Aus dem Tagebuch eines Bettlers von Joachim Ringelnatz
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Ich klingelte. Ich bettelte um Brot. |
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Um alte Sachen. |
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Ich beschrieb anschaulich die Not. |
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Ich kann so eine jämmerliche Miene machen. |
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Meine Familie sei teils hungrig, teils tot. |
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Nur ein kleines, hartes, verschimmeltes Restchen Brot, |
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Womit ich eigentlich Geld meinte. |
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Der Herr verneinte. |
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Ich versuchte diverse Gebärden. |
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Ich kann so urplötzlich ganz mager werden. |
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Ich taumelte krank. |
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Ich – stank. |
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Da wurde ich gepackt. |
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Fünf Minuten später war ich nackt. |
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In einer Wanne im Bad |
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Bei dreißig Grad. |
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Ich weinte. – Ich wußte: |
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Hier half kein Beteuern. |
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Man fing an, meine Kruste |
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Herunterzuscheuern. |
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Dieser Herr war ein Schelm. |
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Ich wurde auf die Straße gestoßen. |
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Ich fand mich in schwarzen Hosen, |
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Lackschuhen, Frack und Tropenhelm. |
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Ich fand kein Geld. – Mir wurde bang, |
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Ich fand nur ein Trambahn-Abonnement. |
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Und ich ging auf die Reise, |
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Fuhr mit der Sechzehn stundenlang |
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Immer im Kreise. |
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Was halfen die noblen Sachen? |
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Ich bettelte. Probeweise. |
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Ich kann so eine kummervolle Miene machen. |
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Aber die Leute begannen zu lachen |
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Und die Haltestelle zu verpassen. |
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Ich sann auf einen Schlager. |
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Ich wurde urplötzlich ganz mager. |
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Ich wurde gewaltsam aus der Trambahn heruntergelassen. |
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Da waren die Anlagen und Gassen |
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Auf einmal ganz traurig und fremd. |
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Als ich aus dem Pfandhause kam, |
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Trug ich nur noch Hose, Barfuß und Hemd. |
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Ich mußte mir einen Anzug leih’n. |
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Ich ging mit der Gräfin Mabelle, |
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Die eigentlich eine Büfettmamsell |
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Ist und gesucht wird, in ein Hotel. |
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Wir speisten: Hirschbraten mit Knickebein. |
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Wir sangen zu zwei’n: |
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„Wer hat uns getraut –. . .“ |
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Und zuletzt, ganz laut: |
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„Wohlauf noch getrunken den funkelnden Wein . . .“ |
Details zum Gedicht „Aus dem Tagebuch eines Bettlers“
Joachim Ringelnatz
20
50
255
1933
Moderne,
Expressionismus
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Aus dem Tagebuch eines Bettlers“ stammt von Joachim Ringelnatz, einem deutschen Schriftsteller und Kabarettist, der von 1883 bis 1934 lebte. Ringelnatz ist im Bereich der Dichtkunst insbesondere für seine humorvollen und sarkastischen Werke bekannt.
Auf den ersten Blick präsentiert das Gedicht eine tragische Erzählung, die auch durchaus mit einem humoristischen Unterton versehen ist. Es erzählt die Geschichte eines Bettlers, der in verschiedenen Situationen seine Armut und Verzweiflung zur Schau stellt und versucht, Mitleid und Hilfe zu erwecken.
Das lyrische Ich in dem Gedicht ist ein Bettler, der eindrucksvoll sein tägliches Schicksal schildert. Er bettelt um Brot und Kleidung und beschreibt auch die Notlage seiner Familie. Dabei machen seine Strategien wie das vortäuschen von Krankheit und der Versuch, Mitleid zu erregen, seine Situation noch tragischer. Es wird jedoch auch eine gewisse Ironie hervorgehoben, das lyrische Ich schämt sich nicht für seine Taktiken und erkennt auch die Absurdität und Skurrilität seiner Lage.
Der Rhythmus des Gedichts ist fließend und engagiert den Leser in der tragikomischen Erzählung. Die Sprache ist einfach und direkt, was die Aufmerksamkeit auf den Inhalt lenkt und nicht auf die Form. Die Verwendung von einfacher Alltagssprache macht das Gedicht zugänglich und ermöglicht es dem Leser, sich mit der ernsten Thematik auseinanderzusetzen.
Insgesamt ist das Gedicht „Aus dem Tagebuch eines Bettlers“ eine interessante und humorvolle Darstellung eines ernsten und traurigen Themas. Es erinnert den Leser daran, dass wir alle nur Menschen sind und dass wir uns trotz unserer Unterschiede alle gegenseitig unterstützen sollten. Ringelnatz hebt in seiner auf ironische Weise den Kontrast zwischen dem reichen und dem armen Milieu hervor, stellt gängige Klischees und Vorurteile in den Vordergrund und karikiert diese. Dabei spielt er auch mit der Wirkung von Sprache und Sprachbildern und setzt diese geschickt ein, um seine Botschaft zu transportieren.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Aus dem Tagebuch eines Bettlers“ ist Joachim Ringelnatz. Der Autor Joachim Ringelnatz wurde 1883 in Wurzen geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1933 zurück. Erscheinungsort des Textes ist Berlin. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Moderne oder Expressionismus zuordnen. Bei dem Schriftsteller Ringelnatz handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen. Das 255 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 50 Versen mit insgesamt 20 Strophen. Weitere Werke des Dichters Joachim Ringelnatz sind „...als eine Reihe von guten Tagen“, „7. August 1929“ und „Abendgebet einer erkälteten Negerin“. Zum Autor des Gedichtes „Aus dem Tagebuch eines Bettlers“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 560 Gedichte vor.
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Zum Autor Joachim Ringelnatz sind auf abi-pur.de 560 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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