Venus und Adonis von William Shakespeare

Kaum daß vom thaubethränten Morgen schied
Das Purpurangesicht der schönen Sonne,
Als auch Adonis schon zum Waidwerk zieht;
Er haßt die Liebe, Jagd ist seine Wonne.
Ihm nach eilt Venus, voll von Liebesfeuer,
Und wirbt um ihn, ein ungestümer Freier.
 
„O dreimal schöner du“ – so hebt sie an –
„Als selber ich, was kann ich dir vergleichen?
Du, Hohn den Nymphen, schöner als ein Mann,
10 
Dem Taub’ und Rose selbst an Farbe weichen!
11 
Die Schöpfung, die in dir sich überboten,
12 
Zählt, wenn du stirbst, das Leben zu den Todten!
 
13 
Geruhe du vom Roß herabzusteigen,
14 
Mach’s fest am Sattelknopf, laß es allein;
15 
Und willst du diese Gnade mir erzeigen,
16 
Dann weih’ ich dich in manch Geheimniß ein.
17 
Komm, setze sich, hier zischet keine Schlange,
18 
Daß ich in Küssen liebend dich umfange.
 
19 
Doch überlad’ ich drum die Lippen nicht,
20 
Sie sollen in der Fülle Mangel fühlen;
21 
Daß Röthe bald, bald Blässe sie umflicht,
22 
Will ich mit Küssen und mit Küßchen spielen;
23 
Zur Stunde scheint ein Sommertag verkürzt,
24 
Wird er mit holdem Liebesspiel gewürzt.“ –
 
25 
Und sie ergreift die feuchte Hand des Knaben,
26 
Die voll von Lebensfülle, voll von Kraft;
27 
Sagt, daß an ihr sich Götter könnten laben,
28 
Nennt Balsam sie und bebt vor Leidenschaft.
29 
Ihr hat Begier die Stärke selbst verliehn,
30 
Vom Rosse muthig ihn herabzuziehn.
 
31 
Es sucht ein Arm die Zügel zu bewahren,
32 
Der andre hält den Knaben, zart und hold,
33 
Der, in der Liebe Spielen unerfahren,
34 
In thörichter Verachtung zürnt und schmollt.
35 
Sie, glüh’nden Kohlen gleich, so roth und heiß,
36 
Er, roth vor Scham, doch an Begier nur Eis. –
 
37 
Den schönen Zaum hat sie auf einen Ast
38 
(Wie schnell ist Liebe doch!) bald aufgehängt;
39 
Fest steht das Roß, und sie beginnt in Hast
40 
Nun den Versuch, wie sie den Reiter fängt;
41 
Sie wirft ihn nieder, wünscht, daß er sie stieße,
42 
Und sich nicht nur durch Kraft besiegen ließe.
 
43 
Kaum daß er liegt, legt sie sich neben ihn;
44 
Sie stützen Arm und Hüften auf den Grund;
45 
Sie streichelt seine Wangen, diese glühn; –
46 
Er schmält, sie schließt mit Küssen ihm den Mund,
47 
Und sagt, indem sie Küsse unterbrechen:
48 
„O schmälest du, dann sollst du gar nicht sprechen.“
 
49 
Vor Scham erröthet er, sie löscht mit Zähren
50 
Der Wangen Mädchengluth; mit Seufzern dann
51 
Und goldnem Haar sucht sie dem Strom zu wehren,
52 
Ob sie vielleicht ihn trocken fächeln kann.
53 
Er nennt sie frech, und tadelt ihr Gelüste,
54 
Bis sie das Weit’re ihm vom Munde küßte.
 
55 
Gleich wie der Adler, den der Hunger zwingt,
56 
Mit scharfem Schnabel Fleisch und Bein zerreißt,
57 
Die Flügel schüttelt, Alles in sich schlingt
58 
Bis er gesättigt, und der Fang verspeis’t,
59 
So küßt sie Kinn und Mund und Augenlieder,
60 
Und wo sie endet, da beginnt sie wieder.
 
61 
Er, der unwillig und gezwungen leidet,
62 
Haucht ihr in’s Antlitz, schöpfet keuchend Luft;
63 
Und sie, die sich an seinem Athem weidet,
64 
Nennt ihn der Grazien Hauch, des Himmels Duft,
65 
Wünscht, ihre Wangen wären Blumenauen,
66 
Und daß so süße Tropfen sie bethauen.
 
67 
Dem Vogel gleich, der sich im Netz gefangen,
68 
So ruht Adonis in den Armen ihr;
69 
Ihm röthen Scham und wilder Zorn die Wangen,
70 
Und leihen seinem Antlitz größ’re Zier.
71 
Ein voller Fluß, den Regengüsse schwellen,
72 
Tritt über seine Ufer mit den Wellen.
 
73 
Sie bittet noch, sie bittet schön und hold,
74 
Denn ihre Worte hört ein schönes Ohr;
75 
Doch er ist mürrisch, düster stets und schmollt;
76 
Bald herrschet Scham in ihm, bald Aerger vor.
77 
Erröthet er, dann liebt sie ihn so heiß,
78 
Und glüht in tief’rer Liebe, wird er weiß.
 
79 
Doch, mag er nun erröthen, mag erbleichen,
80 
Sie liebt ihn stets, und schwört bei ihrer Hand,
81 
Von seinem zarten Busen nie zu weichen,
82 
Bis er den Thränen Frieden zugestand;
83 
Sie netzen ihre Wangen unter Qualen:
84 
Nun soll ein Kuß die große Schuld bezahlen.
 
85 
Bei dem Versprechen hebet er dem Mund; –
86 
Wie aus der Fluth die Taucherente blicket,
87 
Die, wenn gesehn, schnell tauchet in den Grund,
88 
So bietet er ihr dar, was sie beglücket;
89 
Ist sie bereit, die süße Schuld zu nippen,
90 
Schließt er das Aug’ und wendet ab die Lippen.
 
91 
Nie war ein Durst des Wandrers zu vergleichen
92 
Dem Durst, der sie verzehrt nach diesem Gut;
93 
Sie sieht ihr Heil, und kann es nicht erreichen;
94 
Im Wasser badet sie, und brennt vor Gluth.
95 
Sie ruft: „Hartherz’ges Kind, sei nicht so spröde!
96 
Mitleid! Nur einen Kuß! Was bist du blöde!
 
97 
Man warb um mich, wie ich mich dir geneigt,
98 
Und selbst der starke wilde Gott der Krieger,
99 
Der nie im Kampf den Nacken noch gebeugt,
100 
Er, der aus jedem Streite kam als Sieger,
101 
Er war mein Sklave, diente mir und glühte
102 
Für das, was ich dir ungebeten biete.
 
103 
An meinen Altar hängt’ er seine Lanze,
104 
Den narbenvollen Schild, des Helmes Erz,
105 
Um meinetwillen huldigt’ er dem Tanze,
106 
Und lernte Spiel und Tanz und leichten Scherz.
107 
Die Fahn’ und Trommel ließ er; zum Gezelt
108 
Ward ihm mein Bette, meine Brust zum Feld.
 
109 
Ihn, der die Welt besiegt, hab’ ich gelenkt,
110 
In Rosenketten hielt ich ihn gefangen;
111 
Und er, vor dessen Kraft der Stahl sich senkt,
112 
Er warb um mich mit knechtischem Verlangen.
113 
O sei nicht stolz darauf, daß du gebunden
114 
Mich, die den Gott der Schlachten überwunden. –
 
115 
Berühre nur mit deinen Lippen meine,
116 
Roth sind sie, wenn auch schön wie deine nicht;
117 
Der Kuß ist dann der meine wie der deine;
118 
Was blickst du nieder? Sieh’ mir in’s Gesicht!
119 
Mach’, Liebchen! daß ich deine Schönheit sauge,
120 
Und dann, – so Lipp’ auf Lipp’, wie Aug’ in Auge.
 
121 
Wenn du dich schämst, so laß das Aug’ sich schließen,
122 
Ich schließ’ auch meines; Tag wird dann zur Nacht;
123 
Die Liebe läßt sich nur zu zwei’n genießen;
124 
Sei kühn im Spiele, wir sind unbewacht;
125 
Die blauen Veilchen hier, die auf uns sehen,
126 
Sie plaudern nicht, weil sie uns nicht verstehen.
 
127 
Der zarte Flaum, der deinen Mund umzieht,
128 
Sagt, daß du unreif zwar, doch schon zu kosten;
129 
Mach’ nicht, daß die Gelegenheit entflieht,
130 
Laß nicht die Schönheit in sich selbst verrosten;
131 
Man muß die Blumen pflücken, wenn sie blühen,
132 
Da sie so bald verwelken und verglühen.
 
133 
Wär’ ich bedeckt mit Runzeln schon, und alt,
134 
Von rauher Stimme, bäurisch, ohne Kraft,
135 
Verachtet und entstellt, verblüht und kalt,
136 
Triefäugig, dürr und hager, ohne Saft,
137 
Dann zögere, dann wär’ ich nicht für dich,
138 
Doch makellos, – warum verschmähst du mich?
 
139 
Kannst du auf meiner Stirne Falten sehn?
140 
Mein Aug’ ist hell und klar, noch bin ich stark,
141 
Ich gleiche stets dem Frühling, ich bin schön;
142 
Noch bin ich voll und weich, noch glüht mein Mark;
143 
Die sanfte, feuchte Hand wird in der deinen,
144 
Wenn du sie fassen willst, zu schmelzen scheinen.
 
145 
Laß plaudern mich: ich will dein Ohr entzücken,
146 
Ich schwebe, Feen gleich, auf grüner Flur;
147 
Willst du mich mit gelös’tem Haar erblicken?
148 
Im Sande lass’ ich tanzend keine Spur!
149 
Die Lieb’ ist geistig, hat im Feuer Leben,
150 
Sie sinket nie, stets will sie höher schweben.
 
151 
Sieh’s hier am Gras, dem Lager meiner Hüfte:
152 
Die weichen Blumen tragen mich gleich Bäumen,
153 
Zwei schwache Tauben ziehn mich durch die Lüfte
154 
Vom Morgen bis zur Nacht, und ohne Säumen.
155 
Die Lieb’ ist leicht, mein Kind, und dir allein,
156 
Dir, Liebchen, sollte sie bechwerlich sein?
 
