Bergidylle von Heinrich Heine
1 |
Auf dem Berge steht die Hütte, |
2 |
Wo der alte Bergmann wohnt; |
3 |
Dorten rauscht die grüne Tanne, |
4 |
Und erglänzt der gold’ne Mond. |
|
|
5 |
In der Hütte steht ein Lehnstuhl, |
6 |
Reich geschnitzt und wunderlich, |
7 |
Der darauf sitzt, der ist glücklich, |
8 |
Und der Glückliche bin Ich! |
|
|
9 |
Auf dem Schemel sitzt die Kleine, |
10 |
Stützt den Arm auf meinen Schooß; |
11 |
Aeuglein wie zwei blaue Sterne, |
12 |
Mündlein wie die Purpurros’. |
|
|
13 |
Und die lieben, blauen Sterne |
14 |
Schau’n mich an so himmelgroß, |
15 |
Und sie legt den Lilienfinger |
16 |
Schalkhaft auf die Purpurros’. |
|
|
17 |
Nein, es sieht uns nicht die Mutter, |
18 |
Denn sie spinnt mit großem Fleiß, |
19 |
Und der Vater spielt die Zitter, |
20 |
Und er singt die alte Weis’. |
|
|
21 |
Und die Kleine flüstert leise, |
22 |
Leise, mit gedämpftem Laut; |
23 |
Manches wichtige Geheimniß |
24 |
Hat sie mir schon anvertraut. |
|
|
25 |
„Aber seit die Muhme todt ist, |
26 |
Können wir ja nicht mehr geh’n |
27 |
Nach dem Schützenhof zu Goslar, |
28 |
Und dort ist es gar zu schön. |
|
|
29 |
„Hier dagegen ist es einsam, |
30 |
Auf der kalten Bergeshöh’, |
31 |
Und des Winters sind wir gänzlich |
32 |
Wie vergraben in dem Schnee. |
|
|
33 |
„Und ich bin ein banges Mädchen, |
34 |
Und ich fürcht’ mich wie ein Kind |
35 |
Vor den bösen Bergesgeistern, |
36 |
Die des Nachts geschäftig sind.“ |
|
|
37 |
Plötzlich schweigt die liebe Kleine, |
38 |
Wie vom eignen Wort erschreckt, |
39 |
Und sie hat mit beiden Händchen |
40 |
Ihre Aeugelein bedeckt. |
|
|
41 |
Lauter rauscht die Tanne draußen, |
42 |
Und das Spinnrad schnarrt und brummt, |
43 |
Und die Zither klingt dazwischen, |
44 |
Und die alte Weise summt: |
|
|
45 |
Fürcht’ dich nicht, du liebes Kindchen, |
46 |
Vor der bösen Geister Macht; |
47 |
Tag und Nacht, du liebes Kindchen, |
48 |
Halten Englein bei dir Wacht!“ |
|
|
49 |
II. |
|
|
50 |
Tannenbaum, mit grünen Fingern, |
51 |
Pocht an’s nied’re Fensterlein, |
52 |
Und der Mond, der gelbe Lauscher, |
53 |
Wirft sein süßes Licht herein. |
|
|
54 |
Vater, Mutter schnarchen leise |
55 |
In dem nahen Schlafgemach, |
56 |
Doch wir beide, selig schwatzend, |
57 |
Halten uns einander wach. |
|
|
58 |
„Daß du gar zu oft gebetet, |
59 |
Das zu glauben wird mir schwer, |
60 |
Jenes Zucken deiner Lippen |
61 |
Kommt wohl nicht vom Beten her. |
|
|
62 |
„Jenes böse, kalte Zucken, |
63 |
Das erschreckt mich jedesmal, |
64 |
Doch die dunkle Angst beschwichtigt |
65 |
Deiner Augen frommer Strahl. |
|
|
66 |
„Auch bezweifl’ ich, daß du glaubest, |
67 |
Was so rechter Glauben heißt, |
68 |
Glaubst wohl nicht an Gott den Vater, |
69 |
An den Sohn und heil’gen Geist?“ – |
|
|
70 |
Ach, mein Kindchen, schon als Knabe, |
71 |
Als ich saß auf Mutters Schooß, |
