Vogelweisheit von Rudolf Baumbach

Die Grete half am ersten Mai
Der Mutter Bohnen legen,
Des Nachbars Hans kam auch herbei
Und sprach von Wind und Regen.
Die Mutter ließ die Arbeit stehn
Und schlich sich nach der Tennen.
Da hub der Haushahn an zu krähn
Und sprach zu seinen Hennen:
"Ei, ei, die Alte läßt allein
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Mit einem Mann ihr Töchterlein.
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Ihr Weiberleut', ich merke,
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Es ist etwas im Werke.!
 
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Bescheiden zogen sich zurück
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Der Hahn und seine Hühner.
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Der Hans in seinem Liebesglück
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Ward kühner, immer kühner;
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Am Ende schlang er seinem Schatz
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Den linken Arm ums Leibchen.
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Das sah vom Scheunendach der Spatz
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Und sprach zu seinem Weibchen:
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"Wenn das geschieht zur Maienzeit,
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Und sie nicht Mord und Zeter schreit,
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So hat's was zu bedeuten,
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Zumal bei jungen Leuten"
 
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Die Grete trug an ihrer Hand
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Auf einmal einen Reifen
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Nun mag der Spatz im ganzen Land
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Von ihrem Glücke pfeifen.
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Vom Kirschbaum sanken auf das Paar
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Viel weiße Blütenblätter,
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Und im Geäste saß ein Star,
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Der sprach zu seinem Vetter:
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"Es ist ein sehr bedenklich Ding,
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Wenn sich ein goldner Fingerring
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Begeben hat aufs Wandern
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Von einer Hand zur andern."
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Vogelweisheit“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
36
Anzahl Wörter
188
Entstehungsjahr
1840 - 1905
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Vogelweisheit“ wurde von Rudolf Baumbach verfasst, einem deutschen Schriftsteller und Lyriker, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebte und wirkte.

Beim ersten Lesen des Gedichts fällt das leichte, heitere und volksliedhafte Erzählgefühl auf, das durch die einfache Sprache und den erzählenden Stil erzeugt wird. Es wird eine einfache, alltägliche Szene des ländlichen Lebens dargestellt, die jedoch durch Beobachtungen und Kommentare verschiedener Vögel eine tiefergehende Bedeutung erhält.

Im Inhalt des Gedichtes geht es um ein junges Mädchen namens Grete, das zusammen mit Hans, dem Jungen aus der Nachbarschaft, im Garten Bohnen anlegt. Die Mutter lässt die beiden alleine und ein Hahn beobachtet die Situation misstrauisch. Als Hans durch sein sich steigerndes Selbstvertrauen kühner wird und Grete umarmt, interpretiert dies ein Spatz als ein Zeichen von aufkeimender Liebe. Schlussendlich wird ein Ring an Gretes Hand bemerkt, was von einem Star als Anzeichen einer Verpflichtung oder Ehe interpretiert wird.

Durch die Perspektive der Vögel enthüllt das lyrische Ich die versteckten Emotionen und unausgesprochenen Vereinbarungen, die sich zwischen den menschlichen Charakteren abspielen. Das Gedicht kann als Kommentar auf die faktische Natur menschlicher Beziehungen und die Rolle der gesellschaftlichen Normen und Konventionen in diesem Kontext gelesen werden.

Formal besteht das Gedicht aus drei Strophen, mit jeweils zwölf Versen. Es herrscht kein durchgängiges Reimschema. Die Sprache des Gedichts ist einfach und unverblümt, was die volksliedhafte Atmosphäre unterstreicht. Der konstante Wechsel von Erzählung und Dialog gibt dem Gedicht einen lebendigen und dramatischen Charakter. Durch den ständigen Perspektivwechsel hin zu den Vögeln wird eine zusätzliche Ebene der Interpretation und Bedeutung eingeführt. Einfache, alltägliche Erlebnisse und Handlungen erhalten so eine zusätzliche Dimension und Tiefe.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Vogelweisheit“ des Autors Rudolf Baumbach. Im Jahr 1840 wurde Baumbach in Kranichfeld (Thüringen) geboren. Zwischen den Jahren 1856 und 1905 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Realismus, Naturalismus oder Moderne zu. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das vorliegende Gedicht umfasst 188 Wörter. Es baut sich aus 3 Strophen auf und besteht aus 36 Versen. Rudolf Baumbach ist auch der Autor für Gedichte wie „Die Wasserrose“, „Heimliches Leid“ und „Mein Herz trägt heimliches Leid“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Vogelweisheit“ weitere 14 Gedichte vor.

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