Glocken-Kanonen-Glocken von Heinrich Seidel

Die Zeit ist hart, verwüstet ist das Land!
Den Schrecken vor sich, hinter sich den Tod
Durchzieht ein wechselvoller Krieg die Fluren!
Rauchsäulen Tag's,des Nachts gluthrother Schein
Verkünden seine grauenvolle Spur!
Die Zeit ist hart! Bedrückung, Noth und Pest
Und frecher Siegesübermuth, das ganze,
Entsetzensvolle, gier'ge Kriegsgewürm
Saugt an des Landes Mark. Mit stillem Grollen
10 
Erträgt's der Mann. Ein Gähren schwer und heimlich,
11 
Ein dumpfes Murren brodelt durch das Volk
12 
Und im Verborgnen schwillt und wächst empor
13 
Aus jeglicher Bedrückung neues Leben,
14 
Aus jedem Unrecht frische Kräfte saugend!
15 
Der wilde Drang, sich jählings zu befrein!
 
16 
Und sieh, es kommt der Tag, wo allgewaltig
17 
Die langverhaltne Gluth zum Himmel braust!
18 
Es kommt der Tag mit todesmuth'gem Jauchzen
19 
Begrüsst - der goldne Tag, der Alt und Jung,
20 
Den Knaben, der des Schwertes mächtig kaum,
21 
Den Greisen auch, der dessen längst entwöhnt,
22 
Zu einem wildersehnten Ziel vereint!
23 
Das Land ist arm, zu lange sog sein Blut
24 
Der Drache Krieg. Doch, was er übrig liess,
25 
Nun strömt's herbei aus den verborgnen Quellen:
26 
Vererbter Schmuck, um den Erinnerungen
27 
Wie Bienen summen! Tausend goldne Reifen
28 
Für Eisenringe fröhlich ausgewechselt!
29 
Holdselge Jungfraun, deren einziger Schmuck
30 
Die Tugend und die Schönheit nur - das Schönste,
31 
Des schweren Goldhaars langgehegte Zier,
32 
Mit Freudenthränen bringen sie es dar!
 
33 
Heut gilt nur das, was Waffen führt und schafft!
34 
Das langgehegte Heil'ge wird vernichtet
35 
Um zu vernichten! Ja, des Friedens Glocken,
36 
Sie rufen Mord und Brand durch alle Gauen,
37 
Und nicht genug: Da Alles dient dem Einen
38 
Herunter nur! - die Zeit ist schwer: Kanonen
39 
Bedarf sie mehr als Glocken jetzt! Kanonen,
40 
Die sprechen nun das Wort, das einzig gilt!
 
41 
Und sich, was eine tapfere Glocke ist,
42 
Auch als Kanone thut sie ihre Pflicht:
43 
Wie haben wacker sie gebrüllt - und Mord
44 
Und Tod gespieen, und eher nicht geschwiegen,
45 
Bis dass Victoria rief ihr Donnermund,
46 
Bis dass in seines eignen Landes Marken
47 
Des Feindes wilde Macht zu Boden lag!
 
48 
Und Friede wird es nun! Ein theurer Friede,
49 
Erkämpft mit letzter Kraft, mit bestem Blut!
50 
Doch weiter rinnt die Zeit! Sie kehrt das dunkle,
51 
Das trauervolle Schwarz in heitre Töne,
52 
Begrünt die Gräber, färbt mit Blumen sie,
53 
Und fröhlich zieht der Landmann seine Furchen
54 
Und singend streut er neues Leben aus,
55 
Wo vor ihm rauh der blut'ge Tod gedüngt!
56 
Und wieder Glocken braucht die Zeit!
57 
Zurück nun zu des Friedens Weihedienst,
58 
In seine alten Formen strömet neu
59 
Das fügsame Metall - und hoch vom Thurm
60 
In alle Lande dröhnet donnermächtig
61 
Der neuerstandnen Glocken Friedensklang:
62 
"O möcht' es ewig Frieden sein und bleiben!"
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.6 KB)

Details zum Gedicht „Glocken-Kanonen-Glocken“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
62
Anzahl Wörter
420
Entstehungsjahr
1842 - 1906
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht, unter dem Titel „Glocken-Kanonen-Glocken“, stammt vom, in der Zeit des Realismus' schreibenden, deutschen Dichter Heinrich Seidel, der von 1842 bis 1906 lebte.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht düster und schwer, führt es den Leser doch durch die Verwüstungen einer Kriegszeit und erwähnt dabei Tod, Verderben und Leid. Doch es endet mit einer hoffnungsvollen Note und einem angehenden Frieden.

Im Wesentlichen beschreibt das lyrische Ich die Zerstörung eines Landes durch Krieg und dies geschieht in einer Weise, die den Schrecken des Krieges sehr deutlich macht. Trotz der Zerstörung und des Leids, die der Krieg mit sich bringt, spricht das lyrische Ich von einer heimlichen Revolte und einem wachsenden Wunsch nach Befreiung und Frieden. Der zweite Teil des Gedichts zeigt dann den beginnenden Aufstand und die Einigkeit des Volkes gegen den Krieg. Dabei werden Wertgegenstände wie Schmuck und Glocken für die Kriegsanstrengung geopfert. Doch, so mahnt das lyrische Ich an, ist der Krieg nicht das ultimative Ziel, sondern nur ein Mittel zur Befreiung und zum Frieden.

In Bezug auf die Form und Sprache des Gedichtes ist zu bemerken, dass Seidel eine vielfältige Anzahl an Versen und Reimen verwendet. Er spricht das vorhandene Leid direkt an, nutzt dabei zugleich ansprechende Naturmetaphern und bildliche Sprache, um die Schönheit und das Leben, die selbst in einer solchen, finsteren Zeit vorhanden sind, zu unterstreichen. Dabei verwendet er eine durchaus eindringliche und pathosgeladene Sprache, die die Leidenschaft und den Wunsch nach Frieden unterstreicht. Die Verwendung der Glocken und der Kanonen als wiederkehrende Symbole schafft ein starkes Bild des Übergangs vom Frieden zum Krieg und schließlich wieder zurück zum Frieden.

Insgesamt zeigt das Gedicht „Glocken-Kanonen-Glocken“ eindrücklich die Gräuel des Krieges auf, hebt aber auch die Hoffnung und den unbedingten Wunsch nach Frieden hervor. Mit seiner bildlichen, eindrucksvollen und zugleich einfühlsamen Sprache macht Seidel den Leser sowohl zum Zeugen der Zerstörung als auch zum Hoffnungsträger des kommenden Friedens.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Glocken-Kanonen-Glocken“ des Autors Heinrich Seidel. 1842 wurde Seidel in Perlin (Mecklenburg-Schwerin) geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1858 und 1906. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Realismus, Naturalismus oder Moderne zuordnen. Die Richtigkeit der Epochen sollte vor Verwendung geprüft werden. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da es keine starren zeitlichen Grenzen bei der Epochenbestimmung gibt, können hierbei Fehler entstehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 420 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 62 Versen. Die Gedichte „Hänschen auf der Jagd“, „Die Gaben“ und „Der Luftballon“ sind weitere Werke des Autors Heinrich Seidel. Zum Autor des Gedichtes „Glocken-Kanonen-Glocken“ haben wir auf abi-pur.de weitere 216 Gedichte veröffentlicht.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Weitere Gedichte des Autors Heinrich Seidel (Infos zum Autor)

Zum Autor Heinrich Seidel sind auf abi-pur.de 216 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.