An Johannes Trojan von Heinrich Seidel

Wie hat Natur die Erde reich gemacht,
Besponnen sie mit Blumen und mit Grün
Und mit des Waldes zweigendem Geäst
Die kahlen Felsen selbst mit Moos bemalt
Und buntgefärbten Flechten.
Alles rings
So reich und schön. Wohin das Auge dringt
Und flehend sich in's Einzelne vertieft,
Erfreut es sich am holden Wechselspiele
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Von Blüthen und Geblätter.
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Tausendfach,
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Millionenfach verschieden Form und Farbe.
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Wie zierlich schaun aus rispenreichem Gras
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Die Mäulerchen, die Glöckchen, und die Sterne,
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Hier hält die Eine Tellerchen empor
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Wie bittend um der Sonne goldnen Schein,
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Die Andre trotzig, stachelzweigbewehrt,
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Mit rothem Antlitz schaut aus dorn'ger Kappe!
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Hier ist ein Goldschein in das Gras gefärbt,
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Und dort ein blaues Leuchten eingewoben,
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Und hier das Grün von Purpur überglüht!
 
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Auf dunkeln Wassern schwimmt's im Silberschein
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Und goldne Krönlein tauchen aus der Fluth
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Es grünt am Grund mit zierlichem Gefieder
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Und rauscht am Ufer federnbuschgeschmückt,
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Allüberall - selbst ödem Dünensand
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Entringt sich froh ein strotzendes Geschlecht,
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Und kluge Pflänzchen spinnen ihre Ranken.
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Indess die Wurzel in der Tiefe saugt.
 
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Vielfältig sind die einen ausgebreitet:
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Wohin das Auge schaut, da nicken sie.
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Doch einsam nur und selten blühn die andern.
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Vielleicht in eines Thales stillem Grund,
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Wohin dein Schritt sich träumerisch verlor
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Als wie ein Märchenwunder steht sie da,
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Des holden Zaubers voll, die blaue Blume:
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Bescheiden, fromm, der Schönheit unbewusst.
 
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Solch eine Wunderblume kenn' ich wohl!
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Sie blüht, wo zwei sich zu einander finden,
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Verständniss zu Verständniss sich gesellt,
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Und was im Einen tönt, im Andern klingt
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Und wiederhallt. Ach, seltner blüht sie wohl,
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Als mancher weiss und denkt:
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Ein gut Gedeihn,
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Das soll mein Wunsch für diese Blume sein!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.2 KB)

Details zum Gedicht „An Johannes Trojan“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
45
Anzahl Wörter
270
Entstehungsjahr
1842 - 1906
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „An Johannes Trojan“ wurde von Heinrich Seidel geschrieben, einem deutschen Ingenieur und Schriftsteller, der im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert lebte und wirkte.

Auf den ersten Blick fällt auf, dass sich das Gedicht stark durch Natur-Beschreibungen auszeichnet. Diese sind ausführlich und erzeugen eine überschwängliche Atmosphäre. Es scheint, als hätte der Dichter eine tiefe Bewunderung und Ehrfurcht für die Schönheit und Vielfalt der Natur.

Inhaltlich lässt sich das Gedicht in zwei Hauptteile gliedern. Der erste Teil, beginnend mit den ersten 21 Versen, handelt vom Staunen und der Bewunderung die das lyrische Ich gegenüber der Vielfalt und Schönheit der Natur empfindet. Der Blick richtet sich auf verschiedene Aspekte der Natur, angefangen bei Blumen und Gräsern, über die Farben und Formen der Pflanzen, bis hin zur Üppigkeit des Lebens auch in ansonsten kargen Landschaften. Das lyrische Ich scheint von der unerschöpflichen Schönheit, die es in der Natur findet, überwältigt und inspiriert zu sein.

Der zweite Teil des Gedichts, beginnend mit Vers 38, scheint eine Metapher für menschliche Beziehungen darzustellen. Die „Wunderblume“, von der das lyrische Ich spricht, scheint eine symbolische Darstellung einer tiefen, gegenseitig nährenden menschlichen Beziehung zu sein – wo ein „Verständnis zu Verständnis sich gesellt“ und „was im Einen tönt, im Andern klingt“. Der Charakter der Beziehung und das handelnde Subjekt bleiben dabei offen – es können enge Freundschaften sein, aber auch intime Beziehungen. Genau wie bei der Naturschönheit, äußert das lyrische Ich auch hier Staunen und Bewunderung, betont jedoch gleichzeitig die Seltenheit dieser Art von Beziehungen.

In Bezug auf Form und Sprache ist das Gedicht in vier Strophen – 21, 8, 8 und 8 Verse – unterteilt. Die Sprache ist eher einfach und leicht verständlich, mit schönen, bildhaften Metaphern und Vergleichen. Deutlich wird die starke Präsenz der Natur und Farbe, die die Schönheit und Vielfalt des Lebens widerspiegeln.

Insgesamt lässt sich abschließen, dass das Gedicht eine tiefe Wertschätzung sowohl für die Schönheit der Natur und ihrer Vielfalt als auch für tiefe menschliche Beziehungen zum Ausdruck bringt. Seidel stellt gekonnt den Vergleich zwischen der natürlichen Welt und der menschlichen Beziehungen her, um die Schönheit, die Seltenheit und den Wert beider zu betonen und den Leser dazu zu bewegen, beides im eigenen Leben zu suchen und zu schätzen. Seine Botschaft ist universell und zeitlos.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „An Johannes Trojan“ des Autors Heinrich Seidel. Geboren wurde Seidel im Jahr 1842 in Perlin (Mecklenburg-Schwerin). Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1858 und 1906. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Realismus, Naturalismus oder Moderne zugeordnet werden. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das Gedicht besteht aus 45 Versen mit insgesamt 4 Strophen und umfasst dabei 270 Worte. Heinrich Seidel ist auch der Autor für Gedichte wie „Die Musik der armen Leute“, „Der Zug des Todes“ und „Der Tod Moltkes“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „An Johannes Trojan“ weitere 216 Gedichte vor.

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