Künstlers Wanderjahre von Franz von Pocci

Aphorismen aus meinem Tagebuche

O gold’ner Frühlingsmorgenschein – –
Wie freudig funkelt die Sonne d’rein!
Wie winkt es vom Gebirge her
So wonnebang, so sehnsuchtsschwer!
Ich hör’ der Lerche freudig Schmettern –
Was fesselt mich noch an die düst’re Stadt?
Noch ist die Welt vernagelt nicht mit Brettern;
Wohlan – ich bin der dumpfen Mauern satt.
Die Pinsel ausgepackt; zur Hand die Mappe,
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Der Malstock sei mein Wanderstab;
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So wand’re ich im frohen Trappe
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Der duft’gen Ferne zu, Berg auf, Thal ab!
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Umschwebe mich, holdsel’ge Frau,
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Du Poesie, die ich stets liebt’ im Stillen,
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Daß ich mit Hilfe meiner guten Brillen
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Die Schöpfung bei dem rechten Licht’ beschau;
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Daß ich den Geist, der in ihr haust,
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Vermag so recht herauszuwühlen,
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Daß mir’s gelingt, wie Meister Göthe’s Faust,
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Alle sieben Tagwerk in der Brust zu fühlen.
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Und spür’ ich dann den Geist recht vehement,
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Laß mich den Augenblick beim Schopfe fassen:
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Die schwerste Kunst ist, den Moment
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Nicht unbenützt vorübergehen lassen. –
 
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Dann frisch die Kreide zugespitzt,
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Die Leinwand her, die Farben aufgetragen!
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Denn – was man schwarz auf weiß besitzt,
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Kann man getrost nach Hause tragen!
 
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II.
 
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Ich habe manche dunkle Nacht
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Auf den Gebirgen zugebracht.
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Auf hoher Kuppe, einsam und allein
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Saß ich im stillen Mondenschein
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Ganz in der Schöpfung Majestät versunken – –
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Nicht Worte hat ein jegliches Gefühl – –
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Wie seufzt’ ich oft, in tiefer Wonne trunken:
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O guter Mond, was gehst du doch so still! –
 
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Ja, Mondenlicht in jeder Phase
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Versetzt, man weiß es selbst nicht wie,
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So recht in eine schwärmende Ekstase!
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Und hätte nur die Industrie
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Die Kunst nicht gar so weit zurückgelassen,
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Gäb’s eine Farbe, gleich den blassen
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Gebrochnen, schwärmerischen Strahlen – –
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Was wollt’ ich da für Mondlicht malen!
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So aber – ach, man räsonnirt,
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Man schilt den Künstler, der sich müht und quälet,
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Und denkt nicht d’ran, daß uns das Mittel fehlet,
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Das unsere Zwecke sanktionirt.
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Gebt uns nur einen archimed’schen Stand,
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Und aus den Fugen heben wir die Welt! –
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So lang jedoch der Stoff den Geist gefangen hält,
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Bleibt auch der Genius gefesselt an den Sand!
 
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So sinnend stieg ich vom Gebirge nieder.
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Schon schwang die Nacht ihr düsteres Gefieder;
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Doch – eh’ ich dessen mich versah,
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War ich der stillen Kneipe nah,
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Darinn’ ich meinen Wohnsitz aufgeschlagen,
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Mein Pathmos und mein Tivoli! –
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Schnell ward, was ich begehrte, aufgetragen,
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Und bald war ich – ich wußte gar nicht, wie –
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Von ewigen Gedanken trunken –
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Ganz in mich selbst und – in den Krug versunken!
 
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III.
 
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’S’ist trüb! – Der Nebel hüllt der Berge Spitzen!
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Da sitze ich in Mitte meiner Skizzen.
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Nun, liebe Seele, lab’ dich erst daheim!
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Laß deiner Dichtung gold’ne Ader fließen;
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Der Nachgenuß – das ist erst recht genießen;
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Dem trunk’nen Dichter holpert jeder Reim.
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Doch – ehe du dein Werk beginnst,
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Geziemt es sich, daß du dich wohl besinnst.
 
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Seyn oder Nichtseyn, das ist hier die Frage!
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Ob ich, wie große Geister uns’rer Tage
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An einem mächtigen Carton soll schwitzen?
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Ob ich die Geister zu entfesseln wage,
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Die schlummernd in der Blase sitzen?
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– Frisch d’ran, frisch d’ran! Im Oel liegt Harmonie;
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Die Farbe – ja, das ist die Melodie,
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Die um das kalte Wort sich schlinget!
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Was der Verständigsten Verstand nicht zwinget,
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Das wird im Liede einem Kind verständlich,
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Und mit der Farbe da verhält es sich ganz ähnlich.
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Die Farbe nur gibt Licht, – und wie man jetzt
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Die Töne massig auf einander setzt,
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Läßt sich doch auch die Wirkung gut erkennen;
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Man möchte die Manier schier plastisch nennen!
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D’rum wacker darauf los! Auf die Palette
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Die Farben aufgelegt. – Ha, wie sie strahlen!
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Heran, du Staffelei, nun gilt’s zu malen,
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Als ob ich tausend Hände hätte.
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Ich fühl’ von Genialität ein Meer
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Durch alle meine Adern rinnen!
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Kaum kann ich folgen. Ach, ich fühl es schwer,
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Daß zu des Geistes Flügeln nicht so schnelle
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Ein körperlicher Flügel sich geselle!
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Doch – Muth mein Herz – hier – hier die Sonne –
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Sie leuchte halb in sommerlicher Wonne,
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Halb sei sie zugedeckt von Wetternacht;
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Nur der Contrast ist’s, der die Wirkung macht!
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Hier eine stille, lange, große Haide,
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Recht melancholisch hingepinselt,
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Darob der Sturmwind seine Elegieen winselt;
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Und hier, vom Tannenbaume überdacht,
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Der Hütte freundliches Asyl,
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Die Quelle d’ran, des weichen Rasens Pfühl,
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Und d’rüber hin ein warmer Sonnenglast,
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AIs hielte hier Waldfräulein seine Rast,
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Und wer es sieht, dem lacht das Herz vor Freude.
 