157 
Ist’s, daß dein Herz dein Aug’ um Liebe fleht?
158 
Kann deine rechte Hand die linke lieben?
159 
Dann wirb’ um dich, sei von dir selbst verschmäht,
160 
Stiehl deine Freiheit dir, und sprich von Dieben;
161 
So ward Narcissus Opfer seiner Lüste,
162 
Er starb, als er im Bach sein Bildniß küßte.
 
163 
Die Perle dient zum Schmuck, das Licht zum Schein,
164 
So soll auch frische Schönheit Nutzen geben;
165 
Das Kraut muß Duft, der Baum soll Frucht verleihn,
166 
Was nur sich selber lebt, mißbraucht das Leben,
167 
Von Saat kommt Saat, verbirg die Schönheit nicht,
168 
Du bist erzeugt, – erzeugen ist dir Pflicht. –
 
169 
Was nutzest du der Erde Frucht als eigen,
170 
Wenn du nicht Frucht der Erde bringest zu?
171 
Schon die Natur befiehlt dir zu erzeugen,
172 
Damit die Deinen leben, stirbst auch du;
173 
So wirst du deinen Tod selbst überleben,
174 
Wenn du dein Ebenbild der Welt gegeben.“
 
175 
Hier fand der Liebe Göttin, daß sie schwitze;
176 
Der Schatten wich vom Lagerplatz zurück,
177 
Und Titan, müde von der Mittagshitze,
178 
Schaut nieder auf das Paar mit heißem Blick,
179 
Wünscht, daß Adonis seine Rosse leite,
180 
Und sich, in dessen Statt, an Venus Seite.
 
181 
Adonis, dem ihr Sprechen widerlich,
182 
Deß Auge längst in Zornesgluthen funkelt,
183 
Deß Antlitz und gesenkte Braue glich
184 
Dem Himmel, wenn ihn Nebelflor verdunkelt,
185 
Ruft mißgestimmt: „O pfui! Nicht’s mehr von Liebe,
186 
Die Sonne brennt zu heiß, als daß ich bliebe.“
 
187 
„So jung“, sprach Venus, „und so hart gesinnt?
188 
Wie schlechte Gründe wählst du, mich zu meiden!
189 
Ich seufze Himmelsathem, dessen Wind
190 
Läßt dich nicht länger Sonnenhitze leiden;
191 
Mein Haar soll kühlen Schatten dir gewähren,
192 
Und brennt auch das, so lösch’ ich es mit Zähren.
 
193 
Des Himmels Sonne scheinet ja nur warm;
194 
Ich liege zwischen dir und ihrem Strahl;
195 
Mir macht die Sonne nur geringen Harm,
196 
Dein Aug’ entzündet meiner Flammen Qual;
197 
Wär’ ich unsterblich nicht, ich müßte sterben,
198 
Die Doppelgluthen brächten mir Verderben.
 
199 
Bist du von Stahl, bist du von Kieselstein?
200 
Nein, mehr als das! Den Kiesel höhlt der Regen,
201 
Du, eines Weibes Sohn, kennst nicht die Pein
202 
Verschmähter Liebe, nicht der Liebe Segen?
203 
So hart wie du, war deine Mutter nicht,
204 
Sonst sähst du nimmer wohl der Sonne Licht!
 
205 
Wer bin ich denn, du lieblicher Verächter?
206 
Befürchtest du Gefahr von mir? – Warum?
207 
Macht denn ein Küßchen deine Lippen schlechter?
208 
Sprich, doch sprich sanft, sonst bleibe lieber stumm.
209 
Gieb mir ’nen Kuß, ich will ihn wiedergeben,
210 
Und einen zweiten noch als Zins daneben.
 
211 
Du bist ein Schatten, bist ein kalter Stein,
212 
Ein schöngemalter Götze, bist von Thon,
213 
Ein Marmorbild, nur für das Aug’ allein,
214 
Scheinbar ein Mann, doch keines Weibes Sohn;
215 
Du bist kein Mann, du kennest nicht die Liebe,
216 
Denn Männer küssen gern aus eig’nem Triebe.“ –
 
217 
Sie schweigt; sie fühlt zu sprechen noch Verlangen,
218 
Doch zwingt zur Pause sie die Leidenschaft;
219 
Der Unmuth leuchtet ihr aus Aug’ und Wangen,
220 
In eig’ner Sache mangelt ihr die Kraft.
221 
Sie weint; sie hätte gerne mehr gesprochen,
222 
Doch sieht sie sich von Seufzern unterbrochen.
 
223 
Bald schüttelt sie das Haupt, bald seine Hand,
224 
Bald blicket sie auf ihn und bald zur Erden,
225 
Bald schlingt ihr Arm sich um ihn wie ein Band,
226 
Sie will, und er will nicht umarmet werden;
227 
Und sucht er ihrem Druck sich zu entwinden,
228 
Läßt sie die Lilienfinger sich verbinden.
 
229 
Sie spricht: „Hab’ ich dich eingezäunt einmal,
230 
Mein Kind, in diesen Zaun von Elfenbein,
231 
So weide du getrost auf Berg und Thal;
232 
Ich will der Park, du sollst der Hirsch drin sein;
233 
Von meinen Lippen trink’; wenn sie versiegen,
234 
Geh’ weiter, wo die schönen Quellen liegen.
 
235 
Da giebt es süßes, hohes Gras voll Frische;
236 
Wie schön, wie reizend dort die Eb’nen sind!
237 
Und runde Hügel, dunkele Gebüsche,
238 
Die schützen dich vor Regen und vor Wind.
239 
Sei du mein Hirsch, der Park soll dir gehören,
240 
Kein Hund, – ob tausend bellen, – soll dich stören.“
 
241 
Adonis lächelt drob, als wollt’ er spotten,
242 
Und jede Wange zeigt ein Grübchen fein;
243 
Die Liebe selber machte diese Grotten,
244 
In ihnen will sie einst begraben sein;
245 
Sie weiß, daß, wenn sie dieses Grab erworben,
246 
Wo Liebe lebt, sie selber nicht gestorben.
 
247 
Es öffnen diese runden Zauberhöhlen
248 
Nun ihren Mund, und stellen Venus nach;
249 
Jetzt muß ihr gänzlich die Besinnung fehlen,
250 
Ein Schlag genügt, wozu der zweite Schlag?
251 
Sie selbst gab das Gesetz, durch das sie schmachtet:
252 
Sie liebt den Mund, der höhnisch sie verachtet.
 
253 
Was sagt sie nun? Was soll sie nun beginnen?
254 
Die Worte fehlen ihr, ihr Leid ist groß;
255 
Die Zeit verstrich, nun will auch er von hinnen,
256 
Und windet sich aus ihren Armen los.
257 
Sie ruft: „Nur eine Gunst gewähre du!“
258 
Er rafft sich auf, und eilt dem Renner zu.
 
259 
Doch sieh’! aus dem benachbarten Gebüsche
260 
Hat eine Stute seinen Hengst erschaut,
261 
Die jung noch war; voll Stolz und Jugendfrische
262 
Stürzt sie hervor, und schnaubt und wiehert laut;
263 
Das an den Baum geknüpfte, muth’ge Thier
264 
Zersprengt den Zaum im Nu, und jagt zu ihr.
 
265 
Stolz bäumt es sich, das Haupt emporgehoben, –
266 
Es reißen die gewebten Gurte los,
267 
Es scheint sein Huf die Erde zu erproben, –
268 
Es tönt dem Donner gleich ihr hohler Schooß, –
269 
Und das Gebiß, das man ihm aufgedrungen,
270 
Bezwingt der Renner, wie es ihn bezwungen.
 
271 
Die Mähne sträubt sich auf des Halses Bogen,
272 
Die jüngst in Flechten hing; er spitzt das Ohr,
273 
Er schnaubt die Luft fort, die er eingesogen,
274 
Wie aus dem Ofen steigt der Dampf empor;
275 
Es blitzt das Auge mit des Feuers Gluth,
276 
Und zeiget sein Verlangen, seinen Muth.
 
277 
Er trabt, als zählt’ er seine Schritte, leicht,
278 
Mit Majestät und edlem Stolz einher,
279 
Dann bäumt er sich und wendet kurz und steigt,
280 
Als spräch’ er: Seht auf meine Kraft, schaut her!
281 
Nur darauf geht mein Trachten und mein Sinnen,
282 
Die Gunst der schönen Stute zu gewinnen!
 
283 
Was kümmert ihn des Reiters wilder Zorn,
284 
Sein schmeichelnd: „Halt!“ sein „Steh’ doch, sag’ ich dir!“
285 
Was achtet er auf Zügel nun und Sporn,
286 
Was auf des köstlichen Geschirres Zier –
287 
Er sieht nichts Andres, als sein Liebchen stehn,
288 
Denn sie allein nur will sein Auge sehn.
 
289 
Wenn die Natur ein Künstler überschreitet,
290 
Und die Vollkommenheit des Pferdes malt, –
291 
Wie dann die Kunst die Wirklichkeit bestreitet,
292 
Wie dann der Schein das Leben überstrahlt,
293 
So übertrifft dies Roß die andern weit
294 
An Muth und Farbe, Gang und Zierlichkeit.
 
295 
Rundhufig, Fesseln kurz, die Haare lang,
296 
Die Nüstern groß, und breit die Brust gebaut,
297 
Die Ohren kurz, und fest in Kreuz und Gang,
298 
Die Mähne dünn, dickschweifig, zart von Haut, –
299 
Nichts fehlet ihm, was einem Roß gebührt,
300 
Als nur ein Herr, der seinen Rücken ziert.
 
301 
Bald springt er fort, steht wieder still und lauschet, –
302 
Bald wird der Sturm im Lauf von ihm besiegt;
303 
Dann starrt er plötzlich, wenn ein Blättchen rauschet, –
304 
Wer will entscheiden, ob er rennt, ob fliegt?
305 
Er weiß dem Winde Mähn’ und Schweif zu geben,
306 
Daß beide, Flügeln gleich, die Luft durchschweben.
 
