Vorfrühling von Kurt Tucholsky

Sieh da: nun ist der fette Dichter wieder
von seinem Winterschläfchen aufgewacht,
und er entlockt der Harfe heitre Lieder,
ti püng – die Winde wehn, der Himmel lacht.
 
Er schauet sanft verklärt, und eine Putte
hält über seinem Kopf den Lorbeerkranz.
Vorfrühling nähert sich, die junge Nutte,
und probt, noch schüchtern, einen kleinen Tanz.
 
Das Barometer droht mit seinem Zeiger:
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„Nicht immer feste druff! Ich falle bald.“
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Selbst Barometer schwätzen. Große Schweiger
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sind selten in dem Land des Theobald.
 
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Noch immer Zabern und Theaterpleiten,
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und wie man wieder auf den Fasching geht,
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Protestbeschlüsse, andere Lustbarkeiten –
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und alles red’t, und alles red’t.
 
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Und wenn man dieses Deutschland sieht und diese
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mit Parsifallerei – und fallerein
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von Hammeln abgegraste Geisteswiese –
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Ach, Frühling! Hier soll immer Winter sein!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.5 KB)

Details zum Gedicht „Vorfrühling“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
20
Anzahl Wörter
125
Entstehungsjahr
1919
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Vorfrühling“ stammt von dem deutschen Schriftsteller und Journalisten Kurt Tucholsky. Tucholsky war eine prägende Figur der Weimarer Republik und ist für seinen scharfen, kritischen und satirischen Stil bekannt. Dieses Gedicht kann als zeitgenössisch zu seinen Lebzeiten (etwa den 1920er Jahren) betrachtet werden.

Beim ersten Lesen erzeugt das Gedicht einen humorvollen, ironischen Eindruck. Es ist klar, dass der Dichter sich über eine bestimmte Denkweise oder Einstellung lustig macht, obwohl noch nicht klar ist, welche genau das ist.

Im Wesentlichen scheint das Gedicht die Wiedergeburt und den zyklischen Charakter der Jahreszeiten zu thematisieren, und dabei als Metapher für das Erwachen der Kultur und der Künstler sowie die Wiederholung von Diskussionen und Debatten zu dienen. Jedoch ist dem Dichter sowohl das Frühjahrs-Erwachen eines fiktiven, „fetten Dichters“, als auch die Wiederholung von Diskussionen lästig.

Tucholsky verwendet eine leicht verspottende und ironische Sprache, wenn er den „fetten Dichter“ und den Frühling (personifiziert als „junge Nutte“) beschreibt. Er benutzt die Figur des fatten Dichters auch, um sich kritisch mit der Rolle des Intellektuellen in der deutschen Gesellschaft auseinanderzusetzen. Der „fette Dichter“ erwacht aus seinem Winterschlaf – ein Bild für Passivität und Untätigkeit – nur um dann uninspirierte, oberflächliche Poesie zu produzieren („heitre Lieder“).

Zudem zeigt das Gedicht eine negative Sicht auf das Deutschland seiner Zeit („Hier soll immer Winter sein“), indem es die Diskussionen und das intellektuelle Klima des Landes als wiederholend und inhaltsleer darstellt. Unter anderem spielt er auf den Skandal von Zabern an und spricht von Theaterpleiten und Fasching, was als Anspielung auf die politischen und gesellschaftlichen Probleme der Weimarer Republik verstanden werden kann.

