Auf der Treppe von Sanssouci von Theodor Fontane

Von Marly kommend und der Friedenskirche,
Hin am Bassin (es plätscherte kein Springstrahl)
Stieg ich treppan; die Sterne blinkten, blitzten
Und auf den Stufen-Aufbau der Terrasse
Warf Baum und Strauchwerk seine dünnen Schatten,
Durchsichtige, wie Schatten nur von Schatten.
Rings tiefe Stille, selbst der Wache Schritt
Blieb lautlos auf dem überreiften Boden
Und nur von rechts her, von der Stadt herüber,
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Erscholl das Glockenspiel.
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Nun schwieg auch das,
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Und als mein Auge, das auf kurze Weile
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Dem Ohr gefolgt war, wieder vorwärts blickte,
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Trat aus dem Buschwerk, und ich schrak zusammen,
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Er selbst, im Frackrock, hinter ihm das Windspiel,
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(Biche wenn nicht alles täuschte), dazu Krückstock
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Und Hut und Stern. Bei Gott, es war der König.
 
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Was thun? Ich dacht an Umkehr; doch sein Auge,
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Das Fritzen-Auge bannte mich zur Stelle;
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So hielt ich denn und machte Front.
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„Wie heißt Er?“
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Ich stotterte was hin.
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„Und sein Metier?“
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„Schriftsteller, Majestät. Ich mache Verse!“
 
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Der König lächelte: „Nun hör’ Er, Herr,
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Ich will’s Ihm glauben; keiner ist der Thor,
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Sich dieses Zeichens ohne Noth zu rühmen,
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Dergleichen sagt nur, wer es sagen muß,
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Der Spott ist sicher, zweifelhaft das Andre.
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Poëte allemand! Ja, ja, Berlin wird Weltstadt.
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Nun aber sag’ Er mir, ich les’ da täglich
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(Verzeih’ Er, aber Federvieh und Borste
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Wohnt auf demselben Hof und hält Gemeinschaft)
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Ich les’ da täglich jetzt in den Gazetten
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Von Menzelfest und siebzigstem Geburtstag,
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Ausstellung von Tableaux und von Peintüren
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Und Aehnlichem. Ein großer Lärm. Eh bien, Herr,
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Was soll das? Kennt Er Menzel? Wer ist Menzel?“
 
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Und dabei flog ein Zug um seinen Mund,
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Als wiss’ er selber Antwort auf die Frage.
 
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„Zu Gnaden Majestät,“ begann ich zögernd,
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„Die Frag’ ist schwer, das ist ein Doktorthema;
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Mein Wissen reicht bis Pierer nur und Brockhaus.
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Ja, wer ist Menzel? Menzel ist sehr vieles,
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Um nicht zu sagen alles; mind’stens ist er
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Die ganze Arche Noäh, Thier und Menschen:
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Putthühner, Gänse, Papagei’n und Enten,
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Schwerin und Seydlitz, Leopold von Dessau,
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Der alte Zieten, Ammen, Schlosserjungen,
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Kathol’sche Kirchen, italiensche Plätze,
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Schuhschnallen, Broncen, Walz- und Eisenwerke,
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Stadträthe mit und ohne goldne Kette,
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Minister, mißgestimmt in Cashmirhosen,
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Straußfedern, Hofball, Hummer-Majonnaise,
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Der Kaiser, Moltke, Gräfin Hacke, Bismarck –“
 
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„Outrir’ Er nicht.“
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„Ich spreche nur die Wahrheit.
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Bescheidne Wahrheit nur. Er durchstudirte
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Die groß’ und kleine Welt; was kreucht und fleucht,
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Er giebt es uns im Spiegelbilde wieder.
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Am liebsten aber (und mir schwoll der Kamm,
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Ich war im Gang, ‚jetzt oder niemals‘ dacht’ ich)
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Am liebsten aber giebt die Welt er wieder,
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Die Fritzen-Welt, auf der wir just hier stehn!
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Im Rundsaal, vom Plafond her, strahlt der Lustre,
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Siebartig golden blinkt der Stühle Flechtwerk,
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Biche („komm, mein Biche’chen“) streift die Tischtuch-Ecke,
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Champagner perlt und auf der Meißner Schale
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Liegt, schon zerpflückt, die Pontac-Apfelsine ...“
 