307 
Er schaut auf sie, und wiehert ihr entgegen;
308 
Antwort giebt sie, als könnte sie’s verstehn;
309 
Sie stellt sich keusch und hart, wie Weiber pflegen,
310 
Wenn sie begehrt, wenn sie geliebt sich sehn.
311 
Sie spottet seiner Gluth, höhnt seine Hitze,
312 
Und bietet mit den Hufen ihm die Spitze.
 
313 
Doch er, schwermüthig gleichsam und betrübt,
314 
Läßt seinen Schweif sich, wie ’nen Fittig, biegen,
315 
Daß er den heißen Lenden Schatten giebt,
316 
Und stampft, und beißt vor Grimm die armen Fliegen;
317 
Sein Lieb, das ihn so zornig toben sieht,
318 
Wird milder nun, und seine Wuth entflieht.
 
319 
Da kommt im Zorn sein Herr, ihn einzufangen,
320 
Und diesen trifft der Stute scheuer Blick;
321 
Schon ist sie furchtergriffen durchgegangen,
322 
Ihr nach der Hengst, – Adonis bleibt zurück;
323 
Sie jagen in den Wald mit Windeswehen,
324 
Und lassen hinter sich den Flug der Krähen.
 
325 
Vom Laufen müde sitzt Adonis nieder,
326 
Und er verwünschet sein unbänd’ges Pferd;
327 
Der Göttin zeigt die Möglichkeit sich wieder,
328 
Das zu erörtern, was sie heiß begehrt;
329 
Ein liebend Herz wird dreifach dulden müssen,
330 
Wenn ihm der Zunge Beistand ist entrissen.
 
331 
Verstopft den Ofen, hemmt des Stromes Fließen,
332 
So glüht er heißer, schwillt mit größ’rer Wuth;
333 
Ein Gleiches ist’s, muß man den Gram verschließen,
334 
Worte besänftigen der Liebe Gluth;
335 
Doch ist der Mund, des Herzens Anwalt, still,
336 
Bricht der Client, der dann verzweifeln will.
 
337 
Er sieht sie kommen, und beginnt zu glüh’n; –
338 
So weckt der Wind die todte Kohle wieder; –
339 
Die Mütze sucht er in’s Gesicht zu zieh’n,
340 
Und blickt verwirrt zur stummen Erde nieder;
341 
Er achtet nicht darauf, daß sie so nah,
342 
Da er nur seitwärts auf die Göttin sah.
 
343 
O welch ein Anblick war’s, sie zu belauschen,
344 
Als sie zum eigensinn’gen Knaben schlich!
345 
Wie kämpfend ihren Platz die Farben tauschen,
346 
Wie Roth der Weiße, Weiß der Röthe wich,
347 
Wie ihre Wange bald erbleicht, bald glühet,
348 
Als ob des Blitzes Strahl vom Himmel sprühet.
 
349 
Nun hat sie ihn erreicht. Vor seinem Sitze
350 
Fällt sie auf’s Knie, mit demuthsvollem Sinn;
351 
Sie lüftet ihm mit einer Hand die Mütze,
352 
Es fühlt die andre nach der Wange hin,
353 
Und die empfängt der Finger Spur so leicht,
354 
Wie frischer Schnee, der jedem Eindruck weicht.
 
355 
O welch ein Krieg von Blicken zwischen ihnen!
356 
Wie ihre Augen ihn um Liebe flehten!
357 
Wie seine sahn, und nicht nicht zu sehen schienen!
358 
Wie ihre warben, seine stets verschmähten, –
359 
Und es erklärte dieses stumme Spiel
360 
Der Thränenchor, der ihrem Aug’ entfiel.
 
361 
Nun faßt sie zärtlich seine schöne Hand, –
362 
’ne Lilie, in Haft von Schnee gebunden,
363 
Ein Elfenbein im Alabasterband,
364 
Ein weißer Feind vom weißen Freund umwunden.
365 
Der Kampf von Nehmen und von nicht Erlauben,
366 
Schien wie das Schnäbeln silberweißer Tauben.
 
367 
Nochmals fing ihres Kummers Herold an:
368 
„Du Lieblichster auf diesem Erdenrund,
369 
Ich wollte, du wärst ich, und ich ein Mann,
370 
Ich heil, wie du, dein Herz, wie meines, wund!
371 
Um einen Blick würd’ ich dir Hülfe spenden,
372 
Und müßte für dein Heil mein Leben enden.“
 
373 
„Gieb los die Hand,“ sprach er, „du willst mich quälen!“
374 
Sie sprach: „Gieb los mein Herz, dann geb’ ich sie;
375 
Gieb’s los, sonst wird dein Herz das meine stählen,
376 
Und ist’s gestählt, hört es auf Seufzer nie;
377 
Dann bleiben Liebesklagen ungehört:
378 
Adonis hat mein Herz mit Stahl bewehrt.“ –
 
379 
„O pfui!“ ruft er, „laß sie, und laß mich geh’n,
380 
Des Tages Lust ist hin, mein Roß entwich;
381 
Durch deine Schuld muß ich beraubt mich seh’n,
382 
Ich bitte dich, geh’ fort, verlasse mich,
383 
Denn mich erfüllt ein einz’ger Wunsch allein, –
384 
Den Hengst von jener Stute zu befrei’n.“
 
385 
Die Göttin sagt: „Es war des Hengstes Pflicht,
386 
Sich an der Liebe süßer Gluth zu letzen;
387 
Denn kühlet man der Neigung Kohle nicht,
388 
So wird sie bald das Herz in Flammen setzen.
389 
Die See hat Grund, die Lieb’ ist grundlos tief,
390 
Drum ist’s kein Wunder, daß dein Roß entlief.
 
391 
Wie stand er einem Gaule gleich am Baum,
392 
Vom schlechten Zügel knechtisch angebunden!
393 
Doch als er sie gesehn, zersprang der Zaum,
394 
Im Nu hatt’ er der Fessel sich entwunden;
395 
Er riß das Band; sich seiner Kraft bewußt,
396 
Befreit’ er Schenkel, Nacken, Kreuz und Brust.
 
397 
Wer sähe wohl sein Liebchen nackt im Bette,
398 
Wie sie die Linnen ächte Weiße lehrt,
399 
Der, wenn er erst das Aug’ gesättigt hätte,
400 
Nicht mit den andern Sinnen auch begehrt?
401 
Wer ist so feige, der nicht kühn es wagte,
402 
Zu nah’n dem Feuer, wenn ihn Kälte plagte?
 
403 
Laß mich den Hengst entschuld’gen, holder Knabe!
404 
Lerne von ihm, – ich bitte dich darum, –
405 
Genießen dargebotner Freude Gabe;
406 
Mag er dich lehren, wär’ ich selber stumm.
407 
O lerne lieben! Leicht nur ist die Müh’,
408 
Und kannst du’s einmal, du vergißt es nie.“
 
409 
„Die Liebe kenn’ ich nicht, will sie nur dulden,
410 
Wenn sie ein Eber, ist, dann hetzt’ ich sie,“ –
411 
Sprach er. „man borgt da viel, ich mag nichts schulden;
412 
Ich lieb’ der Liebe Spott, sonst lieb’ ich nie.
413 
Man sagt, sie soll im Tod noch lebend scheinen,
414 
Und lachen zu derselben Zeit und weinen.
 
415 
Wer trägt ein Kleid, formlos und unvollendet,
416 
Pflückt Blüthen, eh’ ihm Blätter sind beschert?
417 
Wird einer Knospe nur ein Punct entwendet,
418 
So welkt sie hin, und bleibet ohne Werth.
419 
Ein Füllen, das zu jung erträgt Beschwerden,
420 
Verliert den Muth, und wird nie kräftig werden.
 
421 
Wir scheiden nun! Die Hand ist mir gepreßt!
422 
Genug der müßigen und eitlen Worte!
423 
Gieb die Belag’rung auf, mein Herz bleibt fest,
424 
Und schließet stets der Liebe seine Pforte.
425 
Die Schwür’ entlaß, der falschen Thränen Regen,
426 
Sie werden starke Herzen nicht erlegen.“
 
427 
„Wie!“ klagte Venus nun, „so kannst du sprechen?
428 
O wär’ dem anders, oder hört’ ich nicht!
429 
Die Zauberstimme wird das Herz mir brechen;
430 
Erst litt ich, nun erlieg’ ich dem Gewicht!
431 
Melod’scher Mißlaut, bittre Himmelsfreuden,
432 
Musik der Erde, un des Herzens Leiden!
 
433 
Könnt’ ich nicht sehen, könnt’ ich nichts als hören,
434 
Dein Inn’res, Unsichtbares liebt’ ich dann;
435 
Und wär’ ich taub, so würd’ ich dich begehren
436 
Mit jedem Theil in mir, der fühlen kann;
437 
Ja, sollten Augen mir und Ohren fehlen,
438 
Mich würde das Gefühl für dich beseelen!
 
439 
Und wär’ ich um das Denken selbst gekommen,
440 
Und fühlt’ ich nicht, und wär’ ich taub und blind,
441 
Und der Geruch allein mir nicht genommen,
442 
Ich liebte dich mit gleicher Liebe, Kind!
443 
Ein Duft ist, den dein Angesicht gewährt,
444 
Ein Balsamathem, der die Liebe nährt!
 
445 
Doch den Geschmack! – wie würdest du ihn laben,
446 
Ihn, dem die andern alle vier entsprießen!
447 
Sie wünschten ihm, stets solch ein Mahl zu haben,
448 
Beföhlen dem Verdacht die Thür zu schließen,
449 
Daß nicht die Eifersucht vom Feste höre,
450 
Und durch ihr Nah’n des Mahles Freuden störe."
 
451 
Es öffnet nochmals die Rubinenpforten,
452 
Daraus sein Wort den Honigdurchgang findet,
453 
Dem rothen Morgen gleich, der aller Orten
454 
Schiffbruch dem Seemann, Sturm dem Felde kündet,
455 
Dem Schäfer Sorg’ und Noth, den Vögeln Leiden,
456 
und Regenwind den Heerden auf den Heiden.
 
