Ein deutscher Postillion von Julius Karl Reinhold Sturm

Es fuhr der Herr von Zavelstein
Gar lustig in die Welt hinein,
Und vor ihm auf dem Kutscherthron
Saß Michel hoch als Postillion,
Ein Kern als wie ein Riese.
 
Und fort gings durch den Böhmerwald,
Da plötzlich tönt ein donnernd: Halt!
Zwei Räuber nahn; doch kämpft voll Mut
Der edle Herr, schon fließt sein Blut
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Aus mancher tiefen Wunde.
 
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Der Postillion schaut ruhig drein,
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Da ruft der Herr von Zavelstein:
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"Nehmt alles, nur gerbt mir dem Hund
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Dort auf dem Bock das Fell erst wund,
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Der mich so feig verlassen!".
 
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Ein Ruck - und Michel stürzt vom Bock,
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Auf seinem Rücken tanzt der Stock,
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Es trifft ihn mächtig Streich auf Streich,
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Doch stets bleibt seine Ruh sich gleich,
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Als müßt ers eben leiden.
 
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Auf einmal aber reckt er sich,
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Und immer höher streckt er sich,
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Und jetzt ein Schlag und noch ein Schlag,
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Und blutend auf dem Boden lag
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Vor ihm das Raubgesindel.
 
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"Was!" rief der Herr von Zavelstein,
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"Du toller Narr, was fiel dir ein?
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Erst läßt du mich in Not, du Wicht,
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Dann hälst du still und wehrst dich nicht,
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Und dann erschlägst du beide!?"
 
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"Herr!" sprach der Michel voller Ruh,
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"Erst schaut ich dem Spektakel zu;
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Doch als mirs selbst ans Leder ging
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Und das mich an zu jucken fing,
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Da bin ich warm geworden.
 
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Und seht, wenn ich erst einmal warm,
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Dann juckts gewaltig mich im Arm.
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Dann werd ich voller Gall und Gift,
39 
Und wohin meine Faust dann trifft,
40 
Da wächst kein Grashalm wieder!"
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.9 KB)

Details zum Gedicht „Ein deutscher Postillion“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
249
Entstehungsjahr
nach 1832
Epoche
Klassik,
Romantik,
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Ein deutscher Postillion“ wurde von Julius Karl Reinhold Sturm verfasst, einem deutschen Dichter, der von 1816 bis 1896 lebte. Seine Arbeit ist dem Biedermeier zuzuordnen, einer Epoche, die zwischen der Romantik und dem Realismus eingelagert ist und durch häusliche und familiäre Gedichte gekennzeichnet ist.

Beim ersten Lesen entsteht eine lebendige, bildreiche Erzählung, die mit Humor und Überraschungen die Aufmerksamkeit des Lesers weckt.

Das Gedicht schildert die Erlebnisse des Herrn von Zavelstein, der mit seinem Postillion, Michel, auf einer Fahrt durch den Böhmerwald von Räubern überfallen wird. Während der Herr mutig den Kampf aufnimmt und verletzt wird, bleibt Michel scheinbar untätig. Als jedoch Michel selbst von den Räubern misshandelt wird, erwacht er aus seiner Passivität und schlägt die Räuber in die Flucht.

Das lyrische Ich, der Postillion Michel, scheint durch das Gedicht eine Art passive Tapferkeit zu verkörpern - er greift erst ein, wenn er selbst betroffen ist. Das könnte als sozialkritischer Kommentar interpretiert werden – etwa auf den Eigensinn oder die Selbstbezogenheit der Menschen.

Das Gedicht besteht aus acht Strophen, die jeweils fünf Verse enthalten. Diese strenge Form bietet einen Rahmen für die Erzählung und spiegelt die zeitgenössische Präferenz für strukturierte und geordnete Verse wider. Die Sprache des Gedichts ist klar und zugänglich mit einer ausgeprägten erzählerischen Qualität. Dramatisierende und lebhafte Begriffe wie „donnernd: Halt!“ oder „blutend auf dem Boden“ tragen zur bildhaften Darstellung der Geschichte bei und verstärken die Atmosphäre und Spannung der Erzählung. Die Redewendungen und der Dialekt, die Michel spricht, charakterisieren ihn als simpel und volksnah.

Insgesamt stellt „Ein deutscher Postillion“ von Julius Karl Reinhold Sturm eine spannende Erzählung mit lebendigen Beschreibungen und einer überraschenden Wendung dar. Es regt zum Nachdenken über Mut, Selbstschutz und den menschlichen Charakter an.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Ein deutscher Postillion“ des Autors Julius Karl Reinhold Sturm. Der Autor Julius Karl Reinhold Sturm wurde 1816 in Bad Köstritz geboren. Im Zeitraum zwischen 1832 und 1896 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Klassik, Romantik, Biedermeier, Junges Deutschland & Vormärz, Realismus, Naturalismus oder Moderne kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das 249 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 40 Versen mit insgesamt 8 Strophen. Der Dichter Julius Karl Reinhold Sturm ist auch der Autor für Gedichte wie „Mir träumte“, „Meerleuchten“ und „Der Pendel“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Ein deutscher Postillion“ weitere 27 Gedichte vor.

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