Das Erkennen von Johann Nepomuk Vogl

Ein Wanderbursch mit dem Stab in der Hand
Kommt wieder heim aus dem fremden Land.
Sein Haar ist bestäubt, sein Antlitz verbrannt,
Von wem wird der Bursch' wohl zuerst erkannt?
 
So tritt er ins Städtchen durchs alte Tor,
Am Schlagbaum lehnt just der Zöllner davor.
Der Zöllner, der war ihm ein lieber Freund,
Oft hatte der Becher die beiden vereint.
 
Doch sieh - Freund Zollmann kennt ihn nicht,
10 
Zu sehr hat die Sonn' ihm verbrannt das Gesicht;
11 
Und weiter wandert nach kurzem Gruß
12 
Der Bursche und schüttelt den Staub vom Fuß.
 
13 
Da schaut aus dem Fenster sein Schätzel fromm,
14 
"Du blühende Jungfrau, viel schönen Willkomm!"
15 
Doch sieh - auch das Mägdlein erkennt ihn nicht,
16 
Die Sonn' hat zu sehr ihm verbrannt das Gesicht.
 
17 
Und weiter geht er die Straße entlang,
18 
Ein Tränlein hängt ihm an der braunen Wang.
19 
Da wankt von dem Kirchsteig sein Mütterchen her,
20 
"Gott grüß euch!" so spricht er,
21 
Und sonst nichts mehr.
 
22 
Doch sieh - das Mütterchen schluchzet vor Lust;
23 
"Mein Sohn!" und sinkt an des Burschen Brust.
24 
Wie sehr auch die Sonne sein Antlitz verbrannt,
25 
Das Mutteraug' hat ihn doch gleich erkannt.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26 KB)

Details zum Gedicht „Das Erkennen“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
25
Anzahl Wörter
187
Entstehungsjahr
1802 - 1866
Epoche
Klassik,
Romantik,
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das Gedicht trägt den Titel „Das Erkennen“ und wurde von Johann Nepomuk Vogl verfasst, einem österreichischen Dichter des 19. Jahrhunderts. Inhaltlich erzählt das Gedicht die Geschichte eines jungen Mannes, der nach langer Reise aus einem fremden Land in seine Heimat zurückkehrt. Doch als er in seiner alten Heimatstadt eintrifft, erkennt ihn niemand mehr - weder der Zöllner, den er als Freund betrachtete, noch seine geliebte junge Frau. Auch wenn das lyrische Ich in der Erzählung des Gedichts nicht explizit erwähnt wird, könnte es fühlbar durch die Erzählerstimme vertreten sein, die den Burschen auf seiner Reise begleitet und seine Gefühle schildert.

Erst als seine Mutter ihn sieht, wird er erkannt. Die Art und Weise, wie seine Mutter ihn erkennt, trotz des veränderten Aussehens, könnte darauf hinweisen, dass wahre Liebe und eine innige Bindung nicht auf äußere Erscheinungen angewiesen sind, sondern vielmehr durch tiefe emotionale Verbundenheit und Kenntnis des inneren Wesens einer Person gekennzeichnet sind.

In Form und Sprache ist das Gedicht in recht einfacher, klarer Weise gehalten. Es besteht aus sechs Strophen, von denen die ersten vier jeweils aus vier Versen bestehen und die letzte aus fünf Versen. Der Rhythmus, oft gekoppelt mit einfacher Reimstruktur, gibt dem Gedicht einen narrativen, fast balladenartigen Charakter. Die Sprache ist relativ schlicht, eher volkstümlich und unkompliziert und verzichtet auf übertriebene Metaphorik oder Fachjargon. Die wiederholte Verwendung des Motivs der Sonne, die das Gesicht des Burschen verbrannt hat, betont das Thema der Veränderung und der Entfremdung.

Insgesamt könnte man das Gedicht als ein eindrucksvolles Porträt der menschlichen Beziehungen und der Frage, wie wir Identität und Zugehörigkeit erkennen, interpretieren.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Das Erkennen“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Nepomuk Vogl. Der Autor Johann Nepomuk Vogl wurde 1802 in Wien geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1818 und 1866. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Klassik, Romantik, Biedermeier, Junges Deutschland & Vormärz oder Realismus zu. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 187 Wörter. Es baut sich aus 6 Strophen auf und besteht aus 25 Versen. Der Dichter Johann Nepomuk Vogl ist auch der Autor für Gedichte wie „Waldkonzert“, „Ein Friedhofbesuch“ und „Vorgefühl“. Zum Autor des Gedichtes „Das Erkennen“ haben wir auf abi-pur.de keine weiteren Gedichte veröffentlicht.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Weitere Gedichte des Autors Johann Nepomuk Vogl (Infos zum Autor)