Die Einladung von Albert Knapp

Ein frommer Landmann in der Kirche saß;
Den Text der Pfarrer aus Johanne las
Am Ostermontag, wie der Heiland rief
Vom Ufer: Kindlein, habt ihr nichts zu essen?
Das drang dem Landmann in die Seele tief.
 
Daß er in stiller Wehmut dagesessen.
Drauf betet er: mein liebster Jesu Christ!
So fragest du? o wenn du hungrig bist,
So sey am nächsten Sonntag doch mein Gast
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Und halt an meinem armen Tische Rast!
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Ich bin ja wohl nur ein geringer Mann,
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Der nicht viel Gutes dir bereiten kann;
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Doch deine Huld, die dich zu Sündern trieb,
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Nimmt wohl an meinem Tische wohl vorlieb.
 
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Er wandelt heim und spricht sein herzlich Wort
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An jedem Tag, die ganze Woche fort.
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Am Samstag Morgen lässt's ihn nimmer ruhn,
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"Frau," hebt er an, "nimm aus dein bestes Huhn,
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Bereit es kräftig, fege Flur und Haus,
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Stell in die Stub' auch einen schönen Strauß!
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Denn wisse, dass du einen hohen Gast
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auf morgen Mittag zu bewirthen hast!
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Putz unre Kinderlein, mach alles rein!
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Der werthe Gast will wohl empfangen seyn."
 
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Da springen alle Kinderlein heran:
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"O Vater, wer? wie heisst der liebe Mann?"
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Die Mutter frägt: "Nun, Vater, sage mir,
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gar einen Herrn ludest du zu dir?"
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Der Vater aber lächelt, sagt es nicht,
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Und Freude glänzt in seinem Angesicht.
 
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Am Sonntag ruft der Morgenglocken Hall,
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Zum lieben Gotteshause ziehn sie all',
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Und immer seufzt der Vater innerlich:
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"O liebster Jesu, komm, besuche mich!
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Du hast gehungert, - ach, so möcht ich gern
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Dich einmal speisen, meinen guten Herrn!"
 
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Wie die Gemeinde drauf nach Hause geht,
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Die Mutter bald am Herde wieder steht.
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Das Huhn ist weich, die Suppe dick und fett,
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Sie deckt den Tisch, bereitet alles nett,
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Trägt auf und denkt bei'm zwölften Glockenschlag:
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Wo doch der Gast so lange bleiben mag!
 
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Es schlägt auf Eins; da wird's ihr endlich bang:
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"Sprich, lieber Mann, wo weilt dein Gast so lang?
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Die Suppe siedet ein, die Kinder stehn
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So hungrig da, - und noch ist nichts zu sehn.
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Wie heisset denn der Herr? ich glaube fast,
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Dass du vergeblich ihn geladen hast!"
 
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Der Vater aber winkt den Kinderlein:
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"Seyd nur getrost! er kommt nun bald herein."
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Drauf wendet er zum Himmel das Gesicht
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Und faltet zum Gebet dieHände, spricht:
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"Herr Jesu Christe, komm, sey unser Gast
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Und segne uns, was Du bescheret hast!"
 
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Da klopft es an der Thüre; .. seht, ein Greis
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Blickt matt herein, - die Locken silberweiss!
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"Gesegn' euch's Gott! erbarmt euch meiner Noth!
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"Um Christi Willen nur ein Stücklein Brod!
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"Schon lange bin ich hungrig umgeirrt;
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"Vielleicht, dass mir bei euch ein Bissen wird."
 
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Da eilt der Vater: "Komm, du lieber Gast!
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Wie du so lange doch gesäumet hast!
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Schon lange ja dein Stuhl dort oben steht;
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Komm, labe dich, du kommst noch nicht zu spät!"
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Und also führet er den armen Mann
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Mit hellen Augen an den Tisch hinan.
 
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Und: "Mutter, sieh doch! ihr Kinderlein!
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Den Heiland lud ich vor acht Tagen ein.
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Ich wusst es wohl, dass, wenn man Jesum lädt,
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Er einem nicht am Haus vorübergeht.
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O Kinder, seht! in diesem Aermsten ist
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Heut unser Gast der Heiland Jesus Christ."
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30.2 KB)

Details zum Gedicht „Die Einladung“

Autor
Albert Knapp
Anzahl Strophen
11
Anzahl Verse
72
Anzahl Wörter
521
Entstehungsjahr
1798 - 1864
Epoche
Klassik,
Romantik,
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Einladung“ stammt vom Autor Albert Knapp, der im 19. Jahrhundert lebte.

Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht als eine Darstellung religiöser Hingabe und Demut, mit einer tief greifenden Botschaft über Gastfreundschaft und Nächstenliebe. Durch die Verbindung von menschlichem Alltagsleben und spiritueller Hingabe schafft der Dichter eine inspirierende und berührende Atmosphäre.

Das Gedicht erzählt die Geschichte eines frommen Landwirtes, der durch den Bibelvers Johannes 21 vers 5, in dem Jesus seine Jünger fragt, ob sie etwas zu essen haben, dazu inspiriert wird, Jesus zu sich nach Hause ein zu laden. Auch wenn das lyrische Ich sich als „geringer“ und „armer“ Mann beschreibt, empfindet er eine tiefe Demut und Ehrfurcht gegenüber Jesus und lädt ihn ein, an seinem Tisch Platz zu nehmen. In seiner Vorbereitung zeigt er große Hingabe, indem er das Haus gründlich reinigt, ein gutes Essen vorbereitet und sogar einen schönen Blumenstrauß aufstellt. Als der erwartete Gast ausbleibt, bleibt der Landmann fest entschlossen und dann kommt ein armer alter Mann ins Haus, hungrig und in Not. Der Landmann empfängt ihn als den erwarteten Gast, und sieht in ihm Jesus Christus, wie es im Matthäusevangelium (25, 40) heißt: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“.

In Bezug auf die Form und Sprachwahl des Gedichts zeigt Albert Knapp eine bemerkenswerte Fähigkeit, eine einfache und leicht verständliche Handlung auf eine tiefgründige Art und Weise auszudrücken. Die Verse sind klar und einfach, was eine intime und warme Atmosphäre schafft und Leser aller Hintergründe anspricht. Die Strophen variieren in Länge und Versanzahl und ermöglichen ihm so, verschiedene Aspekte und Phasen der Geschichte hervorzuheben. Durch seine einfache, aber lebensnahe Sprache schafft Knapp eine starke Empathie für den Landwirt und seine Familie und hebt die grundlegende Menschlichkeit und Spiritualität der Geschichte hervor. Das Gedicht verdeutlicht somit die Christliche Lehre: In der Achtsamkeit für den Nächsten, offenbart sich das Göttliche.

Weitere Informationen

Albert Knapp ist der Autor des Gedichtes „Die Einladung“. Der Autor Albert Knapp wurde 1798 in Tübingen geboren. Zwischen den Jahren 1814 und 1864 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Klassik, Romantik, Biedermeier, Junges Deutschland & Vormärz oder Realismus zu. Prüfe bitte vor Verwendung die Angaben zur Epoche auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich Literaturepochen zeitlich überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung häufig mit Fehlern behaftet. Das 521 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 72 Versen mit insgesamt 11 Strophen. Ein weiteres bekanntes Gedicht des Autors Albert Knapp ist „Der verlorene Ring“. Zum Autor des Gedichtes „Die Einladung“ haben wir auf abi-pur.de keine weiteren Gedichte veröffentlicht.

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