Warten lernen! von Fritz Fabricius Max Karl von Ostini

Stehen ein paar an der Straßenecke,
Lesen den amtlichen Kriegsbericht,
Und ein dicker Philister spricht:
?'s geht halt verteufelt langsam vom Flecke
Schützengraben um Schützengraben
Nimmt man ja freilich da und dort,
Führt ein paar hundert Gefangene fort!
Aber wir müßten Erfolge haben,
Daß das Ausland erkennt mit Zittern:
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Deutschland ist nimmermehr zu erschüttern!
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Daran seht's! Hat die Führung schuld?
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Jedenfalls fordert sie viel Geduld!"
 
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Fährt einer drein in hellem Grimme,
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Ein junger Soldat im grauen Rock,
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Der mühsam humpelt an seinem Stock
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Und dem vor Aerger schier bricht die Stimme:
 
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?Geht's Euch zu langsam da herinnen?
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Ihr spürt halt zu wenig von Krieg und Not.
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Sollten zum Frühstück und Abendbrot
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Täglich wohl ein Schlacht gewinnen,
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Daß Euch's am Stammtisch besser schmeckt?
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Wenn ihr die Köpfe zusammensteckt,
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Kannegießernd von Sieg und von Beute,
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Möchtet ihr prahlen: ?Ja wir sind halt Leute!
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Kreuzdonnerwetter! Wir lassen nicht locker!"
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Wüßtet ihr nur, ihr Ofenhocken,
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Mit wie viel Opfern und Mühen und Qualen
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Wir die ?Kleinigkeit" bezahlen,
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Die ihr da lest mit saurem Gesicht,
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Maulend und nörgelnd: Recht viel sei's nicht!
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Fußbreit um Fußbreit heißt's bis zu den Knöcheln
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Schreiten im Blute, und Todesröcheln
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Macht eine böse Musik dabei,
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Nicht immer jubelnder Hurraschrei!
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Hungern und Dursten heißt's auch mitunter
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Nachts halten uns die Granaten munter
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Wenn wir, in feutkalte Löcher vergraben,
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Mal eine Stunde zu rasten haben!
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Jede Stunde gebiert unsrer Schar
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Andre Leiden und andre Gefahr,
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Jede Minute rinnt rotes Blut.
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Aber mit eisernem Heldenmut
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Harren sie aus im deutschen Heere,
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Wissen kaum selbst ihrer Opfer Schwere.
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Wühlen sich weiter, Schritt für Schritt!
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Stündlich gefaßt auf der Sense Schnitt!
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Warten in solchen Tagen und Nächten,
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Merkt Euch's, ist härter als Stürmen und Fechten!
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Just das gewaltigste Heldentum
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Erntet da wenig vom schallenden Ruhm!
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Oft wär' uns lieber das tollkühnste Wagen
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Müssen aber das Warten ertragen ...
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Tragt es nur auch, da ihr nicht versteht
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Daß die Sache ?so langsam" geht,
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Daß sie nicht Tausend kostbarer Leben
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Merkt Euch's: ein Held ist dort jeder Mann!
57 
Nutzlos dem Spießer zum Opfer geben,
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Der auf das Ende nicht warten kann!"
 
59 
Spricht's und humpelt so weiter ... Verdrossen
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Sieht man den Dicken mit Rot übergossen,
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Sacht' um die Ecke nach Hause schlürfen.
62 
Brummend: ?Man wird dohc noch reden dürfen!"
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (28 KB)

Details zum Gedicht „Warten lernen!“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
62
Anzahl Wörter
370
Entstehungsjahr
1861 - 1927
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Dieses Gedicht wurde von Max Karl von Ostini verfasst, einem deutschen Dichter und Schriftsteller, der zwischen 1861 und 1927 lebte. Eine zeitliche Einordnung kann aufgrund des im Text erwähnten Krieges als die Zeit des Ersten Weltkriegs, beginnend ab 1914, erahnt werden.

Der erste Eindruck des Gedichts lässt auf eine kritische Auseinandersetzung mit der öffentlichen Wahrnehmung des Krieges schließen. Es scheint die unterschiedlichen Perspektiven und Misverständnisse zwischen denen an der Front und jenen in der Heimat zu thematisieren.

Inhaltlich beginnt das Gedicht mit der Beschreibung einiger Leute, die an einer Straßenecke stehen und den Kriegsbericht lesen. Eine Person äußert ihren Unmut über die Langsamkeit des Krieges. An dieser Stelle erhebt sich die Stimme eines jungen, verletzten Soldaten, der eine andere Perspektive einbringt. Er wirft den Zuhörern vor, wenig vom Krieg und seinen Schwierigkeiten zu verstehen und fügt hinzu, dass der Krieg mit vielen Opfern, Schmerzen und Qualen verbunden ist. Er betont die Härten der Front, von Hunger und Durst, Granaten und dem ständigen Voranschreiten im Blut seiner Kameraden. Er betont die Schwere des Wartens, das manchmal härter ist als das Kämpfen selbst. Zum Schluss humpelt der Soldat weiter, während der Zuhörer verdrossen nach Hause schlurft.

Das lyrische Ich - in diesem Falle der Soldat - möchte die brutale Realität des Krieges gegenüber der entfernten Wahrnehmung derer an der Heimatfront betonen. Dies ist eine Kritik an der Unkenntnis und Gleichgültigkeit derer, die den Krieg aus der Ferne erleben und nicht die Opfer und Schwierigkeiten verstehen, denen die Soldaten gegenüberstehen.

Das Gedicht hat keine bestimmte Metrik oder Reimstruktur, was zur rauen, direkten und eindringlichen Stimmung beiträgt. Die Sprache ist alltäglich und direkt, ohne Metaphern oder symbolische Bilder, was die Realität des Krieges unterstreicht. Die Verwendung von Ausrufezeichen und direkter Ansprache intensiviert die emotionale Intensität und Verzweiflung in der Stimme des lyrischen Ichs. Insgesamt dient die Form und Sprache dazu, die Botschaft des Gedichts zu verstärken: die brutalen Realitäten des Krieges und die entscheidende Rolle des Wartens.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Warten lernen!“ des Autors Fritz Fabricius Max Karl von Ostini. 1861 wurde Ostini in München geboren. Zwischen den Jahren 1877 und 1927 ist das Gedicht entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Realismus, Naturalismus, Moderne, Expressionismus, Avantgarde / Dadaismus oder Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit zuordnen. Die Richtigkeit der Epochen sollte vor Verwendung geprüft werden. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da es keine starren zeitlichen Grenzen bei der Epochenbestimmung gibt, können hierbei Fehler entstehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 370 Wörter. Es baut sich aus 4 Strophen auf und besteht aus 62 Versen. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Warten lernen!“ keine weiteren Gedichte vor.

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