus 46 Versen. Friedrich Wilhelm Güll ist auch der Autor für Gedichte wie „Vor dem Christbaum“, „Nebel“ und „Wer will unter die Soldaten“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Der Mann von Schnee“ weitere 12 Gedichte vor.

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