Formal folgt das Gedicht keinem strengen Reimschema, verwendet jedoch häufig den Kreuzreim. Jedoch bricht Tucholsky gelegentlich diese Ordnung, was für eine gewisse Rhythmik sorgt und den humoristischen, leicht verspottenden Ton des Gedichts unterstützt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Tucholskys „Vorfrühling“ eine satirische Darstellung des kulturellen und politischen Diskurses in der Weimarer Republik Deutschlands ist.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Vorfrühling“ des Autors Kurt Tucholsky. Geboren wurde Tucholsky im Jahr 1890 in Berlin. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1919 zurück. In Charlottenburg ist der Text erschienen. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zuordnen. Der Schriftsteller Tucholsky ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

In der Literatur der Weimarer Republik wurden inhaltlich häufig die Ereignisse des Ersten Weltkrieges verarbeitet. Sowohl der Erste Weltkrieg als auch die späteren politischen Gegebenheiten der Weimarer Republik sind prägende Faktoren für diese Epoche. Die Neue Sachlichkeit in der Literatur der Weimarer Republik ist von Nüchternheit und distanzierter Betrachtung der Welt gekennzeichnet und politisch geprägt. Es wurde eine Alltagssprache verwendet um mit den Texten so viele Menschen wie möglich anzusprechen. Die Freiheit von Wort und Schrift war zwar verfassungsmäßig garantiert, doch bereits 1922 wurde nach der Ermordung eines Politikers das Republikschutzgesetz erlassen, das diese Freiheit wieder einschränkte. Viele Schriftsteller litten unter dieser Zensur. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die teils in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das im Jahr 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz verstärkte die Grenzen der Zensur nochmals. Später als die Pressenotverordnung im Jahr 1931 in Kraft trat, war sogar die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate möglich.

Zur Zeit des Nationalsozialismus mussten viele Schriftsteller ins Ausland fliehen. Dort entstand die sogenannte Exilliteratur. Ausgangspunkt der Exilbewegung ist der Tag der Bücherverbrennung im Mai 1933 im nationalsozialistischen Deutschland. Alle nicht-arischen Werke wurden verboten und symbolträchtig verbrannt. Daraufhin flohen viele Schriftsteller aus Deutschland ins Ausland. Die deutsche Exilliteratur schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an und bildet damit eine eigene Literaturepoche in der deutschen Literaturgeschichte. Die Themen der Exilliteratur Deutschlands lassen sich zunächst in zwei Gruppen einteilen. Einige Autoren fühlten sich in ihrer neuen Heimat nicht zu Hause, hatten Heimweh und wollten einfach in ihr altes Leben vor dem Nationalsozialismus zurückkehren. Oftmals konnten sie im Ausland nicht mehr ihrer Arbeit als Schriftsteller nachgehen, da sie nur in Deutsch schreiben konnten, was im Ausland aber niemand verstand. Heimweh und ihre Liebe zum Mutterland sind die thematischen Schwerpunkte in ihren Werken. Andere Schriftsteller wollten sich gegen Nazideutschland wehren. Man wollte zum einen die Welt über die Grausamkeiten in Deutschland aufklären. Zum anderen aber auch den Widerstand unterstützen. Anders als andere Literaturepochen, die zum Beispiel bei der formalen Gestaltung (also in Sachen Metrum, Reimschema oder dem Gebrauch bestimmter rhetorischer Mittel) ganz charakteristische Merkmale aufweisen, ist die Exilliteratur nicht durch bestimmte formale Merkmale gekennzeichnet. Allerdings gab es einige neue Gattungen, die in dieser Epoche geboren wurden. Das epische Theater von Bertolt Brecht oder auch die historischen Romane waren neue literarische Textsorten. Aber auch Radioreden oder Flugblätter der Widerstandsbewegung sind hierbei als neue Textsorten erwähnenswert. Oftmals wurden die Texte auch getarnt, so dass sie trotz Zensur nach Deutschland gebracht werden konnten. Dies waren dann die sogenannten Tarnschriften.

Das Gedicht besteht aus 20 Versen mit insgesamt 5 Strophen und umfasst dabei 125 Worte. Kurt Tucholsky ist auch der Autor für Gedichte wie „All people on board!“, „Also wat nu – ja oder ja?“ und „An Lukianos“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Vorfrühling“ weitere 136 Gedichte vor.

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