Der goldene Tod von Ferdinand Ernst Albert Avenarius

Kein Wind im Segel, die See liegt still
Kein Fisch doch, der sich fangen will!
So ziehen die Netze sie wieder herein
Und murren, schelten und fluchen drein.
Da neben dem Kutter wird´s heller und licht
Wie weißliches Haar, wie ein Greisengesicht,
Und ein triefendes Haupt taucht auf aus der Flut:
"Ei, drollige Menschlein, ich mein´s mit euch gut
 
Ich gönn euch von meiner Herde ja viel,
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Doch heut ist mein Jüngster als Fisch beim Spiel.
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Den musst´ ich doch hüten, ich alter Neck,
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Drum jagt´ ich sie all miteinander weg
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Doch schickt ihr den Jungen mir wieder nach Haus,
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So werft nur noch einmal das Fangzeug aus:
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Der Schönste ist mein Söhnchen klein,
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Das übrige mag euer eigen sein!"
 
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Hei, flogen die Netze wieder in See!
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Ho, kaum, dass ihr Lasten sie brachten zur Höh!
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Wie lebende Wellen, so fort und fort
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Von köstlichen Fischen, so quoll´s über Bord.
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Und patscht und schnappt und zappelt und springt
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Und bei den Fischern, da tollt´s und singt.
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Nun plötzlich blitzt es - seht: es rollt
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Ein Fisch an Bord von lauterm Gold!
 
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Eine jede Schuppe ein Goldessstück!
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Wie edelsteinen, so funkelt´s im Blick!
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Die Kiemen sind aus rotem Rubin,
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Perlen die Flossen überziehn.
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Mit eitel Demanten besetzt, so ruht
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Auf seinem Häuptlein ein Krönchen gut,
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Und fürnehm wispert´s vom Schnäuzlein her:
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"Ich bin Prinz Neck, lasst mich ins Meer!"
 
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Den Fang ins Meer? Sie rühren ihn an,
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Die Fischer, und tasten und stieren ihn an.
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"Lasst mich ins Meer!" Sie hören nicht drauf.
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"Lasst mich ins Meer!" Sie lachen nur auf.
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Sie wägen das goldene Prinzlein ab,
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Sie schwärzen´s und klauben ihm Münzlein ab
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Wie wiegt das voll, wie gleißt das hold!
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Sie denken nichts weiter - sie denken nur Gold.
 
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Und seht: ein Goldschein überfliegt
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Jetzt alles, was von Fisch da liegt,
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Und wandelt´s, dass es klirrt und rollt.
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Seht: all die Fische werden Gold!
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Sinkt das Schiff von blitzender Last?
46 
"Schaufelt, was die Schaufel fasst!"...
47 
Wie lustiges Feuerwerk sprüht das umher
48 
Dann rauscht über allem zusammen das Meer.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.6 KB)

Details zum Gedicht „Der goldene Tod“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
347
Entstehungsjahr
1856 - 1923
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der goldene Tod“ ist von Ferdinand Ernst Albert Avenarius, einem deutschen Dichter und Lyriker des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Seine poetischen Werke lassen sich zeitlich in die so genannte „Neuromantik“ einordnen, die zwischen etwa 1890 und 1920 in Deutschland verbreitet war.

Beim ersten Lesen des Gedichts entstehen Bilder einer ruhigen See, von Fischern bei ihrer Arbeit und schließlich von einer unerwarteten und atemberaubenden Entdeckung, die zu gier und Verderben führt. Es ist eine Geschichte, die Avenarius in Versform erzählt, zeichnet sich durch seine lebendige und bildreiche Sprache aus.

Der Inhalt des Gedichts handelt von Fischern, die eines Tages nichts in ihren Netzen finden, bis ein sprechendes Wesen - offenbar verkörpert es den Meeresgott „Neck“ - erscheint und ihnen einen reichen Fang verspricht, wenn sie seinen Sohn freilassen. Als sie dann tatsächlich einen Fisch aus purem Gold fangen, geben sie sich ihrer Gier hin und ignorieren die Bitten des Fisches, ins Meer zurückkehren zu dürfen. Schließlich werden sie für ihre Gier bestraft, als all ihre Fische zu Gold werden und ihr Boot sinkt.

Die Hauptbotschaft des Gedichts ist die Warnung vor der zerstörerischen Kraft der Gier. Dies wird besonders deutlich in der letzten Strophe, als die Fischer trotz der Anzeichen einer unmittelbaren Gefahr fortfahren, Gold zu sammeln, bis es zu spät ist.

In Bezug auf die Form besteht das Gedicht aus sechs Strophen mit jeweils acht Versen. Avenarius verwendet einen lockeren Versmaß, das die spontane und dramatische Natur der Erzählung unterstreicht. Die Sprache ist einfach aber eindrucksvoll und mit metaphorischen Begriffen angereichert. Avenarius schafft es, auf relativ kleinem Raum eine komplexe Geschichte zu erzählen, die eindrucksvolle Bilder in den Köpfen der Leser erzeugt.

In „Der goldene Tod“ reflektiert Avenarius also ein universelles Thema, das Gier und ihre Folgen betrifft, und gibt seiner Warnung einen spezifisch nautischen Akzent, der zu seinen eigenen Erfahrungen als Dichter der Meere passt. Im Stil der Neuromantik, mit seiner Vorliebe für das Mystische und Fantastische, bietet das Gedicht auch in seiner Form eine haptische Erfahrung für den Leser, die seine moralische Botschaft unmissverständlich vermittelt.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Der goldene Tod“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Ferdinand Ernst Albert Avenarius. 1856 wurde Avenarius in Berlin geboren. Zwischen den Jahren 1872 und 1923 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Realismus, Naturalismus, Moderne, Expressionismus, Avantgarde / Dadaismus oder Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit zugeordnet werden. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das vorliegende Gedicht umfasst 347 Wörter. Es baut sich aus 6 Strophen auf und besteht aus 48 Versen. Weitere Werke des Dichters Ferdinand Ernst Albert Avenarius sind „Mondaufgang“, „Erwachen“ und „Vorfrühling“. Zum Autor des Gedichtes „Der goldene Tod“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de keine weiteren Gedichte vor.

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