Vorfrühling 1923 von Klabund

Heute fing ich – Krieg ist Krieg – eine Maus in der Schlinge.
Frühlingswolken flattern rosig im Winde.
Emma schrieb mir von unserm gemeinsamen Kinde,
daß es schon in die Schule ginge,
daß – wie erhebend! – ein Einser Fritzchens Zensur im Rechnen ziere,
weil er patriotisch (nebenbei gesagt: als Einziger der Klasse,
der Idiot...) â la hausse der Mark spekuliere...
 
Heute begegnete ich den ersten Staren.
Zum erstenmal bin ich auch mit der Nord-Süd-Bahn gefahren.
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Ich bildete mir ein, vom Nord- zum Südpol zu rasen.
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Am Wedding sah ich Eskimos mit Tran handeln,
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Pinguine durch die Chausseestraße wandeln,
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und am Halleschen Tor hörte ich die Kaurineger im Jandorfkraal
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zum Kampfe blasen.
 
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Nur immer Mut! Die Front an der Ruhr steht fest.
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Die Kohlen werden von Tag zu Tag billiger.
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Die Nächte kürzer. Die Gesichter länger. Die Frauen williger.
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Und wenn nicht Alles täuscht (es rüsten Russen und Polen,
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Rumänen, Ungarn, Jugoslawen und Mongolen):
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So wird uns spätestens mit den ersten Schoten
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der unwiderruflich letzte Krieg geboten.
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Immer ran! Das darf Keiner versäumen! Rassenkampf! Klassenkampf!
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Wer geht mit? (Ich passe –
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und offeriere für Kriegsberichterstatter fünftausend ungedruckte Stimmungsbilder
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aus dem vorletzten Weltkrieg, sofort greifbar gegen Kasse.)
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.1 KB)

Details zum Gedicht „Vorfrühling 1923“

Autor
Klabund
Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
25
Anzahl Wörter
191
Entstehungsjahr
1927
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichts ist Alfred Henschke, besser bekannt unter seinem Pseudonym Klabund. Er lebte von 1890 bis 1928 und zählte zu den bedeutendsten deutschsprachigen Dichtern und Schriftstellern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das Gedicht „Vorfrühling 1923“ entstand folgerichtig in der Weimarer Republik, einer für Deutschland politisch und gesellschaftlich turbulenten Zeit geprägt von Inflation und politischen Unruhen.

Das Gedicht wirkt beim ersten Lesen sehr konkret und anschaulich, fast schon prosaisch. Es weckt eine Mischung aus Melancholie, Humor, Sarkasmus und Bitterkeit - eine Reaktion, die durch die Themen Krieg und Alltag, Hoffnung und Resignation entsteht.

Inhaltlich umfasst das lyrische Ich seine Erlebnisse und Gedanken an einem Frühlingstag im Jahr 1923. Es erzählt von alltäglichen Ereignissen, wie dem Fang einer Maus oder der Begegnung mit Staren. Zwischen diesen alltäglichen Begebenheiten werden jedoch auch Themen wie Krieg, Inflation und politische Instabilität angedeutet. Hierbei lässt das lyrische Ich eine sarkastische und desillusionierte Haltung durchblicken, etwa wenn es sentimentale Nachrichten von daheim mit dem zynischen Kommentar „Krieg ist Krieg“ abtut oder auf die bevorstehende Bedrohung durch einen neuen Krieg anspielt.

Formal ist das Gedicht in drei Strophen unterschiedlicher Länge gegliedert, was auf eine freie Rhythmus- und Reimstruktur hindeutet. