Wendekreislauf von Richard Dehmel

Nehmen wir Geschehn für Leben,
haben wir’s nicht recht verstanden;
Menschenleben ist das Leben
so nur, wie wir es empfanden –
 
ja, so schwärmt’ich seelentrunken.
Wie mir alles wohlbehagte,
was ich fühlte, was ich sagte,
in mein Spiegelbild versunken!
 
Doch jetzt heißt es: mit den Zielen,
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mit den Wegen sich beraten.
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Zwar den Jüngling ehrt sein Fühlen,
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doch dem Manne ziemen Thaten.
 
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Altgeschehnes, Neuerfahrnes,
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dunkel drängt es sich zusammen,
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und wir wissen nicht zu scheiden
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dieses Lodern seltner Flammen;
 
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denn darunter lebt ein Glühen
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seltenster Begebenheiten,
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und man fühlt ein still Bemühen,
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als ob Zeiten sich bereiten.
 
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Nah schon, will der Sonnenwagen
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wieder einen Kreis vollenden.
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Wird er durch den Steinbock jagen?
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wird er sich zum Krebse wenden?
 
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Schaudernd scheint er still zu stehen
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zwischen gleichen Finsternissen,
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und nun scheint er sich zu drehen,
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aber Du – wirst mitgerissen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Wendekreislauf“

Anzahl Strophen
7
Anzahl Verse
28
Anzahl Wörter
139
Entstehungsjahr
1893
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht wurde verfasst von Richard Dehmel, einem deutschen Lyriker und Schriftsteller, der von 1863 bis 1920 lebte. Im Kontext seines weiteren Werks und der biografischen Daten lässt sich das Gedicht zeitlich ungefähr der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zuordnen.

Auf den ersten Blick fällt auf, dass das Gedicht sieben Strophen umfasst, die jeweils aus vier Versen bestehen. Es scheint eine Art Erzählung oder Selbstreflexion darzustellen, die sich thematisch um Aspekte des Lebens, des Alterns und der Zeit dreht.

Inhaltlich beginnt das Gedicht mit einer Abgrenzung von dem, was wir allgemein als „Geschehen“ oder Ereignisse bezeichnen, von dem, was tatsächlich als Leben verstanden werden kann. Hier könnte das lyrische Ich darauf hinweisen wollen, dass das wahre Leben mehr ist als die äußeren Ereignisse; es liegt in unserer individuellen Wahrnehmung und Empfindung.

In der zweiten Strophe scheint das lyrische Ich auf seine vergangene, jugendliche Phase zurückzublicken, in der es in den eigenen Gefühlen und ihrer Ausdrückung aufging. Die dritte und vierte Strophe dagegen markieren einen Wandel, da das lyrische Ich merkt, dass es nun – als Erwachsener – tätig werden und handeln muss.

In den dritten und vierten Strophen wird von einer Konfusion von Altem und Neuem, der Schwierigkeit, Vergangenes vom Gegenwärtigen zu unterscheiden, und von einem vagen Gefühl der Veränderung gesprochen. Die metaphorische Rede von „Lodern seltner Flammen“ und „still Bemühen“ könnte auf innere Prozesse und Ambivalenzen des lyrischen Ichs hinweisen.

Die sechste und siebte Strophe greifen das Motiv der Zeit wieder auf, diesmal im Bild des Sonnenwagens, der einen Zyklus vollendet – eine Anspielung auf den Lauf der Jahreszeiten und damit der Zeit selbst. Das lyrische Ich scheint sich unsicher, in welche Richtung sich die Zeit – repräsentiert durch den Sonnenwagen – bewegen wird. Am Ende scheint das lyrische Ich von den Zeiten mitgerissen zu werden, was Unsicherheit und Verlorenheit ausdrückt.

Die Form des Gedichts ist geprägt durch die strenge Vierzeiligkeit der Strophen und die auffällige Gliederung, die den Inhalt strukturiert und betont. In Bezug auf Sprache und Stil fällt zunächst die bildhafte, metaphorische Sprache auf, die Emotionen, Gedanken und subjektive Zustände des lyrischen Ichs verdeutlicht. Zudem verwendet Dehmel eine recht schnörkellose, direkte Ausdrucksweise, die die inhaltliche Aussage unterstreicht.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Wendekreislauf“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Richard Dehmel. 1863 wurde Dehmel in Wendisch-Hermsdorf, Mark Brandenburg geboren. 1893 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist München. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Moderne kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei dem Schriftsteller Dehmel handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 139 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 28 Versen mit insgesamt 7 Strophen. Der Dichter Richard Dehmel ist auch der Autor für Gedichte wie „Auf der Reise“, „Aufblick“ und „Ballade vom Volk“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Wendekreislauf“ weitere 522 Gedichte vor.

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