Zum Gedächtnis des Schauspielers Mitterwurzer von Hugo von Hofmannsthal

Er losch auf einmal aus so wie ein Licht.
Wir trugen alle wie von einem Blitz
Den Widerschein als Blässe im Gesicht.
 
Er fiel: da fielen alle Puppen hin,
In deren Adern er sein Lebensblut
Gegossen hatte; lautlos starben sie,
Und wo er lag, da lag ein Haufen Leichen,
Wüst hingestreckt: das Knie von einem Säufer
In eines Königs Aug gedrückt, Don Philipp
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Mit Caliban als Alp um seinen Hals,
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Und jeder tot.
 
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Da wußten wir, wer uns gestorben war:
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Der Zauberer, der große, große Gaukler!
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Und aus den Häusern traten wir heraus
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Und fingen an zu reden, wer er war.
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Wer aber war er, und wer war er nicht?
 
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Er kroch von einer Larve in die andre,
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Sprang aus des Vaters in des Sohnes Leib
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Und tauschte wie Gewänder die Gestalten.
 
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Mit Schwertern, die er kreisen ließ so schnell,
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Daß niemand ihre Klinge funkeln sah,
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Hieb er sich selbst in Stücke: Jago war
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Vielleicht das eine, und die andre Hälfte
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Gab einen süßen Narren oder Träumer.
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Sein ganzer Leib war wie der Zauberschleier,
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In dessen Falten alle Dinge wohnen:
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Er holte Tiere aus sich selbst hervor:
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Das Schaf, den Löwen, einen dummen Teufel
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Und einen schrecklichen, und den, und jenen,
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Und dich und mich. Sein ganzer Leib war glühend,
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Von innerlichem Schicksal durch und durch
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Wie Kohle glühend, und er lebte drin
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Und sah auf uns, die wir in Häusern wohnen,
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Mit jenem undurchdringlich fremden Blick
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Des Salamanders, der im Feuer wohnt.
 
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Er war ein wilder König. Um die Hüften
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Trug er wie bunte Muscheln aufgereiht
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Die Wahrheit und die Lüge von uns allen.
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In seinen Augen flogen unsre Träume
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Vorüber, wie von Scharen wilder Vögel
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Das Spiegelbild in einem tiefen Wasser.
 
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Hier trat er her, auf eben diesen Fleck,
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Wo ich jetzt steh, und wie im Tritonshorn
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Der Lärm des Meeres eingefangen ist,
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So war in ihm die Stimme alles Lebens:
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Er wurde groß. Er war der ganze Wald,
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Er war das Land, durch das die Straßen laufen.
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Mit Augen wie die Kinder saßen wir
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Und sahn an ihm hinauf wie an den Hängen
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Von einem großen Berg: in seinem Mund
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War eine Bucht, drin brandete das Meer.
 
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Denn in ihm war etwas, das viele Türen
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Aufschloß und viele Räume überflog:
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Gewalt des Lebens, diese war in ihm.
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Und über ihn bekam der Tod Gewalt!
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Blies aus die Augen, deren innrer Kern
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Bedeckt war mit geheimnisvollen Zeichen,
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Erwürgte in der Kehle tausend Stimmen
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Und tötete den Leib, der Glied für Glied
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Beladen war mit ungebornem Leben.
 
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Hier stand er. Wann kommt einer, der ihm gleicht?
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Ein Geist, der uns das Labyrinth der Brust,
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Bevölkert mit verständlichen Gestalten,
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Erschließt aufs neu zu schauerlicher Lust?
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Die er uns gab, wir konnten sie nicht halten
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Und starren nun bei seines Namens Klang
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Hinab den Abgrund, der sie uns verschlang.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30 KB)

Details zum Gedicht „Zum Gedächtnis des Schauspielers Mitterwurzer“

Anzahl Strophen
9
Anzahl Verse
67
Anzahl Wörter
468
Entstehungsjahr
1897
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Zum Gedächtnis des Schauspielers Mitterwurzer“ wurde von dem österreichischen Dichter und Dramatiker Hugo von Hofmannsthal (* 1. Februar 1874, † 15. Juli 1929) verfasst. Hofmannsthal gehörte zu den herausragenden Autoren der literarischen Epoche des Fin de Siècle und der Wiener Moderne und schrieb dieses Gedicht wahrscheinlich Anfang des 20. Jahrhunderts.

Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht dramatisch und nachdenklich, wobei die Betrachtung auf das Leben und Sterben des Schauspielers Mitterwurzer gerichtet ist. Es scheint, als ob der Tod des Schauspielers ein großes Vakuum hinterlassen hat, was auf seine herausragende Rolle und Wirkung auf die Menschen hinweist.

Im Inhalt geht es um das Leben und Sterben des Schauspielers Mitterwurzer. Durch den Text des Hofmannsthal'schen Gedichts wird deutlich, dass der Schauspieler eine bemerkenswerte Persönlichkeit und ein großer Künstler war, der verschiedene Rollen spielte und viele Menschen inspirierte. Er war, wie im Gedicht beschrieben, ein „großer Zauberer“, „ein wilder König“, „der ganze Wald“ und „das Land, durch das die Straßen laufen“ und besaß eine „Gewalt des Lebens“. Mit seinem Tod scheint eine große Leere hinterlassen zu sein und es scheint, als wäre er in seinem künstlerischen Schaffen unersetzlich.

Die Sprache des Gedichts ist poetisch und bildlich. Es werden verschiedene Metaphern und Symbolen verwendet, um das Leben und Wirken des Schauspielers zu beschreiben. Das lyrische Ich verwendet zahlreiche Vergleiche, um Mitterwurzers vielseitiges Schaffen und seinen Einfluss auf die Menschen darzustellen. Dabei wechselt der Dichter zwischen bildlicher Darstellung und direkter Anrede.

Formal ist das Gedicht in neun Strophen unterteilt. Die Strophen haben unterschiedliche Längen, von drei Versen in der ersten und vierter Strophe bis zu 16 Zeilen in der fünften Strophe. Es gibt keine festen Reimstrukturen. Hofmannsthals Gedicht ist in einen freien Vers geschrieben.

Zusammenfassend interpretiert, versteht man das Gedicht als eine eindrucksvolle Würdigung des verstorbenen Schauspielers Mitterwurzer, der durch seine Rolle und seinen künstlerischen Ausdruck einen tiefen Eindruck hinterlassen zu haben scheint. Die Worte Hofmannsthals erzeugen ein intensives Bild von Mitterwurzer und seiner Bedeutung, das auf die Nachwelt übergeht.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Zum Gedächtnis des Schauspielers Mitterwurzer“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Hugo von Hofmannsthal. 1874 wurde Hofmannsthal in Wien geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1897 entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Leipzig. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Moderne kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei Hofmannsthal handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 468 Wörter. Es baut sich aus 9 Strophen auf und besteht aus 67 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Hugo von Hofmannsthal sind „Botschaft“, „Dein Antlitz...“ und „Der Jüngling in der Landshaft“. Zum Autor des Gedichtes „Zum Gedächtnis des Schauspielers Mitterwurzer“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 40 Gedichte vor.

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