457 
Es merkt die Göttin auf das böse Zeichen; –
458 
Wie, eh’ er heult, der Wolf die Zähne bleckt,
459 
Wie, eh’ es regnet, gern die Winde weichen,
460 
Die Beere platzen muß, eh’ sie befleckt,
461 
Dem Schusse gleich, der tödtet, eh’ er spricht: –
462 
Versteht sie ihn, und dennoch sprach er nicht.
 
463 
Schon bei dem Blick sinkt sie zur Erde nieder,
464 
Denn Liebe stirbt und Liebe lebt von Blicken;
465 
Des Zürnens Wunde heilt ein Lächeln wieder, –
466 
Doch, Heil dem Armen, dem es so mag glücken!
467 
Der liebe Knabe, wähnend, sie sei todt,
468 
Reibt ihre Wang’, und macht sie reibend roth,
 
469 
Daß er vor Schreck es ganz und gar vergißt,
470 
Wie er vorher sie scharf zu tadeln dachte!
471 
Verhindert hat sie das mit feiner List,
472 
Gut war der Einfall, der Vertheid’gung brachte.
473 
Sie liegt wie todt im Gras dahingestreckt,
474 
Bis sie sein Hauch zu neuem Leben weckt.
 
475 
Er zupft die Nase ihr, reibt ihr die Wangen,
476 
Er fühlt den Puls, kaum weiß er sich noch Rath,
477 
Er wärmt die Lippen, zeiget sein Verlangen,
478 
Zu bessern das, was er so lieblos that,
479 
Und giebt ihr Küsse; würd’ er immer küssen,
480 
Sie würde nie sich zu erheben wissen!
 
481 
Zum Tage wandelt sich der Sorgen Nacht,
482 
Da sie zwei blaue Fenster wieder hebet,
483 
Der Sonne gleich, wenn sie mit junger Pracht
484 
Den Morgen grüßt, und alle Welt belebet;
485 
Und wie die Sonne strahlt als Himmelslicht,
486 
Erleuchtet ihr das Aug’ ihr Angesicht.
 
487 
Es richtet auf Adonis seine Flammen,
488 
Als borgt’ es nur von diesem allen Schein;
489 
Vier solche Lampen glänzten nie zusammen,
490 
Nur daß im Unmuth noch die seinen dräu’n.
491 
Ihr Aug’, das durch krystall’ne Thränen glüht,
492 
Scheint Mondlicht, das man Nachts im Wasser sieht.
 
493 
„Bin ich im Himmel, bin ich noch auf Erden?“
494 
Sprach sie, „bin ich im Meer, in Feuersgluth?
495 
Ist’s Morgen, oder will es Abend werden?
496 
Wünsch’ ich den Tod mir, wünsch’ ich Lebensmuth?
497 
Noch eben lebt’ ich, – Tod war solches Leben,
498 
Ich starb, süß war der Tod , von dir gegeben.
 
499 
Du gabst mir Tod; so tödte denn mich wieder;
500 
Die Augen thun ja, was das Herz befahl!
501 
So voll Verachtung sahst du auf mich nieder,
502 
Daß, ach! der Tod in meine Brust sich stahl.
503 
Und hätte Mitleid nicht dein Mund empfunden,
504 
Es wäre meiner Augen Licht geschwunden.
 
505 
Lang mögen deine Lippen noch sich küssen
506 
Für diesen Dienst! Nie mögen sie verglüh’n,
507 
Ihr Glanz mag stets sich zu erhalten wissen,
508 
Mag Pest und Fieber schnell vor ihnen flieh’n,
509 
Und mögen lange noch Sterndeuter sagen:
510 
Sie sind’s allein, die jede Noth verjagen.
 
511 
Du hast mir sanfte Siegel aufgedrückt;
512 
Wir handeln drum! Was geb’ ich dir für neue?
513 
Mich selbst zu geben wär’ ich hoch beglückt,
514 
Wenn du nur kaufen willst, und zahlst mit Treue;
515 
Aus Furcht vor Trug besiegle selbst den Kauf,
516 
Und drück’ dein Siegel meinen Lippen auf.
 
517 
Für tausend Küsse kaufest du mein Herz;
518 
Du setzest selber dir die Zahlungsfrist.
519 
Zehnhundert Küsse sind dir ja nur Scherz,
520 
Sind sie nicht schnell gesprochen, schnell geküßt?
521 
Die Schuld wird doppelt, zahlst du nicht zur Zeit,
522 
Zwei tausend Küsse sind ’ne Kleinigkeit.“
 
523 
Er sprach: „Wenn du mich liebst, o Königin!
524 
Halt’ meine Scheu den Jahren dann zu gut;
525 
Ich weiß ja selber kaum noch, wer ich bin,
526 
Der Fischer schont der unerwachs’nen Brut,
527 
Und herbe schmeckt, gepflückt, die grüne Pflaume,
528 
Versucht man sie; die reife fällt vom Baume.
 
529 
Der Trost der Welt, die müde Sonne geht
530 
Zur Ruh’; vollendet ist des Tages Bürde,
531 
Die nächt’ge Eule ruft: es ist schon spät!
532 
Der Vogel sucht sein Nest, das Schaf die Hürde,
533 
Die Wolken, die den Himmel schwarz bekleiden,
534 
Sprechen gut’ Nacht! und mahnen uns an’s Scheiden.
 
535 
Nun sag’ auch ich: gut’ Nacht, und so sprich du,
536 
Und wenn du’s thust, will ich dich nochmals küssen.“
537 
„Gut’ Nacht!“ sprach sie, und eh’ er „sanfte Ruh’!“
538 
Gesagt, hat sie ihm schon den Lohn entrissen,
539 
Den er versprach; sie weiß ihn zu umschlingen,
540 
Daß sie sich gegenseitig fast durchdringen,
 
541 
Bis er, fast athemlos, zurückgebogen
542 
Den süßen Mund, auf dem die Liebe spielt,
543 
Deß Nektar ihre durst’gen Lippen sogen,
544 
An dem sie schwelgt, und doch sich durstig fühlt.
545 
Da sinken Beide, sie vor Mangel blaß,
546 
Er, fast erdrückt vom Ueberfluß, in’s Gras.
 
547 
Nun kann nichts mehr dem Gluthverlangen wehren;
548 
Sie raubt und schwelgt, und wird doch nimmer satt;
549 
Ihr Mund erobert, seiner läßt gewähren,
550 
Und was sie fordert, zahlt er, er ist matt.
551 
Doch nichts kann ihrem Geiersinn genügen,
552 
Es will selbst seiner Lippen Schatz versiegen.
 
553 
Und da sie fühlt, wie süß das Rauben thut,
554 
Beginnt sie bald in toller Wuth zu plündern,
555 
Ihr Antlitz glüht, es kocht ihr siedend Blut,
556 
Nichts kann der Wollust Raserei verhindern;
557 
Vernunft entflieht, die Scham ist längst vertrieben,
558 
Selbst Trümmer nicht von Ehre sind geblieben.
 
559 
Von ihrer Glut zur Ohnmacht fast gebracht,
560 
Gezähmt durch Druck und Kuß, wie ’n Vögelein,
561 
Ein schnelles Reh, ermüdet von der Jagd,
562 
Ein Kind, das eingewiegt aufhört zu schrei’n,
563 
Gehorcht er nun, und setzt sich nicht zur Wehr;
564 
Sie nimmt, was sie bekommt, und möchte mehr.
 
565 
Kein Wachs so hart, das Feuer nicht erweicht,
566 
So, daß es jedem Eindruck dann sich füget;
567 
Das Unverhoffte wird durch Muth erreicht,
568 
Zumal im Lieben, wo der Held nur sieget;
569 
Denn Liebe bebt nicht feig und scheu zurück,
570 
Sie wächst, je ferner ihr erwünschtes Glück.
 
571 
Nie durfte sie der süße Nektar laben,
572 
Wenn sie dem frühern Zürnen vorschnell wich;
573 
Wer liebt, darf keine Scheu vor Blicken haben –
574 
O Rose, trotz der Dornen pflückt man dich!
575 
Wollt Schönheit unter zwanzig Schlösser bringen,
576 
Die Liebe wird den Weg zu ihr erzwingen.
 
577 
Aus Mitleid hört’ sie auf, ihn zu umfassen,
578 
Er bittet sanft, sie mög’ ihn doch befrei’n,
579 
Und sie beschließt, ihn endlich zieh’n zu lassen,
580 
Befiehlt ihm, ihrer eingedenk zu sein,
581 
Und schwört ihm bei Cupido’s Pfeil und Bogen,
582 
Es sei ihr Herz in seine Brust gezogen.
 
583 
Sie spricht: „Ich werde diese Nacht in Sorgen
584 
Hinbringen müssen; schlaflos werd’ ich sein.
585 
Sag’ mir, Geliebter! treffen wir uns morgen?
586 
O sprich, gehst du auf meinen Vorschlag ein?“
587 
Er schlägt es aus; er hat mit den Genossen
588 
Für morgen eine Eberjagd beschlossen.
 
589 
Sie spricht: „Ein Eber!“ und wird plötzlich bleich,
590 
Es legt ein Schleier sich um ihre Wangen,
591 
Der Rosen Roth verhüllend; und sogleich
592 
Hat sie zum zweiten Mal ihn schon umfangen;
593 
Sie sinkt, an seinem Nacken hangend, nieder,
594 
Er fällt auf sie und drückt die zarten Glieder.
 
595 
Nun ist sie in der Liebe letzten Schranken,
596 
Schon saß ihr Ritter auf zu Kampf und Sieg! –
597 
Doch ach! das Alles sind ja nur Gedanken, –
598 
Er lenkt das Rößlein nicht, das er bestieg.
599 
So muß sie mehr als Tantalus noch leiden,
600 
Umfängt Elysium, entbehrt die Freuden. –
 
601 
Wie Vögel, die gemalte Trauben seh’n,
602 
Im Anblick schwelgend den Genuß entbehren,
603 
So schmachtet sie, und will in Gluth vergeh’n,
604 
Denn gleich den Vögeln sieht sie nur die Beeren.
605 
Das eine Letzte, was sie noch vermißt,
606 
Entzünden will sie das, indem sie küßt.
 
