Alte Geschichten von Friedrich Wilhelm Weber

Der Abend dämmert, es wirbelt der Wind
den Schnee von dem hohen Dache,
Großmütterchen sitzt am warmen Kamin
mit den Kleinen im warmen Gemache.
"Erzähl uns etwas, Großmütterlein!"
"Recht gern, ihr närrischen Dinger,
ihr müsst nur brav und bescheiden sein!"
Und mahnend hebt sie den Finger.
 
Dann fängt sie an: "Es war einmal ....",
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und die Kinder, sie lauschen und lauschen.
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Sie hören das Bellen des Hofhunds nicht
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und des Sturmes Zischen und Rauschen,
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und nicht das Schlagen der Schwarzwalduhr
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und der Stunde rasches Verrinnen.
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Sie sitzen und horchen mit Mund und Ohr,
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versenkt in Träumen und Sinnen.
 
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Großmutter weiß der Geschichten viel
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aus fernen vergangenen Tagen,
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von Riesen und Zwergen, von Burgen, von Seen,
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seltsame Märchen und Sagen;
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von Nixen und Elfen, von Rübezahl,
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Musikanten und Lumpengesindel,
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und wie Dornröschen im Schlaf versank,
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gestochen von giftiger Spindel.
 
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Vom Weibe, das tanzt in feurigen Schuh'n,
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von sieben Raben und Schwaben,
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von Aschenbrödel und Drosselbart
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und Hans, dem glücklichen Knaben;
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von der großen Stadt, tief unter der See,
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Vineta, der schlummernden Leiche,
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auch wohl zum Schluß vom Meister Till
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schalkhafte, lustige Streiche.
 
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Großmutter weiß der Geschichten so viel,
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als Blätter auf Büschen und Bäumen;
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die Kinder lauschen mit Ohr und Mund,
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versenkt in Sinnen und Träumen.
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Und die kleine Marie - sie lächelt und schläft;
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still wird es im trauten Gemache,
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und der Wind schläft auch, und die Sterne steh'n
40 
hell über dem hohen Dache.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.8 KB)

Details zum Gedicht „Alte Geschichten“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
233
Entstehungsjahr
1813 - 1894
Epoche
Klassik,
Romantik,
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Alte Geschichten“ wurde von Friedrich Wilhelm Weber verfasst, einem deutschen Dichter und Epiker, der in der Zeit des 19. Jahrhunderts, also zur Zeit des Biedermeiers und des Realismus, lebte.

Auf den ersten Blick entsteht eine warme atmosphärische Szene, in der Großmutter ihren Enkelkindern Geschichten erzählt. Das Gedicht ist geprägt von den Kontrasten zwischen dem gemütlichen Kaminraum und dem Wind und Schnee, der draußen herrscht.

Das lyrische Ich berichtet von einer familiären Idylle. Der zentrale Ort ist das heimelige, warme Wohnzimmer, das als sicherer Hafen besonders hervorgehoben wird. Die Großmutter erzählt den Kindern Geschichten, die ihre Aufmerksamkeit vollkommen erfordern, sie lauschen ihr fasziniert und werden in den Bann der erzählten Märchen und Sagen gezogen. Gleichzeitig bittet sie die Kinder, brav und bescheiden zu bleiben, was die moralische Komponente der Erzählstunden unterstreicht.

Die Form des Gedichts ist durch eine klare Struktur mit gleichbleibenden Strophenlängen und -versen gekennzeichnet. Dabei wird ein regelmäßiges Versmaß verwendet, was eine Harmonie erzeugt, die dem Inhalt des Gedichts entspricht.

Auffallend ist die Wiederholung der Strukturen in den Strophen, insbesondere in der ersten und fünften Strophe, die fast identisch sind und den Gedichtsablauf rahmen.

Die Sprache des Gedichts ist bildhaft und ausdrucksstark. Es wird eine Fülle von Märchen und Sagen angesprochen, die den meisten Leserinnen und Lesern bekannt sein dürften und so ein Gefühl von Vertrautheit erzeugen. Dazu tragen auch der anheimelnde Wohnraum und die schützende Großmutterfigur bei.

Insgesamt lässt sich sagen, dass Weber in diesem Gedicht das Bild einer heilen Welt entwirft, in der Werte wie Geborgenheit, Zuwendung und Tradition eine große Rolle spielen. Es erzeugt ein Gefühl der Wärme und Sicherheit. Es handelt von der Bedeutung der Erzählkultur, der Magie der Kindheit und der Weitergabe von Generationenwissen und -werten. Auch der Kontrast zwischen der behüteten Welt im Inneren des Hauses und der kalten, stürmischen Natur draußen wird durch das Gedicht erzeugt.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Alte Geschichten“ des Autors Friedrich Wilhelm Weber. Weber wurde im Jahr 1813 in Alhausen geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1829 und 1894. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Klassik, Romantik, Biedermeier, Junges Deutschland & Vormärz, Realismus, Naturalismus oder Moderne zuordnen. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das 233 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 40 Versen mit insgesamt 5 Strophen. Weitere Werke des Dichters Friedrich Wilhelm Weber sind „Meine Toten“, „Mahnung“ und „Verschmäht“. Zum Autor des Gedichtes „Alte Geschichten“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de keine weiteren Gedichte vor.

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