72 |
Glaubte ich an Gott den Vater, |
73 |
Der da waltet gut und groß; |
|
|
74 |
Der die schöne Erd’ erschaffen, |
75 |
Und die schönen Menschen d’rauf, |
76 |
Der den Sonnen, Monden, Sternen |
77 |
Vorgezeichnet ihren Lauf. |
|
|
78 |
Als ich größer wurde, Kindchen, |
79 |
Noch viel mehr begriff ich schon, |
80 |
Und begriff, und ward vernünftig, |
81 |
Und ich glaub’ auch an den Sohn; |
|
|
82 |
An den lieben Sohn, der liebend |
83 |
Uns die Liebe offenbart, |
84 |
Und zum Lohne, wie gebräuchlich, |
85 |
Von dem Volk gekreuzigt ward. |
|
|
86 |
Jetzo, da ich ausgewachsen, |
87 |
Viel gelesen, viel gereist, |
88 |
Schwillt mein Herz, und ganz von Herzen |
89 |
Glaub’ ich an den heil’gen Geist. |
|
|
90 |
Dieser that die größten Wunder, |
91 |
Und viel größ’re thut er noch; |
92 |
Er zerbrach die Zwingherrnburgen, |
93 |
Und zerbrach des Knechtes Joch. |
|
|
94 |
Alte Todeswunden heilt er, |
95 |
Und erneut das alte Recht: |
96 |
Alle Menschen, gleichgeboren, |
97 |
Sind ein adliges Geschlecht. |
|
|
98 |
Er verscheucht die bösen Nebel, |
99 |
Und das dunkle Hirngespinst, |
100 |
Das uns Lieb’ und Lust verleidet, |
101 |
Tag und Nacht uns angegrinzt. |
|
|
102 |
Tausend Ritter, wohlgewappnet, |
103 |
Hat der heil’ge Geist erwählt, |
104 |
Seinen Willen zu erfüllen, |
105 |
Und er hat sie muthbeseelt. |
|
|
106 |
Ihre theuern Schwerdter blitzen, |
107 |
Ihre guten Banner weh’n! |
108 |
Ei, du möchtest wohl, mein Kindchen, |
109 |
Solche stolze Ritter seh’n? |
|
|
110 |
Nun, so schau’ mich an, mein Kindchen, |
111 |
Küsse mich und schaue dreist; |
112 |
Denn ich selber bin ein solcher |
113 |
Ritter von dem heil’gen Geist. |
|
|
114 |
III. |
|
|
115 |
Still versteckt der Mond sich draußen |
116 |
Hinter’m grünen Tannenbaum, |
117 |
Und im Zimmer unsre Lampe |
118 |
Flackert matt und leuchtet kaum. |
|
|
119 |
Aber meine blauen Sterne |
120 |
Strahlen auf in heller’m Licht, |
121 |
Und es glühn die Purpurröslein, |
122 |
Und das liebe Mädchen spricht: |
|
|
123 |
„Kleines Völkchen, Wichtelmännchen, |
124 |
Stehlen unser Brod und Speck, |
125 |
Abends liegt es noch im Kasten, |
126 |
Und des Morgens ist es weg. |
|
|
127 |
„Kleines Völkchen, unsre Sahne |
128 |
Nascht es von der Milch, und läßt |
129 |
Unbedeckt die Schüssel stehen, |
130 |
Und die Katze säuft den Rest. |
|
|
131 |
„Und die Katz’ ist eine Hexe, |
132 |
Denn sie schleicht, bei Nacht und Sturm, |
133 |
Drüben nach dem Geisterberge, |
134 |
Nach dem altverfall’nen Thurm. |
|
|
135 |
„Dort hat einst ein Schloß gestanden, |
136 |
Voller Lust und Waffenglanz; |
137 |
Blanke Ritter, Frau’n und Knappen |
138 |
Schwangen sich im Fackeltanz. |
|
|
139 |
„Da verwünschte Schloß und Leute |
140 |
Eine böse Zauberin, |
141 |
Nur die Trümmer blieben stehen, |
142 |
Und die Eulen nisten d’rin. |
|
|