607 
Umsonst, o Göttin! es gelingt dir nie!
608 
Nichts giebt es mehr, was zu versuchen bliebe;
609 
Wohl größern Lohn verdiente solche Müh’,
610 
Die Liebe selbst liebt ohne Gegenliebe!
611 
„O pfui, du drückst mich!“ spricht er, „laß mich eilen,
612 
Mit welchem Recht zwingst du mich, zu verweilen?“
 
613 
„Ich wollte dich entlassen, wie du weißt,“
614 
Erwidert sie, „da sprachest du vom Jagen;
615 
O laß dir rathen! Weißt du, was es heißt,
616 
Mit bloßem Speer zum Eber sich zu wagen,
617 
Der stets die unbedeckten Hauer wetzt,
618 
Und gleich dem Fleischer sich am Morde letzt?
 
619 
Des krummen Rückens borst’ge Stacheln dräu’n
620 
Dem Untergang, der kühn ihm widersteht;
621 
Die Augen leuchten mit des Glühwurms Schein,
622 
Und Gräber, wühlt die Schnauze, wenn er geht.
623 
Wird er gereizt, dann schlägt er tiefe Wunden,
624 
Und wen er schlägt, der kann nicht mehr gesunden.
 
625 
Die Seiten, die mit borst’gem Haar besetzt,
626 
Nie wird dein leichter Wurfspieß sie durchdringen;
627 
Sein kurzer Nacken wird nur schwer verletzt,
628 
Und zürnt er, könnt’ er fast den Löwen zwingen!
629 
O schrecklich ist er selbst den Dornensträuchen,
630 
Denn wenn er naht, so scheinen sie zu weichen. –
 
631 
Der achtet nicht dein holdes Angesicht,
632 
Darauf das Aug’ der Lieb’ in Wonne blickt,
633 
Noch deiner Hand, der süßen Lippe nicht,
634 
Deren Vollendung alle Welt entzückt,
635 
Erschaut’ er bei der Jagd dich, – o Entsetzen! –
636 
Er würde dich, gleich wie die Flur, zerfetzen.
 
637 
Laß ihn im Röhricht, bleib’ er, wo er war!
638 
Schönheit hat nichts zu thun mit solchen Feinden,
639 
Begieb dich nicht freiwillig in Gefahr!
640 
Nur dem geht’s wohl, der Rath annimmt von Freunden.
641 
Als du vom Eber sprachst, mein süßes Leben,
642 
Da fing ich an zu zittern und zu beben.
 
643 
Hat nicht Entsetzen mir gelös’t die Glieder?
644 
Wich nicht aus meinem Angesicht das Blut?
645 
Ward ich nicht bleich, sank ich nicht plötzlich nieder?
646 
In meiner Brust, an der die deine ruht,
647 
Pocht laut mein Herz, und klopft, und schlägt, und zittert,
648 
Daß es selbst dich, Erdbeben gleich, erschüttert. –
 
649 
Wo Liebe herrscht, da weilt die Eifersucht;
650 
Sie nennet sich der Liebe sichre Wache,
651 
Schlägt falschen Lärm, denkt immer nur an Flucht,
652 
Und träumt im Frieden selbst von Mord und Rache.
653 
Sie stört der Liebe Ruh’ in blinder Wuth,
654 
Wie Luft und Wasser hemmt des Feuers Gluth.
 
655 
Die böse Feindin, die den Streit entzündet,
656 
Der Krebs, der an der Liebe Frühling nagt.
657 
Die Eifersucht, die Mährchen stets erfindet,
658 
Und oft zwar Wahres, doch oft Falsches sagt,
659 
Schlägt an mein Herz, und flüstert mir in’s Ohr:
660 
Wenn du ihn liebst, beug’ seinem Tode vor.
 
661 
Und mehr als das noch, da sie mir entdeckt
662 
Des wuthempörten Ebers schrecklich Bild,
663 
Und unter seinen Hauern hingestreckt
664 
Ein Wesen, gleich wie du, so sanft und mild,
665 
Deß Blut die frischen Blumen übersteiget,
666 
Sie trauern macht, und ihre Häupter neiget.
 
667 
Und wenn dem nun die Wirklichkeit entspricht?
668 
Schon der Gedanke füllet mich mit Grauen,
669 
Und macht, daß mir das Herz im Busen bricht;
670 
Es läßt die Furcht mich in die Zukunft schauen:
671 
Dich trifft der Tod, jagst du den Eber morgen!
672 
O süßes Kind! entlaste mich der Sorgen!
 
673 
Ist es die Jagd allein, die dir gefällt,
674 
So jage denn den flücht’gen Hasen auf,
675 
Den Fuchs, der List dir nur entgegenstellt,
676 
Das Reh, deß einzige Vertheid’gung Lauf.
677 
Besteig’ dein flücht’ges Roß, gebeut den Hunden,
678 
Doch laß die Eberjagd und ihre Wunden. –
 
679 
Ist der kurzsicht’ge Rammler aufgejagt,
680 
Dann merke, wie das arme Thier sich windet,
681 
Wie es den Wind im Lauf besiegt, sich plagt,
682 
Die Wege kreuzt, bald hier, bald dort sich findet;
683 
Er macht die Plätze, die er dann durchirret,
684 
Zum Labyrinth, das seinen Feind verwirret.
 
685 
Wo Schafe weiden, geht er in die Heerde,
686 
Und hofft, der Hund verliere nun die Spur;
687 
Steckt bei Kaninchen gerne, die die Erde
688 
Aufwühlen, flieht er die Verfolger nur;
689 
Auch mischt er wohl sich in der Hirsche Schaaren,
690 
Ihn lehren List und Ränke die Gefahren.
 
691 
Denn hier, wo fremde Fährte sie verführt,
692 
Da fehlt die Spur, und Zweifel kommt den Hunden;
693 
Sie schweigen, bis sie dann es ausgespürt
694 
Und ihren Fehler endlich aufgefunden.
695 
Dann tönt der Jagdruf, und das Echo hallt,
696 
Daß in der Luft ein zweiter Jagdruf schallt. –
 
697 
Der Hase sitzt auf fernem Hügel still,
698 
Auf müden Hinterbeinen; horcht und lauscht,
699 
Ob man ihn weiter noch verfolgen will;
700 
Und wenn dann Hundsgebell die Luft durchrauscht,
701 
Dann bringt ihm das, gleich wie dem Todeskranken
702 
Der Todtenglocke Schall, Todesgedanken.
 
703 
Nun sieh’ den armen Rammler schweißbenetzt!
704 
Er geht, er kommt, es läßt der Weg ihn schwanken;
705 
Wie jeder Dornbusch neidisch ihn verletzt,
706 
Ein Schatten macht ihn stehn, ein Murmeln wanken.
707 
Wer Unglück leidet, dem ist Hülfe fern,
708 
Ihn niedertreten möchte Mancher gern.
 
709 
O liege still! Was bist du so in Hast?
710 
Nein, ringe nicht! Du darfst mir noch nicht gehen!
711 
Ich mache dir die Eberjagd verhaßt,
712 
Du mußt mich hören, um mich zu verstehen.
713 
Ich habe dies und jenes noch zu sagen,
714 
Die Liebe spricht so gern von ihren Klagen.
 
715 
Wo ließ ich’s doch?“ „Gleich viel“, sprach er, „laß mich,
716 
Und dann ist die Geschichte schön beschlossen.
717 
Die Nacht ist hin.“ Sie sprach: „Was kümmert’s dich?“
718 
Und er: „Es harren meiner die Genossen;
719 
Nun werd ich fallen, dunkel ist der Weg.“
720 
„Dann findet Lieb’ am sichersten den Steg!“
 
721 
Versetzte sie, „und fällst du, wolle glauben,
722 
Du wärest hangen irgendwo geblieben,
723 
Weil auch die Erd’ ein Küßchen dir will rauben;
724 
Ein großer Schatz macht Ehrliche zu Dieben;
725 
Mit Recht hüllt Luna sich in Wolken ein,
726 
Denn sieht sie dich, muß sie meineidig sein.
 
727 
Nun weiß ich wohl, woher dies Dunkel stammt:
728 
Luna verbirgt den Silberglanz aus Scham,
729 
Bis die Natur um Hochverrath verdammt,
730 
Weil sie dem Himmel Götterformen nahm,
731 
Und dich, dem Himmel trotzend, drin gekleidet,
732 
Was Sol bei Tag, Luna bei Nacht beneidet.
 
733 
Drum wußte sie die Parcen aufzuregen,
734 
Die Künstlerarbeit der Natur zu hindern,
735 
Vollkomm’ner Schönheit Schwäche beizulegen,
736 
Durch Fehler die Vollendung selbst zu mindern;
737 
Und brachte jedes Unglück in die Welt,
738 
Das diese leider nur zu sehr entstellt;
 
739 
Als heiße Fieber, Schwäche, Seuchen, Gicht,
740 
Die gift’ge Pest, des Wahnsinns tolle Wuth,
741 
Die Krankheit, die des Lebens Mark umflicht
742 
Und Unheil schafft, erhitzend unser Blut; —
743 
Betrug und Lug und Laster, Gram und Weh’n,
744 
Entstellen die Natur, weil du so schön.
 
745 
Und dieser Uebel kleinstes hat die Macht,
746 
Im Augenblick die Schönheit zu vernichten;
747 
Der Glanz, der Farbenschmelz, die holde Pracht,
748 
Auf die bewundernd sich die Blicke richten,
749 
Sind plötzlich hingeschwunden und verweht,
750 
Wie vor der Mittagssonne Schnee zergeht.
 
751 
Drum auf, nutzlose Keuschheit sei verlacht!
752 
Laß eigensücht’ge Nonnen uns verhöhnen!
753 
Sie hätten bald die Erde leer gemacht,
754 
Und Mangel wär’ an Töchtern wie an Söhnen;
755 
Drum brenne Nachts dein Lämpchen, spare nicht,
756 
Denn so verbrauchtes Oel erzeuget Licht!
 
