Aus Breslau von Joachim Ringelnatz

1	Ach, liebe Kollegin. Du bist es nicht mehr.
2	Nun bist du wirklich Bäuerin.
3	Und deine Koffer stehen leer.
4	Du glaubst nicht, wie ich hin und her
5	Und her und hin
6	Traurig und glücklich darüber bin.
7	Ist da Wald, wo dein Häuschen steht,
8	Und habt ihr eine Kuh?
9	Und wer melkt sie? Dein Mann oder du?
10	Ach das ist seit ewig und immerzu
11	Ein Wunsch, der auf meinem Kopfkissen steht.
12	Schreib mir doch alles ganz genau.
13	Habt ihr auch Obst und Gemüse?
14	Und trägst du im Stall nackte Füße?
15	Und eine Schürze gestreift oder blau?
16	Und wenn du selbst deine Vorhänge ziehst,
17	Dann, wenn die Sonne dich blendet.
18	Du trinkst nichts, was man dir spendet.
19	Ob du beim Melken sitzt oder kniest?
20	Aus Breslau über Berg und Tal
21	Viel Grüße dir. – Nein, euch beiden.
22	Und sage deinem Herrn Gemahl:
23	Ich wäre nicht zu beneiden.

Details zum Gedicht „Aus Breslau“

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Aus Breslau“ wurde von Joachim Ringelnatz, einem deutschen Schriftsteller und Kabarettist, verfasst. Geboren wurde Ringelnatz im Jahre 1883 und gestorben ist er im Jahre 1934. Somit verfasste er seine Werke während des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, Zeiten, die von großer politischer und sozialer Veränderung in Deutschland geprägt waren.

Auf den ersten Blick scheint das Gedicht eine Art Brief an eine ehemalige Kollegin zu sein, die sich nun der ländlichen Lebensweise zugewandt hat. Der lyrische Sprecher kommuniziert sowohl Glück als auch Trauer über diesen Wandel und drückt Neugier und Faszination gegenüber dem neuen bäuerlichen Leben der Kollegin aus.

Inhaltlich handelt das Gedicht vom lyrischen Ich, das sich scheinbar an eine ehemalige Kollegin aus Breslau wendet. Sie ist nun eine Bäuerin geworden, und das lyrische Ich zeigt sich sowohl traurig als auch glücklich über diesen Umstand. Es scheint eine gewisse Sehnsucht nach dem einfachen, ländlichen Leben zu geben, gleichzeitig aber auch das Bewusstsein, die Veränderungen, die damit einhergehen, nicht beneiden zu müssen.

In Bezug auf Form und Sprache sind die Strophen unregelmäßig: die erste Strophe hat sechs Verse, die zweite fünf und die restlichen drei Strophen jeweils vier Verse. Die Sprache ist simpel und direkt, aber dennoch bildhaft. Der Einsatz von Fragen zeigt das Interesse und die Neugier des lyrischen Ichs und schafft so einen Dialogcharakter. Ringelnatz verzichtet weitgehend auf Metaphern und andere Stilmittel, was dem Gedicht einen persönlichen, fast gesprächigen Ton verleiht.

Zusammenfassend kann man sagen, dass „Aus Breslau“ ein einzigartiges Sittenbild des ländlichen Lebens in der damaligen Zeit darstellt. Das lyrische Ich stellt Fragen nach neuen Erfahrungen und Lebensweisen, zeigt dabei aber auch eine gewisse Melancholie und Sehnsucht nach diesem einfachen Leben. Aber gleichzeitig wird klar, dass es sich seiner eigenen Situation bewusst ist und das bäuerliche Leben nicht idealisiert oder glorifiziert.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Aus Breslau“ ist Joachim Ringelnatz. Im Jahr 1883 wurde Ringelnatz in Wurzen geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1933 zurück. Der Erscheinungsort ist Berlin. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Moderne oder Expressionismus zugeordnet werden. Der Schriftsteller Ringelnatz ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen. Das vorliegende Gedicht umfasst 143 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 23 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Joachim Ringelnatz sind „Afrikanisches Duell“, „Alone“ und „Alte Winkelmauer“. Zum Autor des Gedichtes „Aus Breslau“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 560 Gedichte vor.

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