Auf der Reise von Ludwig Tieck

Auf Wiesen, in Wäldern,
An Strömen, auf Feldern
Quillt glühendes Leben,
Die Bäume sie streben
Zum Himmel hinan.
Es fliehen mit Eilen
Die Quellen von steilen
Gebirgen und suchen sich ebene Bahn,
Durch Dornengesträuche,
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Vorüber der Eiche,
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Dem Wurzelgeflecht;
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Und rund um die Quelle
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Besieht sich in jeder fortschleichenden Welle
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Der kindischen Blumen neugierig Geschlecht.
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In Steinklüften suchen
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Die glänzenden Buchen
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Genügsamen Raum,
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Sie zittern und nicken
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Und rauschen und schmücken
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Den felsigen Saum.
 
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So findet die Quelle
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Der Baum sein Stelle
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Und treibet sich’s recht:
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So dauert, geneset,
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Und stirbt und verweset
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Zufrieden so manches gebohrne Geschlecht. –
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Nur der Mensch geht in der Irre,
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Will heut hier seyn, morgen dort,
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Alle Sinne im Gewirre
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Sucht er stets den fernen Ort.
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Will nicht in der Heimath dauern
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Weithin dehnt er seinen Blick,
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Wandert unter Regenschauern
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Und sieht dann mit bangem Trauern
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Nach dem erst verschmähten Glück.
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Wie in monderhellten Hainen
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Wolken durch den Himmel fliehn,
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Bald die Bäume glänzend scheinen,
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Schatten wieder abwärts ziehn:
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Also auch des Menschen Seele,
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Daß er durch sein ganzes Leben
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Rastlos auf und ab sich quäle
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Ward die Sehnsucht ihm gegeben. –
 
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Doch wohl mir, ich fühle
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Zerreißen das Band!
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Ich nahe dem Ziele
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Das fern und ferner seit lange mir schwand.
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Das bängliche Schwanken
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Das nüchterne Kranken,
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Vorüber an mir! –
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Wie soll ich dir danken?
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O Liebste! o sprich, wie vergelt ich es dir?
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.1 KB)

Details zum Gedicht „Auf der Reise“

Autor
Ludwig Tieck
Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
52
Anzahl Wörter
230
Entstehungsjahr
1799
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Das behandelte Gedicht ist „Auf der Reise“ von Ludwig Tieck, einem deutschen Schriftsteller aus der Epoche der Romantik, der von 1773 bis 1853 lebte.

Beim ersten Lesen fällt auf, dass das Gedicht die Themen Natur, Reisen und den unruhigen Geist des Menschen behandelt. Es wirkt beruhigend und nachdenklich, widmet sich aber gegen Ende in einem eher leidenschaftlichen Ton dem Thema Liebe.

Inhaltlich geht es im Gedicht im Groben um die Beschreibung der Natur, die dem Menschen als handlungsleitendes Bild dient, und die Unterschiede zwischen Natur und Mensch. In der ersten Strophe wird das glühende Leben der Natur dargestellt, wie sich die Bäume zum Himmel hinstrecken, die Quellen von steilen Gebirgen fliehen und sich ihren Weg durch die Landschaft suchen. In der zweiten Strophe wird das fortwährende Kreislauf des Lebens in der Natur hervorgehoben, das zufrieden Stirbt und Geneset. Im Gegensatz dazu wird der Mensch beschrieben, der rastlos sucht, nicht in der Heimat bleiben will und stets den fernen Ort anstrebt. Er wird einerseits als unruhig und unzufrieden beschrieben und andererseits wird die metaphorische Sehnsucht des Menschen als ständige Suche betont. In der letzten Strophe spricht das lyrische Ich über seine innere Wandlung und Zerrissenheit und endet mit einer Liebeserklärung an seine Geliebte.

In Bezug auf Form und Sprache fällt auf, dass das Gedicht aus drei Strophen mit unterschiedlicher Länge besteht. Es gibt keine konkrete Reimstruktur, was das freie und fließende Bild der Natur und des menschlichen Geistes unterstreichen könnte. Die Sprache ist relativ einfach und bildreich, mit vielen Naturmetaphern und allegorischen Beschreibungen. Diese widerspiegeln die damalige romantische Vorstellung von der Harmonie zwischen Mensch und Natur bzw. ihrem Widerspruch. Besonders auffallend ist das lyrische Ich, das sich in der letzten Strophe zu erkennen gibt und sich direkt an die unbekannte „Liebste“ wendet. Hier erreicht die emotionale Intensität des Gedichts einen Höhepunkt.

Insgesamt interpretiert, stellt „Auf der Reise“ die rastlose und suchende Natur des Menschen in Kontrast zur zufriedenen und stetigen Natur dar und drückt das Streben des Menschen nach innerer Ruhe und Zufriedenheit aus. Dabei spielt die Liebe eine zentrale Rolle als befreiende und erfüllende Kraft.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Auf der Reise“ ist Ludwig Tieck. Geboren wurde Tieck im Jahr 1773 in Berlin. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1799 zurück. Der Erscheinungsort ist Tübingen. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Romantik zu. Bei Tieck handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik ist eine Epoche der Kunstgeschichte, die vom Ende des 18. Jahrhunderts bis ins späte 19. Jahrhundert hinein die Literatur, Musik, Kunst und Philosophie prägte. Auf die Literatur beschränkt betrachtet reichen die Auswirkungen der Epoche lediglich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hinein. Die Romantik kann in drei Phasen aufgegliedert werden: Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848). Zu großen gesellschaftlichen Umbrüchen führte die Industrialisierung. Die neue Maschinenwelt förderte Verstädterung und Landflucht. Die zuvor empfundene Geborgenheit war für die Lyriker der Romantik in Auflösung begriffen. In der Romantik gilt das Mittelalter als das Ideal und wird verherrlicht. Die Kunst und Architektur der Zeit des Mittelalters werden geschätzt, gepflegt und gesammelt. Missstände dieser Zeit bleiben unberücksichtigt und scheinen bei den Schriftstellern in Vergessenheit geraten zu sein. So ist gerade die Verklärung des Mittelalters ein zentrales Merkmal der Romantik. Des Weiteren sind die Weltflucht, die Hinwendung zur Natur und die romantische Ironie weitere zentrale Merkmale dieser Epoche. Die grundsätzlichen Themen der Epoche waren Seele, Gefühle, Individualität und Leidenschaft. In der Literatur wurden diese Themen unter anderem durch Motive der Sehnsucht, Todessehnsucht, Fernweh oder Einsamkeit in der Fremde materialisiert. Die äußere Form von romantischer Dichtung ist dabei völlig offen. Kein festgesetztes Schema grenzt die Literatur ein. Dies steht ganz im Gegensatz zu den strengen Normen der Klassik. In der Romantik entstehen erstmals Sammlungen so genannter Volkspoesie. Bekannte Beispiele dafür sind Grimms Märchen und die Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn. Doch bereits unmittelbar nach Erscheinen wurde die literarische Bearbeitung (Schönung) durch die Autoren kritisiert, die damit ihre Rolle als Chronisten weit hinter sich ließen.

Das Gedicht besteht aus 52 Versen mit insgesamt 3 Strophen und umfasst dabei 230 Worte. Weitere Werke des Dichters Ludwig Tieck sind „Der Abend sinkt hernieder“, „Wohlauf! es ruft der Sonnenschein“ und „Wohl dem Manne, der in der Stille“. Zum Autor des Gedichtes „Auf der Reise“ haben wir auf abi-pur.de weitere 18 Gedichte veröffentlicht.

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