Aus dem dreißigjährigen Kriege von Rainer Maria Rilke

Kohlenskizzen in Callots Manier

Finster ist die Welt geworden, –
darum Dörfer rasch entloht!
und die Welt ist grau; – drum rot
färbt sie durch das Morden!
 
Bauer! Bittest um dein Leben?
Nimm dirs! Aber bei uns bleib!
Herrgott hat dir Ochs und Weib
nur für uns gegeben.
 
Laß den Teufel Felder pflügen;
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sieh, wir haben stets genung!
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Vorwärts – einen Werbetrunk
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aus den vollen Krügen!
 
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2. ALEA JACTA EST
 
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»... Tod oder Sold!«
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Und jetzt die Trommel schnell
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her. Auf das Trommelfell
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Würfel gerollt.
 
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So wird dem Lohn,
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der unsre Streiche sucht.
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Sieh, der Baum, reiche Frucht
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trägt er doch schon!
 
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Solltest schon längst
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hängen dran, Kamerad!
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Drum ists nicht jammerschad,
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wenn du dann hängst!
 
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3. KRIEGSKNECHTS-SANG
 
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Lag auf einer Trommel nackt,
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kaum zwei Spannen lang,
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und der rauhe Trommeltakt
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war mein Wiegensang.
 
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Wild zu wettern taugte ich
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damals schon im Zorn,
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meine Milch, die saugte ich
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aus dem Pulverhorn.
 
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Damals taufte jeden gut
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der Korp’ral; beim Schopf
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nahm er ihn, goß Schwedenblut
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heiß ihm übern Kopf.
 
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4. KRIEGSKNECHTS-RANG
 
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Bei uns gibts nicht Edelinge,
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die was gelten durch ihr Blut,
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jedes Rang ist jedes Klinge,
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und sein Wappen ist der Mut.
 
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Wer nur immer kühn sein Schwert zog,
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hält den Schild von Schande rein,
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wer noch gestern unterm Heer zog,
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Herzog kann er morgen sein.
 
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5. BEIM KLOSTER
 
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Was gibts? — Eine Klosterpforte? —
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Ei, Potz Blitz!
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Eine Tür von dieser Sorte
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renn ich ohne viele Worte
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ein mit meiner Nasenspitz!
 
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Auf das Tor ein fester Stempel ...
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Pfaffe, komm!
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Jetzt heraus mit deinem Krempel,
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paar Monstranzen zum Exempel
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und paar Kelche: wir sind fromm.
 
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Laß jetzt dein: Peccavi, pater ...
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Leucht zum Wein
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uns mit deiner Nase, Frater,
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dorten kannst du uns ein Rater
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und ein ›Seelensorger‹ sein!
 
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6. BALLADE
 
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Gestern zogen wilde Horden
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durch das Dörfchen hin mit Morden,
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und ein Mädchen sinnt jetzt still:
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Ist der Liebste untreu worden,
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weil er heut nicht kommen will? –
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Draußen schrien die Dohlen.
 
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Mädchen ging mit bleicher Wange
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durch das Haus. – Sie harrte lange,
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und des Nachts floh sie der Schlaf.
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Und sie schlich hinaus zum Hange,
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wo sie stets den Teuren traf.
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Ängstlich schrien die Dohlen.
 
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Und die Nacht war schwarz, die schwüle,
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fern nur brannte eine Mühle ...
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Weinend wählt die matte Maid
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sich gar weiches Kraut zum Pfühle
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und entschlief in lauter Leid.
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Schrieen noch die Dohlen?
 
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Spät erwacht sie. Nebel grauten
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rings – soweit die Augen schauten ...
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Weh! – Was sie ein Kraut geglaubt,
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ist das Haar an ihres Trauten
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blutigem, zerschelltem Haupt. –
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Schrecklich schrien die Dohlen.
 
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7. DER FENSTERSTURZ
 
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»Naht Verrat mit leisem Schritte,
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ungerächt, bei der Madonna,
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bleibt er nicht! Nach alter Sitte
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zu den Fenstern!« schrie Colonna.
 
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»Schont den Popel! doch die andern,
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jeder eine feige Natter,
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aus den Fenstern laßt sie wandern!
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Mitleid? –Werft ihn mit, den Platter!«
 
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Bange hangt am Fensterstocke
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Martinitz noch. – Da Geröchel:
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Turn schwingt seine Degenglocke
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und zerschmettert ihm die Knöchel.
 
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Und zum nächsten: »Sag, wie heißt er,
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Böhmens Herr? du sollst mirs deuten!«
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»Graf von Turn! « – »Der Bürgermeister
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lasse alle Glocken läuten!« –
 
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8. GOLD
 
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»Dein Wams, Geliebter, ist voll Gold.
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Wo hast das Gold du her?« –
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»Da schaust du, Kind, das ist mein Sold,
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kein Obrist hat wohl mehr!«
 
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»Nein, das ist gutes, rotes Gold,
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das kann dein Sold nicht sein! « –
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»Beim Spielen war das Glück mir hold,
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und da ward alles mein! «
 
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»Ist wirklich alles dein – das Gold,
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gesteh, – und ists kein Trug?« –
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»Nun, Würfel haben mir gerollt,
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und jetzt laß es genug!«
 
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»Und gibst du mir auch von dem Gold?«
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»Das weißt du!« – »Nein, du Schelm,
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just auf der Stelle, sieh, ich wollt,
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du füllst mir deinen Helm!«
 
