An das Baby von Kurt Tucholsky

Alle stehn um dich herum:
Fotograf und Mutti
und ein Kasten, schwarz und stumm,
Felix, Tante Putti...
Sie wackeln mit dem Schlüsselbund,
fröhlich quietscht ein Gummihund.
"Baby, lach mal!" ruft Mama.
"Guck", ruft Tante, "eiala!"
Aber du, mein kleiner Mann,
10 
siehst dir die Gesellschaft an...
11 
Na, und dann - was meinste?
12 
Weinste.
 
13 
Später stehn um dich herum
14 
Vaterland und Fahnen;
15 
Kirche, Ministerium,
16 
Welsche und Germanen.
17 
Jeder stiert nur unverwandt
18 
auf das eigne kleine Land.
19 
Jeder kräht auf seinem Mist,
20 
weiß genau, was Wahrheit ist.
21 
Aber du, mein guter Mann,
22 
siehst dir die Gesellschaft an...
23 
Na, und dann - was machste?
24 
Lachste.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.4 KB)

Details zum Gedicht „An das Baby“

Anzahl Strophen
2
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
101
Entstehungsjahr
1931
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „An das Baby“ wurde von Kurt Tucholsky verfasst, einem bedeutenden Journalisten und Satiriker, der während der Weimarer Republik in Deutschland aktiv war. Daher kann dieses Gedicht in die Zeit zwischen den Weltkriegen, genauer gesagt in die 1920er und 1930er Jahre, eingeordnet werden.

Beim ersten Lesen fällt auf, dass das Gedicht humorvoll und satirisch ist. Es richtet sich direkt an ein Baby und setzt sich kritisch mit der Gesellschaft auseinander, indem es zunächst eine Familienzusammenkunft und in der zweiten Strophe die politischen und sozialen Strukturen schildert.

Inhaltlich stellt das Gedicht den Kontrast zwischen der Unschuld und Naivität eines Babys und der komplexen, oft unlogischen Welt der Erwachsenen dar. In der ersten Strophe wird skizziert, wie die Familie versucht, die Aufmerksamkeit des Babys zu erregen, um ein Foto zu machen. Das Baby hingegen schaut nur verwundert zu und weint schließlich - eine einfache, aber ehrliche Reaktion. In der zweiten Strophe steht das Baby für den aufmerksamen Beobachter, der die vom Egoismus und Nationalismus geprägten Erwachsenen betrachtet. Und die Reaktion? Das Baby lacht - wieder eine einfache, aber deutliche Reaktion.

Das Gedicht hat eine klare Struktur mit zwei Strophen zu je zwölf Versen. Dabei folgt es keinem festen Reimschema. Tucholsky verwendet einfache, alltägliche Worte und Sätze, wodurch das Gedicht leicht verständlich wird. Allerdings findet sich auch Satire in seiner Wortwahl, wenn er z. B. die nationalistische Gesinnung der Erwachsenen mit der deutlichen Metapher „Jeder kräht auf seinem Mist“ kritisiert.