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Das Hochgebirge schließ’ den Hintergrund,
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Das macht die Landschaft fertig erst und rund!
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Ein kühner Pinselstrich – der läßt sich gut –
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Die Farben nicht gebrochen, ganz und satt,
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Wie sie der Chemiker bereitet hat, –
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Ich hasse Halbheit! – Auch ist wohl d’rauf anzutragen,
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Daß die Lasur noch ihre Wirkung thut;
 
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Die gibt dem Meisterwerk erst Glanz und Gluth;
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Das kann dir jeder Töpfer sagen!
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Was das Format betrifft – ich hab’ mich stets ergötzt
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Am Uebermächtigen und Grandiosen.
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Auch tappt die Welt nur nach dem Großen,
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Ob auch der Neid d’ran seine Hauer wetzt.
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Was mir die Seele dehnt so weit und mächtig,
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Das faßt kein Rähmchen ein, eng, schmal und schmächtig; –
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Was ich empfind’ in Künstlerbrunst, –
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Entfalte in der Länge sich und Breite,
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Nur groß, nur groß – zwölf Schuh nach jeder Seite –
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Kurz ist das Leben, – aber lang die Kunst!

Details zum Gedicht „Künstlers Wanderjahre“

Anzahl Strophen
11
Anzahl Verse
128
Anzahl Wörter
862
Entstehungsjahr
1845
Epoche
Biedermeier,
Junges Deutschland & Vormärz

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht ist „Künstlers Wanderjahre“ von Franz von Pocci. Der Autor lebte von 1807 bis 1876, was das Gedicht in die Epoche der Romantik bzw. in die darauf folgende Zeit des Biedermeier einordnet.

Bei dem ersten Lesen fällt auf, dass das Gedicht sehr bildhaft und aus der Ich-Perspektive erzählt ist. Diese Ich-Perspektive stellt dabei vermutlich einen Künstler dar, den prototypischen romantischen Künstler, der sich sowohl mit der Natur als auch mit seinem Schaffen auseinandersetzt. Das Gedicht beschreibt die inneren und äußeren Wanderungen des lyrischen Ichs, seine Auseinandersetzung mit der Schönheit der Natur, dem Prozess des kreativen Schaffens und dem Kontrast zwischen der flüchtigen Schönheit der Welt und der Dauerhaftigkeit der Kunst.

Formal gesehen besteht das Gedicht aus unterschiedlich langen Strophen, die teilweise inhaltlich und räumlich voneinander getrennt sind. Die Sprache ist bildhaft und anschaulich mit zahlreichen Metaphern und Vergleichen. Sie unterstreicht den romantischen Charakter des Gedichts. Die Verse zeigen, dass das lyrische Ich die kurzlebige, vergängliche Schönheit der Natur einfangen und in seinem künstlerischen Schaffen verewigen möchte. Dabei erkennt es die Schwierigkeit, den flüchtigen Moment festzuhalten und die Limitationen seines Schaffens zu überwinden.

Das lyrische Ich strebt danach, die Schönheit und den Geist der Natur in seinen Kunstwerken festzuhalten. Es zeigt aber auch eine gewisse Unzufriedenheit und Frustration mit den begrenzten Möglichkeiten der menschlichen Kunst, die unaussprechliche Schönheit und Komplexität der Natur angemessen darzustellen. Es zeigt sich deutlich der romantische Topos des Poeta Vates, des Dichters als Seher und Prophet, der versucht, tiefe Wahrheiten auszudrücken und die Welt in ihrer Gänze zu erfassen.

Abschließend kann man sagen, dass das Gedicht ein sehr schön gestaltetes Beispiel für die romantische Auffassung von Kunst und Kreativität ist. Es zeigt die Anstrengungen des Künstlers, die Schönheit der Welt in seiner Kunst festzuhalten, und unterstreicht so die Wertschätzung und das Streben der Romantik nach tieferer Bedeutung und höherer Wahrheit.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Künstlers Wanderjahre“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Franz von Pocci. Geboren wurde Pocci im Jahr 1807 in München. Das Gedicht ist im Jahr 1845 entstanden. Erscheinungsort des Textes ist München. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das vorliegende Gedicht umfasst 862 Wörter. Es baut sich aus 11 Strophen auf und besteht aus 128 Versen. Zum Autor des Gedichtes „Künstlers Wanderjahre“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de keine weiteren Gedichte vor.

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