Sankt Martinus von Johannes Daniel Falk

Als Kaiser Theodosius
Regierte mit Arcadius,
Einem Reiter aus Pannonia,
Mit Namen Martin, dies geschah:
 
Er kam in Sturm und Schnee einst mitten
Zu einem Ort hinein geritten;
Da fleht' alsbald ein armer Mann
Um eine kleine Gab' ihn an.
Der Mann war elend, nackt und bloß,
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Der Wind ging auf die Haut ihm los.
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Herr Martin hätt' ihm für sein Leben
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Gern Koller, Rock und Wams gegeben;
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Allein ihr wißt wohl, ein Soldat
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Sehr wenig zu verschenken hat.
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Doch hielt er an auf hohem Roß,
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Worauf der Regen niederfloß,
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Und sprach: "Der Mann ist nackt und bloß;
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Es muß ja grad' auch Geld nicht sein,
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Ich will ihm dennoch was verleihn."
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Sein Schwert drauf mit der Faust gefaßt,
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Haut er von seinem Mantel fast
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Des einen Zipfels Hälft' herab,
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Die er dem armen Manne gab.
 
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Der Arme nimmt das Stück sogleich
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Und wünscht dafür das Himmelreich
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Dem guten frommen Reitersmann,
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Der sich nicht lange drauf besann.
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Wie der gesagt sein Gratias,
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So reitet dieser auch fürbaß
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Zu einer armen Witwe Thür
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Und legt daselbst sich ins Quartier,
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Nimmt Speis' und Trank ein wenig ein
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Es wird nicht viel gewesen sein.
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Nachdem er also trunken, gessen
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Und das Gebet auch nicht vergessen,
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Legt er sich nieder auf die Streu,
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Ob's eins gewesen oder zwei,
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Das hat die Chronik nicht gemeld't;
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Drum laß ich's auch dahingestellt.
 
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Alsbald begiebt sich's in der Nacht,
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Daß er von einem Schein erwacht;
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Der zwingt das Aug' ihn aufzuschließen.
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Da steht ein Mann zu seinen Füßen,
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Sein Haupt trägt eine Dornenkron':
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Er ist's, er ist's, des Menschen Sohn!
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Mit tausend Engeln, die ihm dienen,
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Ist plötzlich unser Herr erschienen
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In aller seiner Herrlichkeit;
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Und mit dem Mantel, welchen heut
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Der Martin von Pannonia,
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Der dessen gar nicht sich versah,
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Geschenkt dem armen Bettelmann,
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Ist unser Heiland angethan.
 
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Und so der Herr zu Petrus spricht:
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"Siehst du den neuen Mantel nicht,
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Den ich hier auf den Schultern trage?"
57 
Auf des Apostels weit're Frage,
58 
Wer ihm den Mantel denn geschenkt,
59 
Das Aug' auf Martin hingesenkt,
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Mit einem sanften Himmelston
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Fährt also fort des Menschen Sohn:
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"Der Martin hier, der ist es eben,
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Der diesen Mantel mir gegeben.
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Ermuntre dich! Steh auf mein Knecht,
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Den ich erwählt, du bist gerecht!
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Du warst bisher ein blinder Heide;
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Das Schwert, das steck' nun in die Scheide!
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Ein Streiter Gottes soll auf Erden
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Mein frommer Bischoff Martin werden"
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Als dieses Wort der Herr gesagt,
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So kräht der Hahn, der Morgen tagt.
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Ein Engel küßt des Mantels Saum,
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Und Martin ist erwacht vom Traum,
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Denkt nach, klopft an ein Kloster an
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Und ist, getreu nach Christi Worten,
76 
Aus einem wilden Reitersmann
77 
Ein großer, frommer Bischof worden.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.8 KB)

Details zum Gedicht „Sankt Martinus“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
77
Anzahl Wörter
443
Entstehungsjahr
1768 - 1826
Epoche
Aufklärung,
Empfindsamkeit,
Sturm & Drang

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Sankt Martinus“ wurde von Johannes Daniel Falk geschrieben, einem deutschen Dichter, der von 1768 bis 1826 lebte. Sein Werk steht somit in der späten Aufklärungsperiode, auch bekannt als die Goethezeit.

Auf den ersten Blick fällt der erzählende Charakter des Gedichtes auf. Es kommt eher als eine erzählende Ballade denn als ein lyrisches Gedicht im engeren Sinne rüber. Es erzählt die Legende des Heiligen Martin, einem römischen Militär, der bekannt für seine großzügige Haltung gegenüber den Armen war.

Im Inhalt erzählt das Gedicht die bekannte Legende von Martin, der auf seinem Pferd bei Schnee und Sturm reitet und einem bettelnden, nackten Mann begegnet. Obwohl er als Soldat nicht viel besitzt, teilt Martin seinen Mantel mit seinem Schwert und gibt die Hälfte dem frierenden Mann. Später erscheint ihm im Traum Christus, gekleidet in den geteilten Mantel, und dankt ihm für seine Großzügigkeit. Nach diesem Traum lässt Martin sein militärisches Leben hinter sich und wird Bischof.

Dieses Gedicht enthält eine deutliche moralische Botschaft, die vom lyrischen Ich erzählt wird: Die Geschichte von Martin, dem großzügigen Soldaten, der zum Bischof wird, ist eine Anregung zur Nächstenliebe und Großzügigkeit gegenüber den Armen und Bedürftigen.

In der Form ist das Gedicht in freie Verse ohne festes Reimschema geschrieben. Es gliedert sich in fünf Strophen unterschiedlicher Länge. Durch die Form wirkt es eher wie eine epische Erzählung als ein typisches Gedicht.

Die Sprache des Gedichts ist relativ einfach und erzählend, mit wenig metaphorischer Verschleierung oder Poesie. Es gibt eine Reihe von Dialogen in dem Gedicht, die dazu dienen, die Handlung voranzutreiben und die Reaktionen der Charaktere auf die Ereignisse zu zeigen. Viele der Verse sind direkten Aussagen oder handlungsorientiert, was dem Gedicht einen stark narrativen, fast prosaischen Charakter verleiht. Es fehlen die typisch lyrischen Elemente wie Metaphern, Symbole oder Introspektionen.

Insgesamt ist „Sankt Martinus“ ein erzählendes Gedicht, das eine moralische Botschaft in einer einfachen, klaren Sprache vermittelt. Es ist eher eine erzählende Ballade als ein typisches lyrisches Gedicht.

Weitere Informationen

Johannes Daniel Falk ist der Autor des Gedichtes „Sankt Martinus“. Im Jahr 1768 wurde Falk in Danzig geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1784 bis 1826 entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm & Drang, Klassik, Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zu. Prüfe bitte vor Verwendung die Angaben zur Epoche auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich Literaturepochen zeitlich überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung häufig mit Fehlern behaftet. Das 443 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 77 Versen mit insgesamt 5 Strophen. Die Gedichte „Wie mit grimmgem Unverstand“, „Was kann schöner sein“ und „O du fröhliche“ sind weitere Werke des Autors Johannes Daniel Falk. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Sankt Martinus“ keine weiteren Gedichte vor.

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