Zur Zeitgeschichte von Louise Otto-Peters

Nicht sing ich jetzt von inn’rem Leid und Glücke,
Das einzig meiner Seele nur gehört –
Ich weise meines Schicksals Weh zurücke,
Vom Gramversinken bin ich aufgestört,
Der Gegenwart gilt’s ganz und gar zu leben,
All ihren Stürmen will ich hin mich geben,
Auf ihrem Meere gilt es mit zu schiffen,
Und seine Brandung hat auch mich ergriffen.
 
Noch ist’s nicht lang – da klopften in die Hände
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Wir jubelvoll zum Zollverein-Beschluß,
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Der mancher engen Schranke setzt ein Ende
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Durch das der Völker Trennung fallen muß.
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Nicht lange ist’s daß uns die Eisenbahnen
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Zum schnellen Anschluß an die Nachbarn mahnen,
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Die Deutschen nun zu Kindern eines Landes
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Geeint im Segen eines Liebesbandes.
 
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Und drauf am Rhein, in dem ein Hort begraben
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Von deutscher Freiheit liegt noch ungehoben,
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Da klang ein Lied: „Sie sollen ihn nicht haben!“
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Als Frankreich drohte, klang mit Trotzes Toben;
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Und eh’ verhallt das Lied – ein neu Getön
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Vom Rheine her wie Glocken hell und schön:
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Vollendet wird der Dom – es muß gelingen
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Mit Gott wird deutscher Geist das Werk vollbringen!
 
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Der Dom in Köln zur Ehr dem Christengotte –
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Doch dient dem Gott der Freiheit nicht die Welt?
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Noch ein Lied braust – es gilt der deutschen Flotte,
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Dem deutschen Banner, das ihr zugesellt.
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So rief Begeisterung mit kühnen Sehnen
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Durchs Vaterland mit immer neuen Plänen,
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Da plötzlich drang ein Schreckensruf in’s Land:
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„Schweigt!“ donnerts laut – „denn Hamburg steht in Brand!“
 
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Wie einst im Feuerbusch der Herr erschienen
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Dem heilgen Manne im gelobten Land,
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Erschien er jetzt und weckt uns ihm zu dienen
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Durch Feuersgluten jählings uns gesandt!
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Aus seinen Trümmern steige Hamburg wieder
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Schön wie ein Dom und stark wie mächtge Türme,
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Zu seinem Aufbau rufen deutsche Brüder:
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Das ganze Deutschland steht dem Bau zum Schirme.
 
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Nun lenkt nach Hamburg jedes Herz das Steuer
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Und unsre Liebe macht das Fahrzeug flott.
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Zur alten Hansa ziehn wir, ihr getreuer
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Verbündeter, das ist ein Wink von Gott!
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Ein Wink das Deutschland jetzt ein Volk geworden!
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So schaun wir lächelnd durch der Zukunft Pforten:
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Da steht das Vaterland in neuem Glanz
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Ein alter Baum doch stark und frei und ganz.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (28.5 KB)

Details zum Gedicht „Zur Zeitgeschichte“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
353
Entstehungsjahr
1840-1850
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichts ist Louise Otto-Peters, eine bekannte deutsche Frauenschriftstellerin und Frauenrechtlerin aus dem 19. Jahrhundert. Das Gedicht selbst steht in direktem Konflikt zu politischen und sozialen Ereignissen ihrer Zeit, was darauf hindeutet, dass es ebenfalls im 19. Jahrhundert verfasst wurde.

Auf den ersten Blick fällt das Gedicht durch seinen klaren und kraftvollen Ton auf, der von Optimismus und Patriotismus geprägt ist. Es spiegelt die Hoffnungen und Sorgen wider, die durch die politischen und sozialen Umbrüche jener Zeit in der deutschen Gesellschaft entstanden.

Inhaltlich konzentriert sich das lyrische Ich zunächst auf seine persönlichen Gefühle und Erfahrungen, ehe es seine Aufmerksamkeit auf die gesellschaftlichen Ereignisse der Zeit lenkt. Es besingt unter anderem die Errungenschaften der Industrialisierung, wie die Errichtung von Eisenbahnen und die Gründung des Zollvereins, und ihre Auswirkungen auf das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen. Zugleich zeigt es jedoch auch die Bedrohungen auf, denen das deutsche Volk ausgesetzt ist, wie der französischen Aggression am Rhein und dem Großbrand in Hamburg.

Im Hinblick auf Form und Sprache zeichnet sich das Gedicht durch einen steten Wechsel von tiefer Trauer und optimistischer Hoffnung aus. Die Sprache ist bildhaft und emotional, geprägt von starken Kontrasten und lebendigen Beschreibungen.

Insgesamt lässt sich sagen, dass das Gedicht ein lebendiges Porträt der damaligen Zeit darstellt, gekennzeichnet von tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen und einem starken Nationalgefühl. Es verdeutlicht die intensiven Gefühle von Hoffnung und Angst, die viele Deutsche in dieser Zeit erlebt haben müssen. Dabei betont es jedoch auch den Gemeinschaftssinn und die Solidarität, die das deutsche Volk in diesen schwierigen Zeiten gezeigt hat.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Zur Zeitgeschichte“ stammt aus der Feder der Autorin bzw. Lyrikerin Louise Otto-Peters. Die Autorin Louise Otto-Peters wurde 1819 in Meißen geboren. 1850 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Leipzig. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten der Autorin her der Epoche Realismus zuordnen. Die Richtigkeit der Epoche sollte vor Verwendung geprüft werden. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da es keine starren zeitlichen Grenzen bei der Epochenbestimmung gibt, können hierbei Fehler entstehen. Das Gedicht besteht aus 48 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 353 Worte. Die Gedichte „An Richard Wagner“, „Auf dem Kynast“ und „Bergbau“ sind weitere Werke der Autorin Louise Otto-Peters. Zur Autorin des Gedichtes „Zur Zeitgeschichte“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 106 Gedichte vor.

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