757 
Dein Körper ist ja nichts als der Verlust
758 
Von all’ den Sprossen, die du in dir trägst;
759 
Und die du mit der Zeit doch haben mußt,
760 
Wenn du sie nicht in Dunkelheit erschlägst;
761 
Und thust du das, verachtet dich die Welt,
762 
Weil ihre schönste Hoffnung dann zerfällt.
 
763 
Und so in dir dich selber zu vernichten,
764 
Ist größre Unthat noch als Bürgerzwist,
765 
Als in Verzweiflung selber sich zu richten,
766 
Verdammlicher, als Kindermord schon ist;
767 
Verborgne Schätze muß der Rost zerstören,
768 
Benutztes Gold wird neues Gold gebären.“
 
769 
Adonis sprach: „Nein, nein! du willst mit List
770 
Mich wieder auf das alte Thema bringen;
771 
So hab’ ich dich denn erst umsonst geküßt?
772 
Vergebens suchst du mit dem Strom zu ringen;
773 
Bei dieser Nacht, der Nährerin der Laster,
774 
Du wirst mir durch dein Reden nur verhaßter! –
 
775 
Und wären tausend Zungen dir verliehen,
776 
Und jede mehr als deine noch beredt,
777 
Bezaubernd, wie der Nixe Melodieen, –
778 
Doch wird der Ton an meinem Ohr verweht;
779 
Gewaffnet steht mein Herz in meinem Ohre,
780 
Und schließet falschen Tönen dort die Thore;
 
781 
Auf daß nicht der verführerische Klang
782 
Sich in das Kämmerchen der Brust mir schleiche,
783 
Und dann aus meinem stillen Herzen bang
784 
Des süßen Schlafes sanfte Ruhe weiche!
785 
Nein, Königin: mein Herz will keinen Kummer,
786 
Und, da’s allein schläft, kennt gesunden Schlummer.
 
787 
Was sprachst du, das nicht besser mir bewußt?
788 
Es ist der Sünde Pfad so sanft und breit;
789 
Die Liebe fass’ ich nicht, nein, deine Lust,
790 
Die deine Liebe jedem Fremden leiht;
791 
Nur zur Vermehrung thust du’s – schön erdacht!
792 
Da wird Vernunft zur Kupplerin gemacht. –
 
793 
Nenn’s Liebe nicht! Zum Himmel floh die Liebe,
794 
Seit Wollust sich mit diesem Namen deckt,
795 
Und unter solchem Schein die wilden Triebe
796 
Mit frischer Schönheit nährt, und die befleckt!
797 
Die wilde Räuberin wird sie zerstören,
798 
Wie Raupen zarte Blätter gern verheeren.
 
799 
Die Liebe nährt, wie Sonnenschein nach Regen,
800 
Die Wollust ist’s, die Sturm nach Sonne beut;
801 
Frisch bleibt des Liebefrühlings holder Segen,
802 
Die Wollust bringt den Winter vor der Zeit.
803 
Die Liebe schwelget nicht, die Wollust praßt,
804 
Die Lieb’ ist wahr, da Wollust Wahrheit haßt.
 
805 
Mehr könnt’ ich sagen, doch es soll nicht sein:
806 
Der Text ist alt, der Redner jugendlich;
807 
Mein Antlitz ist voll Scham, mein Herz voll Pein,
808 
Betrübt, o Königin! verlaß ich dich.
809 
Die Ohren, die gehört, was du gesprochen,
810 
Sie glüh’n, und strafen so, was sie verbrochen.“
 
811 
Er spricht’s, und reißt von ihrer Brust sich auf,
812 
Die ihn geladen hat zum höchsten Glück;
813 
Eilt heimwärts durch die Flur in schnellem Lauf,
814 
Und läßt im Gram die Göttin dort zurück;
815 
Ein heller Stern, der sich vom Himmel windet
816 
Erscheint er, als er in die Nacht entschwindet.
 
817 
Sie sieht ihm nach, wie man vom Ufer sieht
818 
Auf’s Schiff, darin ein Freund sich eingeschifft,
819 
Bis es das wilde Meer dem Aug’ entzieht,
820 
Wo Weg’ und Himmel fern zusammentrifft.
821 
Nun hüllet ihn, der Licht ihr sonst gebracht,
822 
In schwarzes Dunkel ein die finstre Nacht.
 
823 
Bestürzt darob, wie, wem ’nen Edelstein,
824 
Der werth ihm war, die wilde Fluth verschlang,
825 
Erschreckt, wie wohl der Wanderer mag sein,
826 
Wenn ihm im Wald das Licht erlosch, so bang
827 
Liegt dort die Königin, vom Schmerz gebeugt,
828 
Ihr fehlt das Licht, das ihr den Weg gezeigt.
 
829 
Sie schlägt den Busen sich, beginnt zu stöhnen,
830 
Daß alle Nachbarhöhlen, aufgeschreckt,
831 
Die Klagelaute hallend wiedertönen;
832 
Es hat ihr Schmerz das Echo aufgeweckt;
833 
„O wehe mir!“ so ruft sie, „weh’ mir, oh!“
834 
Und immer ruft das Echo eben so.
 
835 
Sie merkt darauf, und sie beginnt zu klagen
836 
In langen Liedern, dumpf und trauervoll:
837 
Wie Liebe Jugend kann in Fesseln schlagen,
838 
Wie sie in Thorheit klug, in Klugheit toll;
839 
Sie endet stets das Lied mit Ach und Oh,
840 
Des Echos Chöre enden eben so.
 
841 
Langweilig war’s, und dauerte die Nacht,
842 
Denn scheinbar kurz sind lang Verliebter Stunden;
843 
Wer liebt, der glaubt, was ihm Vergnügen macht,
844 
Sei auch zu jedes Andern Lust erfunden.
845 
Der Liebe Mährchen wollen nimmer enden,
846 
Und Niemand hört; sie spricht vor leeren Wänden.
 
847 
Sie bringt die Nacht hin, mit des Echos Tönen,
848 
Die, Parasiten gleich, sich an sie schmiegen,
849 
Wie gute Wirthe wohl sich d’ran gewöhnen,
850 
Sich ihrer Gäste Launen stets zu fügen.
851 
„So soll es sein!“ spricht sie, „so soll es sein!“
852 
Spricht auch das Echo, sagt sie „nein!“ spricht’s „nein!“
 
853 
Nun schwingt die Lerche sich in heller Luft,
854 
Der Ruhe müde, schnell zum Himmel auf,
855 
Erweckt den Morgen, dessen Silberbrust
856 
Phöbus entläßt zu seinem Tageslauf;
857 
Und dieser läßt gleich flüss’gem Golde blitzen
858 
Der Cedern Wipfel und der Berge Spitzen.
 
859 
Und Venus giebt ihm diesen Morgengruß:
860 
„Du klarer Gott, der allem Licht gebeut,
861 
Von dem so Stern wie Lampe borgen muß
862 
Den hellen Strahl, mit dem sie Schein verleiht,
863 
Es lebt ein Erdensohn, so reich an Licht,
864 
Daß seines Glanzes Pracht selbst dir gebricht.“
 
865 
In einen Myrthenhain ist sie gekommen,
866 
Und schmollt, daß schon der Morgen vorgerückt,
867 
Und sie noch nichts von ihrem Lieb vernommen,
868 
Kein Horn gehört, und keinen Hund erblickt;
869 
Da höret sie die Hunde plötzlich heulen,
870 
Und jagt dem Schalle nach im schnellsten Eilen.
 
871 
Die Büsche, die auf ihrem Weg sich finden,
872 
Die halten sie; der küsset ihr Gesicht,
873 
Und der versucht’s, die Hüft’ ihr zu umwinden,
874 
Bis sie in Hast aus der Umarmung bricht.
875 
So eilt ein Reh, deß volle Euter schmerzen,
876 
Ihr Junges schnell zu säugen und zu herzen.
 
877 
Nun höret sie, die Hunde sind in Noth,
878 
Und sie erstarrt, wie der, dem eine Schlange
879 
In seinem Weg geringelt dar sich bot,
880 
Und den die Furcht dann zittern macht und bange.
881 
So weiß auch hier der Hunde furchtsam Bellen
882 
Mit Blässe das Gesicht ihr zu entstellen.
 
883 
Sie merket wohl, daß es um Großes geht:
884 
Es gilt dem Eber, Löwen oder Bären,
885 
Weil das Gebell an einem Orte steht,
886 
Und dort auch bleibt, sie kann es deutlich hören;
887 
Die Hunde, die den Feind so muthig finden,
888 
Sie scheuen alle mit ihm anzubinden. –
 
889 
Ihr traurig Ohr erfüllt das wilde Schrei’n,
890 
Und dringt hindurch um ihr in’s Herz zu ziehen,
891 
Das, überwunden bald von Furcht und Pein,
892 
Ihr Denken und ihr Fühlen läßt entfliehen;
893 
Wie Krieger, wenn der Führer liegt erschlagen,
894 
In feiger Flucht nicht mehr zu stehen wagen,
 
895 
So steht auch sie in zitternder Betäubung,
896 
Bis sie den tiefbetrübten Sinn ermannt;
897 
Sie sagt sich dann, es sei nur Uebertreibung,
898 
Was sie geschreckt, hat’s Kinderfurcht genannt;
899 
Sie heißt sich muthig sein, kühn und entschlossen, –
900 
Da plötzlich kommt der Eber angeschossen,
 
901 
Deß schaumbesprühter Rachen roth befleckt,
902 
Wie weiße Milch gemischt mit rothem Blut,
903 
Ihr armes Herz zum zweiten Mal erschreckt,
904 
Und sie verscheucht; nicht weiß sie, was sie thut,
905 
Bald läuft sie schnell, bald hält sie plötzlich ein,
906 
Und kehrt zurück, den Eber Mords zu zeih’n.
 
907 
Auf tausend Wege treibt der Unmuth sie;
908 
Sie geht und kommt zurück, sie scheint verwirret,
909 
Sie jagt und eilt, doch weiter kommt sie nie,
910 
Dem Trunknen gleich, der taumelnd wankt und irret,
911 
Der voll von Vorsicht unvorsichtig ist,
912 
Und Alles wollend, Alles doch vergißt.
 