Die Botschaft des Gedichts scheint klar: Tucholsky lädt uns ein, die Welt mit den Augen eines Kindes zu betrachten, das unvoreingenommen und authentisch reagiert und damit die Absurdität um sich herum aufdeckt. Die Verwendung des Babys als Perspektive ermöglicht es ihm, die Gesellschaft zu kritisieren, ohne selbst explizit Position beziehen zu müssen.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „An das Baby“ ist Kurt Tucholsky. Geboren wurde Tucholsky im Jahr 1890 in Berlin. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1931 zurück. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Tucholsky ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Wichtigen geschichtlichen Einfluss auf die Literatur der Weimarer Republik hatten der Erste Weltkrieg und die daraufhin folgende Entstehung und der Fall der Weimarer Republik. Neue Sachlichkeit ist eine Richtung der Literatur der Weimarer Republik. In den ihr zugerechneten Werken ist die zwischen den Weltkriegen hervortretende Tendenz zu illusionslos-nüchterner Darstellung von Gesellschaft, Erotik, Technik und Weltwirtschaftskrise deutlich erkennbar. Dies kann man als Reaktion auf den literarischen Expressionismus werten. Die Dichter orientierten sich an der Realität. Die Handlung wurde meist nur kühl und distanziert beobachtet. Man schrieb ein Minimum an Sprache, dafür hatte diese ein Maximum an Bedeutung. Es sollten so viele Menschen wie möglich mit den Texten erreicht werden, deshalb wurde eine einfache sowie nüchterne Alltagssprache verwendet. Viele Schriftsteller litten unter der Zensur in der Weimarer Republik. Im Jahr 1922 wurde nach einem Attentat auf den Reichsaußenminister das Republikschutzgesetz erlassen, das die zunächst verfassungsmäßig garantierte Freiheit von Wort und Schrift in der Weimarer Republik deutlich einschränkte. In der Praxis wurde dieses Gesetz allerdings nur gegen linke Autoren angewandt. Aber gerade die rechts gerichteten Schriftsteller waren es häufig, die in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Die Grenzen der Zensur wurden 1926 durch das sogenannte Schund- und Schmutzgesetz nochmals verstärkt. Die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen wurden durch die Pressenotverordnung im Jahr 1931 ermöglicht.

Als Exilliteratur wird die Literatur von Schriftstellern bezeichnet, die unfreiwillig Zuflucht in der Fremde suchen müssen, weil ihre Person oder ihr Werk im Heimatland bedroht sind. Für die Flucht ins Exil geben meist religiöse oder politische Gründe den Ausschlag. Die Exilliteratur in Deutschland entstand in den Jahren von 1933 bis 1945 als Literatur der Gegner des Nationalsozialismus. Dabei spielten zum Beispiel die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 und der deutsche Überfall auf die Nachbarstaaten Deutschlands in den Jahren 1938/39 eine ausschlaggebende Rolle. Die Exilliteratur bildet eine eigene Literaturepoche in der deutschen Literaturgeschichte. Sie schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an. Die Themen der deutschen Exilliteratur lassen sich zunächst in zwei Gruppen einteilen. Einige Schriftsteller fühlten sich in ihrer neuen Heimat nicht zu Hause, hatten Heimweh und wollten einfach in ihr altes Leben vor dem Nationalsozialismus zurückkehren. Oftmals konnten sie im Ausland nicht mehr ihrer Arbeit als Schriftsteller nachgehen, da sie nur in deutscher Sprache schreiben konnten, was im Ausland niemand verstand. Heimweh und ihre Liebe zum Mutterland sind die thematischen Schwerpunkte in ihren Werken. Andere Schriftsteller wollten sich gegen Nazideutschland wehren. Man wollte einerseits die Welt über die Grausamkeiten in Deutschland aufklären. Andererseits aber auch den Widerstand unterstützen. Spezielle formale Merkmale weist die Exilliteratur nicht auf. Die Exilliteratur weist häufig einen Pluralismus der Stile (Realismus und Expressionismus), eine kritische Betrachtung der Wirklichkeit und eine Distanz zwischen Werk und Leser oder Publikum auf. Sie hat häufig die Absicht zur Aufklärung und möchte gesellschaftliche Entwicklungen aufzeigen (wandelnder Mensch, Abhängigkeit von der Gesellschaft).

Das Gedicht besteht aus 24 Versen mit insgesamt 2 Strophen und umfasst dabei 101 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Kurt Tucholsky sind „’s ist Krieg!“, „Abschied von der Junggesellenzeit“ und „Achtundvierzig“. Zum Autor des Gedichtes „An das Baby“ haben wir auf abi-pur.de weitere 136 Gedichte veröffentlicht.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Das Video mit dem Titel „Kurt Tucholsky An das Baby (1931) II“ wurde auf YouTube veröffentlicht. Unter Umständen sind 2 Klicks auf den Play-Button erforderlich um das Video zu starten.

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Kurt Tucholsky

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Kurt Tucholsky und seinem Gedicht „An das Baby“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Kurt Tucholsky (Infos zum Autor)

Zum Autor Kurt Tucholsky sind auf abi-pur.de 136 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.