An einem Grabe von Nikolaus Lenau

Kühl herbstlicher Abend, es weht der Wind,
Am Grabe der Mutter weint das Kind,
Die Freunde, Verwandten umdrängen dicht
Den Prediger, der so rührend spricht.
Er gedenkt, wie fromm die Tote war,
Wie freundlich und liebvoll immerdar,
Und wie sie das Kind so treu und wach
Stets hielt am Herzen; wie schwer dies brach.
Daß grausam es ist, in solcher Stund
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Die Toten zu loben, ist ihm nicht kund;
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Der eifrige Priester nicht ahnt und fühlt,
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Wie er im Herzen des Kindes wühlt.
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Es regnet, immer dichter, herab,
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Als weinte der Himmel mit aufs Grab,
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Doch stört es nicht den Leichensermon,
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Auch schleicht kein Hörer sich still davon.
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Die Tote hört der Rede Laut
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So wenig, als wie der Regen taut,
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So wenig als das Rauschen des Winds,
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Als die Klagen ihres verwaisten Kinds.
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Der Priester am Grabe doch meint es gut,
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Er predigt dem Volk mit Kraft und Glut,
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Verwehender Staub dem Staube,
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Daß er ans Verwehen nicht glaube.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.6 KB)

Details zum Gedicht „An einem Grabe“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
160
Entstehungsjahr
1802 - 1850
Epoche
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „An einem Grabe“ wurde von Nikolaus Lenau, einem österreichischen Dichter des 19. Jahrhunderts, verfasst. Lenau lebte von 1802 bis 1850, was ihn in die Epoche des Biedermeier und der beginnenden literarischen Romantik einordnet.

Beim ersten Lesen erzeugt das Gedicht einen melancholischen, nachdenklichen Eindruck. Die Themen Tod und Trauer stehen im Zentrum, mit einem Kind als zentralem, schmerzlich trauernden Charakter.

Inhaltlich beschreibt das Gedicht eine Beerdigungsszene an einem kühlen Herbstabend. Das Kind weint am Grab seiner Mutter, umgeben von Freunden und Verwandten. Der Priester hält eine rührende Rede über die Verstorbene, hebt ihre Frömmigkeit und ihre liebevolle Fürsorge für das Kind hervor. Lenau kritisiert jedoch, dass der Priester in seiner Unwissenheit die Wunden der Trauernden mit seinen lobenden Worten nur noch mehr aufreißt. Der Himmel weint symbolisch in Form von Regen mit den Trauernden. Trotz des Regens bleibt die Menge standhaft und hört dem Priester zu, obwohl seine Worte die Verstorbene nicht erreichen können. Der Priester predigt gut gemeint, aber unwissend, dass der Tod nur eine Transformation ist.

Formal ist das Gedicht in 24 Versen arrangiert, die keine klare, wiederkehrende Strophenstruktur aufweisen. Die Sprache ist klar und einfach gehalten, mit bildhaften Metaphern, wie dem weinenden Himmel. Der Wechsel zwischen der Beschreibung der Szene und der Kritik an der Praxis der Beerdigungsrede ist sehr dominant.

Zusammengefasst thematisiert Lenau auf eindrückliche Weise die Konfrontation mit dem Tod und der daraus resultierenden Trauer. Dabei kritisiert er die Unfähigkeit der Gesellschaft, der Realität des Todes ins Auge zu sehen und stattdessen mit idealisierten Bildern der Verstorbenen umzugehen. Dieses Verhalten wird als grausam und verwirrend für die Hinterbliebenen, insbesondere für Kinder, dargestellt.

Weitere Informationen

Das Gedicht „An einem Grabe“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Nikolaus Lenau. 1802 wurde Lenau in Csatád geboren. In der Zeit von 1818 bis 1850 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Biedermeier zugeordnet werden. Bei Lenau handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 24 Versen mit nur einer Strophe und umfasst dabei 160 Worte. Die Gedichte „Herbstgefühl“, „Herbstentschluß“ und „Herbst“ sind weitere Werke des Autors Nikolaus Lenau. Zum Autor des Gedichtes „An einem Grabe“ haben wir auf abi-pur.de weitere 51 Gedichte veröffentlicht.

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