913 
Da sieht sie einen Hund im Busch gestreckt,
914 
Und sie beginnt den müden anzureden;
915 
’nen andern dort, der seine Wunden leckt,
916 
Das einz’ge Mittel gegen gift’ge Schäden;
917 
Hier kommt ein dritter angejagt und heult,
918 
„Wo ist dein Herr?“ – Allein das Thier enteilt.
 
919 
Kaum hat sein trauriges Gebell geendet,
920 
Da kommt ein andrer schon, der ungestüm
921 
Scheußliche Töne zu den Wolken sendet,
922 
Ein andrer und ein andrer folgen ihm,
923 
Die stolzen Schwänze matt zum Boden senkend,
924 
Die Ohren schlaff, mit Blut die Wege tränkend.
 
925 
So wie das Völklein dieser Welt erschrickt
926 
Vor Mißgeburten und vor Wunderzeichen,
927 
Auf die es lange furchtsam hingeblickt, –
928 
Wie bange Ahnungen es dann beschleichen,
929 
So seufzt die Göttin jetzt in ihrer Noth
930 
Und athmet tief, und spricht dann so zum Tod:
 
931 
„Du blasser, mißgeschaffener Tyrann,
932 
Der Liebe Scheidung“ (also schilt sie ihn),
933 
„Du grinsendes Gespenst, was trieb dich an,
934 
Ihm, der so hold, den Athem zu entzieh’n?
935 
Ihm, der den Rosen Glanz verlieh im Leben,
936 
Und der den Veilchen Wohlgeruch gegeben.
 
937 
Und ist er todt, – doch nein! Unmöglich! Nein,
938 
Du würdest nie an solchen Reiz dich wagen!
939 
Und doch! – O du bist blind, doch kann es sein,
940 
Du hast in blinder Hast ihn mir erschlagen!
941 
Das Alter ist dein Ziel! dein falsch Geschoß
942 
Ging irre, da es Kinderblut vergoß!
 
943 
Und riefst du nur: „Hab’ Acht!“ – er sprach so weich, –
944 
Dann sprach er, und du konntest ihn nicht tödten;
945 
Die Parzen fluchen dir für diesen Streich;
946 
Du stahlst die Frucht, und solltest Unkraut gäten.
947 
Es war für ihn gespannt der Liebe Bogen,
948 
Nun hat dein schwarzer Pfeil ihn mir entzogen!
 
949 
Nährst du von Thränen dich, und mußt mich kränken?
950 
Kann Vortheil dir aus meinem Gram entsteh’n?
951 
Warum in ew’gen Schlaf das Auge senken,
952 
Von dem die andern alle lernten seh’n?
953 
Nun wird dein Toben die Natur nicht kümmern,
954 
Da du ihr Schönstes wußtest zu zertrümmern!“
 
955 
Hier senkt sie, von Verzweiflung übermannt,
956 
Die schönen Augenlieder; diese schlossen
957 
Der Fluthen Strom, der, ihrer Wang’ entsandt,
958 
Zu ihrem Busen war herabgeflossen;
959 
Doch wehren sie dem Silberregen nicht,
960 
Der, diese Thore öffnend, sie durchbricht.
 
961 
Wie Thränen nun und Augen leih’n und borgen!
962 
Thränen im Auge, und das Aug’ in Thränen
963 
Seh’n sie, Krystalle beide, ihre Sorgen,
964 
Sorgen, die Seufzer noch zu trösten wähnen,
965 
Daß Thrän’ und Seufzer, gleich wie Wind und Regen,
966 
Die Wangen naß, und wieder trocken legen.
 
967 
Die Leidenschaften, die in ihr vereint,
968 
Sie scheinen um den Vorrang sich zu streiten;
969 
Sie unterhält sie alle; jede scheint,
970 
Herrscht sie, das größte Leid ihr zu bereiten;
971 
Doch keine siegt, bis sie zusammentraten,
972 
Gleich Wolken, die sich über Sturm berathen.
 
973 
Da hört sie fern her eines Jägers Ton!
974 
Kein Kind hat so der Amme Sang vergnügt.
975 
Der bloße Hoffnungslaut entreißt sie schon
976 
Der Last des Kummers, dem sie fast erliegt;
977 
Sie schmeichelt sich, so weit ist sie gekommen,
978 
Adonis selber habe sie vernommen.
 
979 
Da stillet bald der Thränen Strom sich wieder,
980 
Wie Perlen stehen sie im Auge fest;
981 
Nur selten sinkt ein glänzend Tröpfchen nieder,
982 
Das dann die Wange saugt und nicht entläßt,
983 
Damit sich keins zum schmutz’gen Boden senke,
984 
Der trunken ist, wenn Venus hier ertränke.
 
985 
Ungläub’ge Liebe! Wunderbares Spiel!
986 
Ungläubig, und zu glauben doch bereit, –
987 
Im Wohl, im Wehe, nimmer hälst du Ziel,
988 
Und bist belachenswerth in Lust und Leid.
989 
Du hoffst Unmögliches in deiner Freude, –
990 
Dich tödtet blose Möglichkeit im Leide.
 
991 
Was sie gewebt, das wird nun umgewandt.
992 
Adonis lebt, der Tod ist nicht zu tadeln;
993 
Sie war es nicht, die grinsend ihn genannt,
994 
Sie will ihn rühmen nur, sie will ihn adeln,
995 
Sie nennt ihn Grab der Fürsten, Gräberkönig,
996 
Herrscher der Welt, und denkt, noch sei’s zu wenig.
 
997 
„Nein“ sprach sie, „lieber Tod, Scherz war es mir,
998 
Und doch, – verzeihe! – mir entwich der Muth;
999 
Als ich den Eber sah, das wilde Thier,
1000 
Das ohne Mitleid ewig dürstet Blut,
1001 
Da schmäht’ ich dich, der Wahrheit sei die Ehre,
1002 
Aus Furcht, daß mir mein Lieb entrissen wäre.
 
1003 
Nicht mir schreib’s zu, der Eber reizte mich,
1004 
Dies scheußliche Geschöpf hat dich gekränkt,
1005 
An ihm, o Unsichtbarer, räche dich,
1006 
Ich war das Werkzeug, er hat mich gelenkt.
1007 
Zwei Zungen hat der Schmerz; beide zu zwingen
1008 
Kann nur zehnfachem Weiberwitz gelingen.“
 
1009 
So, voll von Hoffnung, daß Adonis lebe,
1010 
Entschuldigt und verneint sie, was gescheh’n,
1011 
Und, daß er seiner Schönheit Dauer gebe,
1012 
Giebt sie dem Tode schmeichelnd zu versteh’n,
1013 
Spricht von Trophäen ihm und Siegeszeichen,
1014 
Und wie kein Ruhm dem seinen zu vergleichen.
 
1015 
„O Zeus, wie thöricht war, was ich ersann!“
1016 
So ruft sie aus, „wie schwach an Geist und Sinn,
1017 
Um den zu trauern, der nicht sterben kann,
1018 
Bis alles Sterbliche in Staub sinkt hin!
1019 
Denn ist er todt, dann sank die Schönheit nieder,
1020 
Ist Schönheit todt, dann kehrt das Chaos wieder.
 
1021 
O Liebe, du wirst so von Furcht gebeugt,
1022 
Wie Reiche, wenn sie Räuber wild bedräu’n;
1023 
Was weder Ohr noch Auge dir bezeugt,
1024 
Das füllt dein banges Herz mit Furcht und Pein!“
1025 
Da höret sie ein Horn, und hüpft vor Freuden,
1026 
Sie, voll Verzweiflung eben und voll Leiden.
 
1027 
Gleich wie zum Atz der Falke jagt sie fort,
1028 
Leicht, daß kein Grashalm unter ihr sich biegt, –
1029 
Da sieht sie plötzlich, – weh’! o Unglücksort! –
1030 
Vom Eber ihres Herzens Lust besiegt!
1031 
Es hüllen ihre Augen sich in Nacht,
1032 
So birgt der Stern sich, vor des Tages Pracht. –
 
1033 
Wenn du ihr Horn berührst, wie dann die Schnecke
1034 
Sich schmerzvoll in die Muschelhöhle schmiegt,
1035 
Zurückgekauert bleibet im Verstecke,
1036 
Und furchterfüllt nur spät erst weiter kriecht,
1037 
So auch bei diesem blut’gen Anblick stehlen
1038 
Sich ihre Augen in die Augenhöhlen.
 
1039 
Es soll das kummervolle Hirn die Pracht
1040 
Der schönen Augen nach Gefallen lenken,
1041 
Und dies befiehlt: Verbleibet noch in Nacht,
1042 
Denn sehend würdet ihr die Herrin kränken.
1043 
Sie seufzte tief; – wie wenn ein König fühlt,
1044 
Daß ihm der Tod im wunden Herzen wühlt,
 
1045 
Und stöhnt, daß jeder Unterthan erzittert, –
1046 
Wie wenn die Luft, im Boden eingepreßt,
1047 
Den Ausweg suchend, unsre Erd’ erschüttert,
1048 
Und dann vor Furcht die Menschen beben läßt,
1049 
So schüttelt jener Seufzer ihre Glieder,
1050 
Und öffnet die geschloßnen Augen wieder,
 
1051 
Die willenlos und nicht auf ihr Geheiß,
1052 
Die Wund’ erblicken, die der Eber schlug
1053 
In seine Weiche, deren Lilienweiß
1054 
Nun dunkelrothe Purpurfarbe trug;
1055 
Kein Blümchen stand umher, kein Gräschen grün,
1056 
Das nicht in seinem Blut zu bluten schien.
 
1057 
Und Venus sieht das Mitgefühl; sie neigt
1058 
Zur weißen Schulter niederwärts das Haupt, –
1059 
Ihr Leid ist sinnlos, ihre Sorge schweigt;
1060 
Sie wähnt ihn lebend, den der Tod geraubt;
1061 
Ein Bildniß scheint sie, wie aus Erz gegossen,
1062 
Und zürnt, daß ihre Thränen je geflossen.
 