123 
»Es sei! « – »Wie’s durch die Finger bebt,
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der Glanz gefällt mir gut! –
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– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
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– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
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...Schau, was dir da am Finger klebt,
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kam das vom Golde? – Blut!« – ...
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– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
 
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9. SZENE
 
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Du kniest am Markstein, Alter, sprich! –
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Das ist kein Heilgenbild!«
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»Kein Bild? – Ich bet. – Es faßte mich
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das Schicksal gar so wild.«
 
135 
»Hast du kein Haus, hast du kein Land,
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das deiner Hände braucht?«
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»Das Land zerstampft, das Haus verbrannt,
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sieh hin – gewiß – es raucht.«
 
139 
»Was bauts nicht wieder auf dein Sohn
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und hilft dir aus der Not?«
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»Mein Sohn zog in den Krieg davon,
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jetzt ist er sicher tot.« –
 
143 
»Was streicht dir deines Haares Schnee
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der Tochter Hand nicht weich?« –
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»Der bracht ein Troßbub Schand und Weh,
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da sprang sie in den Teich.« –
 
147 
»So sieh mir ins Gesicht! – Und brach
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das Herz dir auch vor Graus ...«
149 
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
150 
»Ich kann nicht, Herr, ein Kriegsknecht
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stach mir beide Augen aus.«
 
152 
10. FEUERLILIE
 
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Winters, als die Äste krachten,
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keine Bäche konnten frieren,
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weil die Fluten Blutes ihren
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Pulsschlag immer neu entfachten.
 
157 
Als die Zeit kam, da die Blume
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aufwacht und der Vogel flötet,
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sprang die Lilie selbst gerötet
160 
aus der todgedüngten Krume.
 
161 
11. BEIM FRIEDLAND
 
162 
Heimgekehrt von Schlacht und Schlag
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freut sich Obrist und Gemeiner;
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denn jetzt hält der Wallensteiner
165 
wieder seinen Hof zu Prag.
 
166 
Just ließ frei den Turn er ziehn;
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das war so von seinen Trümpfen
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einer. – Drauf ward Nasenrümpfen
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Mode ... dort bei Hof zu Wien.
 
170 
Laßt sie zetern. Friedlands Heer
171 
muß nicht darben und nicht dürsten, –
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und aus Knechten macht er Fürsten,
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unser Herzog. – Wer kann mehr?
 
174 
12. FRIEDEN
 
175 
Prag gebar die Mißgestalt
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dieses Krieges, der voll Tücke
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hauste. – Auf der Karlsbrücke
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starb er, dreißig Jahre alt.
 
179 
Endlich riß das Eisenstück
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nur dem Acker eine Schramme,
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und vom Kirchturm schlug die Flamme
182 
in den trauten Herd zurück.

Details zum Gedicht „Aus dem dreißigjährigen Kriege“

Anzahl Strophen
50
Anzahl Verse
182
Anzahl Wörter
872
Entstehungsjahr
nach 1891
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das zu interpretierende Gedicht hat Rainer Maria Rilke, ein bedeutender deutschsprachiger Lyriker des frühen 20. Jahrhunderts, verfasst. Eine genaue zeitliche Einordnung ist kompliziert, da Rilke seine Werke über mehrere Jahrzehnte hinweg veröffentlichte. Allerdings lässt sich sagen, dass es vermutlich irgendwann in der Zeit von 1894 bis 1926, in der Rilke aktiv schriftstellerisch tätig war, entstanden ist.

Zu Beginn des Gedichts wird eine düstere und grau gefärbte Welt skizziert, die von Krieg und Gewalt geprägt ist. Die Verse geben einen drastischen Einblick in die Grausamkeiten und das Chaos des Dreißigjährigen Krieges (1618 – 1648). Die entsetzlichen Kriegsszenen schaffen ein unheimliches und beklemmendes Szenario.

Die Botschaft des lyrischen Ich scheint zu sein, dass Krieg Unaussprechliches Leid und Zerstörung bringt und dass selbst die Sieger in solchen Konflikten von ihren Taten gezeichnet sind. Es stellt Fragen nach Ehre, Gewalt und Erlösung und zeigt die entsetzlichen strategischen Manöver und brutalen Tötungen auf.

Das Gedicht zeichnet sich durch eine einfache, direkte Sprache aus, die die Grausamkeit des Krieges direkt und unverblümt widerspiegelt. Ebenso auffällig ist die formal aufgebaute Struktur mit vierzeiligen Strophen und das durchgängige Reimschema.

Insgesamt ist das Gedicht „Aus dem dreißigjährigen Kriege“, wie der Titel schon vermuten lässt, ein erschütterndes Zeugnis der Grausamkeit und Vergeblichkeit des Krieges. Die Einheit von Form und Inhalt sowie der schlichte Stil lassen das Grauen des Krieges unverstellt zur Wirkung kommen.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Aus dem dreißigjährigen Kriege“ des Autors Rainer Maria Rilke. Der Autor Rainer Maria Rilke wurde 1875 in Prag geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1891 und 1926. Der Erscheinungsort ist Frankfurt am Main. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Moderne zuordnen. Bei dem Schriftsteller Rilke handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 872 Wörter. Es baut sich aus 50 Strophen auf und besteht aus 182 Versen. Weitere Werke des Dichters Rainer Maria Rilke sind „Allerseelen“, „Als ich die Universität bezog“ und „Am Kirchhof zu Königsaal“. Zum Autor des Gedichtes „Aus dem dreißigjährigen Kriege“ haben wir auf abi-pur.de weitere 338 Gedichte veröffentlicht.

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