143 |
„Doch die sel’ge Muhme sagte: |
144 |
Wenn man spricht das rechte Wort, |
145 |
Nächtlich zu der rechten Stunde, |
146 |
Drüben an dem rechten Ort: |
|
|
147 |
„So verwandeln sich die Trümmer |
148 |
Wieder in ein helles Schloß, |
149 |
Und es tanzen wieder lustig |
150 |
Ritter, Frau’n und Knappentroß; |
|
|
151 |
„Und wer jenes Wort gesprochen, |
152 |
Dem gehören Schloß und Leut’, |
153 |
Pauken und Trompeten huld’gen |
154 |
Seiner jungen Herrlichkeit.“ |
|
|
155 |
Also blühen Mährchenbilder |
156 |
Aus des Mundes Röselein, |
157 |
Und die Augen gießen drüber |
158 |
Ihren blauen Sternenschein. |
|
|
159 |
Ihre gold’nen Haare wickelt |
160 |
Mir die Kleine um die Händ’, |
161 |
Giebt den Fingern hübsche Namen, |
162 |
Lacht und küßt, und schweigt am End’. |
|
|
163 |
Und im stillen Zimmer Alles |
164 |
Blickt mich an so wohlvertraut; |
165 |
Tisch und Schrank, mir ist als hätt’ ich |
166 |
Sie schon früher mal geschaut. |
|
|
167 |
Freundlich ernsthaft schwatzt die Wanduhr, |
168 |
Und die Zither, hörbar kaum, |
169 |
Fängt von selber an zu klingen, |
170 |
Und ich sitze wie im Traum. |
|
|
171 |
Jetzo ist die rechte Stunde, |
172 |
Und es ist der rechte Ort; |
173 |
Staunen würdest du, mein Kindchen, |
174 |
Spräch’ ich aus das rechte Wort. |
|
|
175 |
Sprech’ ich jenes Wort, so dämmert |
176 |
Und erbebt die Mitternacht, |
177 |
Bach und Tannen brausen lauter, |
178 |
Und der alte Berg erwacht. |
|
|
179 |
Zitherklang und Zwergenlieder |
180 |
Tönen aus des Berges Spalt, |
181 |
Und es sprießt, wie’n toller Frühling, |
182 |
D’raus hervor ein Blumenwald; |
|
|
183 |
Blumen, kühne Wunderblumen, |
184 |
Blätter, breit und fabelhaft, |
185 |
Duftig bunt und hastig regsam, |
186 |
Wie gedrängt von Leidenschaft. |
|
|
187 |
Rosen, wild wie rothe Flammen, |
188 |
Sprüh’n aus dem Gewühl hervor; |
189 |
Lilien, wie krystall’ne Pfeiler, |
190 |
Schießen himmelhoch empor. |
|
|
191 |
Und die Sterne, groß wie Sonnen, |
192 |
Schau’n herab mit Sehnsuchtgluth; |
193 |
In der Lilien Riesenkelche |
194 |
Strömet ihre Strahlenfluth. |
|
|
195 |
Doch wir selber, süßes Kindchen, |
196 |
Sind verwandelt noch viel mehr; |
197 |
Fackelglanz und Gold und Seide |
198 |
Schimmern lustig um uns her. |
|
|
199 |
Du, du wurdest zur Prinzessin, |
200 |
Diese Hütte ward zum Schloß, |
201 |
Und da jubeln und da tanzen |
202 |
Ritter, Frau’n und Knappentroß. |
|
|
203 |
Aber Ich, ich hab’ erworben |
204 |
Dich und Alles, Schloß und Leut’; |
205 |
Pauken und Trompeten huld’gen |
206 |
Meiner jungen Herrlichkeit! |
Details zum Gedicht „Bergidylle“
Heinrich Heine
53
206
1046
1824
Junges Deutschland & Vormärz
Gedicht-Analyse
Das vorliegende Gedicht trägt den Titel „Bergidylle“ und stammt vom Autor Heinrich Heine (1797-1856), einem der bedeutendsten deutschen Dichter der Romantik.