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„Nun lass’ Er nur. Ich weiß schon.“
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Und er lüpfte
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Den Hut und ging. Doch sieh, nur wenig Schritte
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So hielt er wieder, wandte sich und winkte
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Mich an die Seit’ ihm. „Hör Er, Herr; ein Wort noch:
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Er hat bestanden; so lala. Denn wiss’ Er,
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Ich kenne Menzel wie mich selbst und wär’ ihm
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Erkenntlich gern. Emaille-Uhr? Tabatière?
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Vielleicht ein Solitaire? Was macht ihm Spaß wohl?“
 
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„Ach, Majestät, was soll ihm Freude machen?
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Er hat vollauf von Gütern dieser Erde,
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Hat Ansehn, Ehre, Titel, Ordenskreuze
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(Pour le mérite, natürlich Friedenklasse)
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Hat Freunde, Muth und Glück, und was die Hauptsach,
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Hat seine Kunst ..“
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„Und fehlt ihm nichts?“
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„Rein gar nichts.“
 
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„Na, das ist brav. Comme Philosophe! Das lob’ ich
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Und will nicht stören. Aber Eines sagt ihm:
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Ich lüd’ ihn ein (er mag die Zeit bestimmen,
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Ein Jahrer zehne will ich gern noch warten)
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Ich lüd’ ihn ein nach Sanssouci; sie nennen’s
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Elysium droben, doch es ist dasselbe.
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Dort find’t er alte Freunde: Genral Stille,
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Graf Rothenburg, die ganze Tafelrunde,
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Nur Herr von Voltaire fehlt seit Anno 70;
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Franzose, rapplig. Dieser Platz ist frei.
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Den reservir’ ich ihm. Bestell’ Er’s. Hört Er?
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Ich bin Sein gnädger König. Serviteur!“

Details zum Gedicht „Auf der Treppe von Sanssouci“

Anzahl Strophen
9
Anzahl Verse
98
Anzahl Wörter
659
Entstehungsjahr
1885
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Auf der Treppe von Sanssouci“ stammt vom deutschen Dichter Theodor Fontane, der im 19. Jahrhundert lebte. Das Gedicht fällt also in die Epoche des Realismus.

Auf den ersten Blick fällt auf, dass das Gedicht aus einer Begegnung zwischen dem lyrischen Ich und einer historischen Persönlichkeit erzählt, nämlich König Friedrich II. von Preußen, auch bekannt als Friedrich der Große oder „Alte Fritz“. Das Gedicht schildert die Nachtbegegnung des lyrischen Ichs mit dem König auf der berühmten Treppe von Sanssouci, dem Sommerschloss Friedrichs II. in Potsdam.

Inhaltlich berichtet das lyrische Ich von seinem Weg durch den Garten von Sanssouci, bei dem es auf den König trifft. Friedrich II. erkundigt sich beim lyrischen Ich, was es von Beruf sei, und als Antwort erfährt er, dass es ein Dichter ist. Der König antwortet darauf hin mit einer Abhandlung über die Schwierigkeiten und Spötteleien, denen Dichter ausgesetzt sind. Weiterhin erkundigt sich Friedrich II. beim Dichter nach einem bestimmten Künstler namens Menzel und lädt diesen schließlich in seinen Palast ein.

Im Hinblick auf den Inhalt wird der Zusammenprall von Kunst und Macht thematisiert. Der König zeigt Interesse am Beruf des Dichters und nimmt diesen ernst, was für die damalige Zeit nicht selbstverständlich war. Zudem ehrt der König den Künstler Menzel mit einer Einladung.

Aus formaler Sicht besteht das Gedicht aus neun Strophen mit unterschiedlicher Versanzahl. Die Sprache ist gehoben und dem 19. Jahrhundert entsprechend, mit zahlreichen historischen und kulturellen Anspielungen.

Zum Schluss unterstreicht das Gedicht die Bedeutung der Kunst in der Gesellschaft und die Anerkennung der Künstler durch die Mächtigen. Die Begegnung zwischen dem lyrischen Ich und dem König verdeutlicht das Interesse der Herrschenden an den Künsten und ihre Bereitschaft, Künstler zu unterstützen.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Auf der Treppe von Sanssouci“ des Autors Theodor Fontane. Der Autor Theodor Fontane wurde 1819 in Neuruppin geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1885. Stuttgart und Berlin ist der Erscheinungsort des Textes. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Realismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei Fontane handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 659 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 98 Versen mit insgesamt 9 Strophen. Die Gedichte „Ausgang“, „Barbara Allen“ und „Bekenntniß“ sind weitere Werke des Autors Theodor Fontane. Zum Autor des Gedichtes „Auf der Treppe von Sanssouci“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 214 Gedichte vor.

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