Morgengefühl von Justinus Kerner

1	Der Morgenröte Schein
2	Den neuen Tag verkündet,
3	Es steht der junge Hain
4	Von Liebesglut entzündet.
5	Die Sterne, Wanderns satt,
6	Sind längst hinabgestiegen,
7	Die Vögel an der Statt
8	Froh durch den Himmel fliegen.
9	Das arme Herz voll Pein
10	Ist bang und schwer befangen;
11	Es sitzt ein Vögelein
12	Krank hinter Eisenstangen.
13	Wohl hört es den Gesang,
14	Den frohen Flug der andern,
15	Da sitzt es, matt und krank,
16	Kann singen nicht, noch wandern;
17	Und meinte doch im Traum,
18	Das Haupt versteckt im Flügel,
19	Es fängt' au einem Baum,
20	Flög' über Tal und Hügel.
21	Erlisch, du Sonnenstrahl!
22	Nacht komm empor gestiegen,
23	Daß über Berg und Tal
24	Wir wieder fröhlich fliegen.

Details zum Gedicht „Morgengefühl“

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Morgengefühl“ wurde von Justinus Kerner verfasst, einem deutschen Dichter, der zwischen 1786 und 1862 lebte. Dies ordnet das Gedicht zeitlich in die Epoche der Spätromantik ein.

Auf den ersten Blick handelt das Gedicht von der natürlichen Schönheit der aufkommenden Morgendämmerung und dem darauf folgenden Trubel der Welt, während es gleichzeitig eine gewisse Melancholie und Verzweiflung offenbart, die vom lyrischen Ich ausgedrückt wird.

Im Einzelnen lassen sich sechs Strophen aus je vier Versen identifizieren. Die ersten beiden Strophen beschreiben den jungen Morgen, mit der aufgehenden Sonne und der naiven Fröhlichkeit der Vögel. Doch dann schwenkt das Gedicht in der dritten Strophe um und beschreibt das Herz, das voller Sorge und Pein ist, symbolisiert durch ein kleines, kranke Vöglein, das hinter Gitterstäben sitzt. So kann es weder singen noch fliegen, obwohl es im Traum das Gefühl hatte frei durch die Luft zu fliegen. In der letzten Strophe wird der Wunsch nach der Nacht ausgesprochen, sodass das leidende Herz Ruhe finden kann.

Kerner verwendet hier eine sehr einheitliche und harmonische Form und verwendet einfache, prägnante Sprache, um seine Botschaft zu vermitteln. Es lässt sich vermuten, dass das lyrische Ich diese Vögel und die natürliche Umgebung als eine Metapher für seine eigenen Gefühle verwendet. Während die Welt um ihn herum aufwacht und zum Leben erwacht, ist das lyrische Ich gefangen in seinen eigenen Ängsten und Sorgen. Es ist außerstande, sich an der Freude, die die neue Morgendämmerung bringt, zu beteiligen. Es ist getrennt von der Schönheit der Natur durch seine eigene Melancholie und Verzweiflung.

Insgesamt ist das Gedicht „Morgengefühl“ sowohl in seiner Form als auch in seiner Botschaft typisch für die Epoche der Romantik und spiegelt die tiefe Auseinandersetzung der Dichter dieser Zeit mit ihren eigenen Gefühlen und Zuständen wider. Es ist eine poetische Reflexion von Kernal über seine eigene Sehnsucht nach Freiheit und Glück und über die Schwierigkeiten, diese Ziele in einer Welt zu erreichen, die manchmal zu fröhlich und unberührt erscheint.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Morgengefühl“ ist Justinus Kerner. Kerner wurde im Jahr 1786 in Ludwigsburg geboren. Im Zeitraum zwischen 1802 und 1862 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Klassik, Romantik, Biedermeier, Junges Deutschland & Vormärz oder Realismus zugeordnet werden. Prüfe bitte vor Verwendung die Angaben zur Epoche auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich Literaturepochen zeitlich überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung häufig mit Fehlern behaftet. Das 106 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 24 Versen mit insgesamt 6 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Justinus Kerner sind „Der Wanderer in der Sägemühle“, „Abschied“ und „Das treue Roß“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Morgengefühl“ weitere 20 Gedichte vor.

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