Das Gedicht gibt zunächst den ersten Eindruck von Idylle und ruhiger ländlicher Szenerie mit der Hauptfigur, einem alten Mann, der auf dem Berg in einer Hütte lebt. Das lyrische Ich ist glücklich und erfährt im Laufe der Erzählung eine tiefe Intimität mit einer jungen Frau.
Im Inhalt offenbart sich die Interaktion zwischen dem lyrischen Ich und einem jungen Mädchen, das ihm seine Ängste und Geheimnisse anvertraut. Das lyrische Ich offenbart seine Überzeugungen und Erfahrungen und teilt seine Wahrnehmung von Gott und dem Heiligen Geist.
In Bezug auf Form und Sprache zeigt das Gedicht eine klare, strukturierte Aufteilung in Strophen und Verse mit einem Reimschema, das eine gewisse Melodie erzeugt. Es werden bildhafte Metaphern und lebendige Beschreibungen genutzt, um die Gefühle und Stimmungen zu übermitteln.
Im Weiteren erzählt das Mädchen von Mythen und Legenden. Das lyrische Ich bringt eine gewisse Vertrautheit mit diesen Geschichten zum Ausdruck. Es wird auch angedeutet, dass das lyrische Ich das Macht hat, die Umgebung zu verwandeln und die Fähigkeit besitzt, eine Art Zauber oder Wort zu sprechen, dass alle Veränderungen bewirken kann.
Schließlich wird das Gedicht von einem träumerischen und fantastischen Szenario dominiert, in dem das lyrische Ich und das Mädchen in ein Feenreich verwandelt werden und sie zu einer Prinzessin wird. Das Gedicht endet mit der triumphalen Proklamation des lyrischen Ichs, dass es alles, einschließlich des Mädchens, des Schlosses und der Leute, erworben hat.
Insgesamt reflektiert das Gedicht eine romantisierte und idyllische Darstellung eines Lebens in der Natur, gepaart mit tiefen spirituellen Überzeugungen und dem Gefühl von Liebe und Gemeinschaft. Es zeigt auch das Element des Übernatürlichen und Fantasiereichen, das typisch für die Werke der Romantik ist.
Weitere Informationen
Heinrich Heine ist der Autor des Gedichtes „Bergidylle“. Im Jahr 1797 wurde Heine in Düsseldorf geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1824. Erschienen ist der Text in Hamburg. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Junges Deutschland & Vormärz zugeordnet werden. Bei Heine handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 1046 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 206 Versen mit insgesamt 53 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Heinrich Heine sind „Ach, die Augen sind es wieder“, „Ach, ich sehne mich nach Thränen“ und „Ach, wenn ich nur der Schemel wär’“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Bergidylle“ weitere 535 Gedichte vor.
+ Mehr Informationen zum Autor / Gedicht einblenden.
+ Wie analysiere ich ein Gedicht?
Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Heinrich Heine
Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Heinrich Heine und seinem Gedicht „Bergidylle“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.
- Heine, Heinrich - Lyrisches Intermezzo (Gedichtinterpretation)
- Heine, Heinrich - Nachtgedanken (Gedichtinterpretation)
- Heine, Heinrich - Deutschland. Ein Wintermärchen (historischer Hintergrund & Analyse)
- Heine, Heinrich - Deutschland. Ein Wintermärchen (Gedichtinterpretation)
- Heine, Heinrich - Der Wind zieht seine Hosen an
Weitere Gedichte des Autors Heinrich Heine (Infos zum Autor)
- Abenddämmerung
- Ach, die Augen sind es wieder
- Ach, ich sehne mich nach Thränen
- Ach, wenn ich nur der Schemel wär’
- Ahnung
- Allnächtlich im Traume seh’ ich dich
- Almansor
- Als ich, auf der Reise, zufällig
- Alte Rose
- Altes Lied
Zum Autor Heinrich Heine sind auf abi-pur.de 535 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
Freie Ausbildungsplätze in Deiner Region
besuche unsere Stellenbörse und finde mit uns Deinen Ausbildungsplatz
erfahre mehr und bewirb Dich direkt