1063 
Auf seine Wunde schaut sie unverwandt,
1064 
Bis dreifach wird der einen Wunde Schein,
1065 
Und schilt ihr Auge dann, das Wunden fand,
1066 
Wo, wie sie wünscht, kein Ritzchen sollte sein.
1067 
Sie sieht ihn doppelt, denn das Auge irret,
1068 
Wenn das Gehirn sich und der Geist verwirret.
 
1069 
„Nicht Worte find’ ich, einen zu beklagen,“
1070 
Spricht sie, „und doch seh’ ich der Todten zwei;
1071 
Selbst Thränen wollen jetzt sich mir versagen,
1072 
Die Augen glühen mir, das Herz ist Blei;
1073 
Schmilz, hartes Blei, am Feuer meiner Augen,
1074 
Und laß aus diesen Tropfen Tod mich saugen!
 
1075 
Welch reicher Schatz, o Welt, ist dir entschwunden!
1076 
Welch Angesicht ist noch des Anschaun’s werth!
1077 
Weß Zung’ ist nun Musik! Was wird gefunden,
1078 
Vergang’nes, Künftiges, dem Ruhm beschert?
1079 
Wohl mögen Blumen noch in Farben prangen,
1080 
Die wahre Schönheit ist mit ihm vergangen!
 
1081 
Wem kann nun Hut und Schleier nöthig sein?
1082 
So Wind wie Sonne küssen nur die Schönen,
1083 
Und Schönheit starb; drum braucht ihr nichts zu scheu’n,
1084 
Denn Wind und Sonne werden euch verhöhnen;
1085 
Nur als Adonis lebte, hatten beide
1086 
An seiner Schönheit Raub, gleich Dieben, Freude.
 
1087 
Er trug ein Hütchen, unter dessen Rand
1088 
Mit ihren Strahlen sich die Sonne wagte;
1089 
Bald hatte leicht der Wind es ihm entwandt,
1090 
Und spielte mit den Locken; er, er klagte,
1091 
Vergoß auch Zähren wohl; Leid war es jenen,
1092 
Sie eiferten, zu trocknen seine Thränen.
 
1093 
Ihn anzublicken ging der Leu verstohlen
1094 
Tief in’s Gebüsch, er mocht’ ihn nimmer stören;
1095 
Und wenn er Lieder sang, sich zu erholen,
1096 
Dann pflegte zahm der Tiger ihn zu hören.
1097 
Von seiner Beute hat den Wolf geschieden
1098 
Adonis’ Wort; es gab den Lämmern Frieden.
 
1099 
Wenn er sein Bild im stillen Bache sah,
1100 
Dann kamen Fischlein mit den gold’nen Kiemen;
1101 
Naht’ er, wie freuten sich die Vögel da!
1102 
Sie sangen Lieder nur, um ihn zu rühmen,
1103 
Sie brachten Kirschen dann, um ihn zu nähren;
1104 
Sie sättigte der Anblick, ihn die Beeren.
 
1105 
Der Eber nur, so scheußlich und so wild,
1106 
Der erdwärts seine grimmen Blicke trug,
1107 
Nach Gräbern suchend, sah nie dieses Bild;
1108 
Das zeigt die Todeswunde, die er schlug.
1109 
Wenn er sein Antlitz sah, dann muß ich sagen,
1110 
Er wollt’ ihn küssen, und hat ihn erschlagen.
 
1111 
Gewiß, gewiß! Nur so hat er geendet!
1112 
Mit scharfem Speer rannt’ er den Eber an,
1113 
Der nicht die Hauer gegen ihn gewendet,
1114 
Nein, der ihn küssend zu beruh’gen sann.
1115 
Liebkosend schmiegt er sich an seine Weiche,
1116 
Und macht ihn unfreiwillig dann zur Leiche.
 
1117 
Wär’ ich so zahnbewehrt, ich muß bekennen
1118 
Dann gab ich küssend früher ihm den Tod!
1119 
Nie wollt’ er seine Jugendgluth mir gönnen,
1120 
Er starb – ach, um so größer meine Noth!“
1121 
Sie sinket, wo sie stand, die Erde deckend,
1122 
Mit seinem Blut ihr Angesicht befleckend.
 
1123 
Sie blickt auf seine Augen, sie sind bleich;
1124 
Sie faßt ihn bei der Hand, Und sie ist kalt;
1125 
Sie flüstert traurig in das Ohr ihm, gleich
1126 
Als hört’ er noch, wie ihre Klage schallt;
1127 
Sie hob die Augenlieder ihm und sah –
1128 
Ach, zwei verlosch’ne Lampen lagen da!
 
1129 
Zwei Spiegel, drin sie tausend Male sich
1130 
Beschaut, die werfen fürder keinen Strahl;
1131 
Die Kraft, mit der sie glänzten, sie verblich,
1132 
Es war der Tod, der ihre Schönheit stahl.
1133 
„Wunder der Zeit!“ sprach sie, „nur mich zu kränken,
1134 
Kann Phöbus, da du starbest, Licht noch schenken.
 
1135 
Da du gestorben bist, so soll auf Erden
1136 
Sich mit der Liebe stets verbinden Pein;
1137 
Sie soll von Eifersucht begleitet werden,
1138 
Süß soll ihr Anfang, herb ihr Ende sein;
1139 
Es soll sich Niedriges zu Hohem fügen,
1140 
Der Liebe Leid soll ihre Lust besiegen.
 
1141 
Es sei die Liebe falsch und voll Betrug;
1142 
Ein Hauch soll sie im Augenblick verwehen;
1143 
Ihr Boden Gift, doch oben süßer Lug;
1144 
Das schärfste Auge soll getäuscht sich sehen.
1145 
Sie wird die Kraft der Stärksten selbst verlachen,
1146 
Die Weisen stumm, die Thoren redend machen.
 
1147 
Zu sparsam soll sie sein, und doch verschwenden;
1148 
Das schwache Alter soll sie tanzen lehren;
1149 
Den starren Blick des Schurken soll sie wenden;
1150 
Den Reichen plündern, Armer Schatz vermehren.
1151 
Bald sei sie rasend, bald zu mild gesinnt,
1152 
Ihr sei der Jüngling Greis, der Greis ein Kind.
 
1153 
Sie wird die Unschuld als verdächtig kränken,
1154 
Zutraulich sein, wo man sie höhnt mit Lügen;
1155 
Zu streng und hart, und dennoch Mitleid schenken,
1156 
Wo sie gerecht erscheint, am meisten trügen.
1157 
Wo sie gelehrig scheint, da tückisch sein,
1158 
Dem Muth’gen Furcht, dem Feigling Muth verleih’n.
 
1159 
Sie giebt den Grund zu Krieg und Räuberei’n,
1160 
Läßt Zwietracht zwischen Sohn und Vater gähren;
1161 
Wird jedem Mißvergnügen dienstbar sein,
1162 
Wie trocknes Holz und Oel das Feuer nähren;
1163 
Da mir der Tod mein junges Lieb entrissen,
1164 
Soll treue Liebe stets den Lohn vermissen.“
 
1165 
Hier schwand in Dunst der Knabe, der getödtet
1166 
Am Boden lag, aus ihrer Augen Kreis,
1167 
Und aus dem Blut, das rings die Erde röthet,
1168 
Sprang eine Blume, purpurroth und weiß,
1169 
Sie glich den blutbefleckten blassen Wangen,
1170 
Auf deren Weiße rothe Tropfen prangen.
 
1171 
Und Venus riecht sie, neigt das Haupt ihr zu.
1172 
Und wähnt, Adonis Athem aufzuküssen,
1173 
An ihrem Busen, sagt sie, finde Ruh’
1174 
Das Blümchen, da ihn selbst der Tod entrissen.
1175 
Sie bricht den Stengel dann und weiß den reichen
1176 
Saft, der entquillt, mit Thränen zu vergleichen.
 
1177 
Sie spricht: „Das ist es, was von ihm dir kam,
1178 
Du, eines süßern Vaters süßes Kind!
1179 
Er hatte Thränen für den kleinsten Gram,
1180 
Nur sich zu leben war auch er gesinnt,
1181 
Und so bist du; doch welkest du gleich gut
1182 
An meinem Busen und in seinem Blut.
 
1183 
An meiner Brust war deines Vaters Bette,
1184 
Es hat sein Kind das Recht, darin zu liegen;
1185 
So nimm denn meine Brust zur Ruhestätte,
1186 
Mein klopfend Herz soll Tag und Nacht dich wiegen.
1187 
Nur deiner, süßes Lieb, will ich gedenken,
1188 
Und deiner Blume Küss’ um Küsse schenken!“
 
1189 
Und müde dieser Welt fliegt sie dahin,
1190 
Sie schirrt die Silbertauben an den Wagen,
1191 
Die durch den Himmel die Gebieterin,
1192 
Mit leichtem Flügelschlag enteilend, tragen.
1193 
Sie geht nach Paphos, denn in diesen Mauern
1194 
Will ungesehn die Liebesgöttin trauern.

Details zum Gedicht „Venus und Adonis“

Anzahl Strophen
199
Anzahl Verse
1194
Anzahl Wörter
8949
Entstehungsjahr
nach 1580
Epoche
Humanismus, Renaissance & Reformation

Gedicht-Analyse

William Shakespeare ist der Autor des Gedichtes „Venus und Adonis“. Geboren wurde Shakespeare im Jahr 1564 in Stratford-upon-Avon. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1580 und 1616. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Humanismus, Renaissance & Reformation zugeordnet werden. Shakespeare ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 1194 Versen mit insgesamt 199 Strophen und umfasst dabei 8949 Worte. Weitere Werke des Dichters William Shakespeare sind „Sonett CII.“, „Sonett CIII.“ und „Sonett CIV.“. Zum Autor des Gedichtes „Venus und Adonis“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 160 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors William Shakespeare

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu William Shakespeare und seinem Gedicht „Venus und Adonis“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors William Shakespeare (Infos zum Autor)

Zum Autor William Shakespeare sind auf abi-pur.de 160 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.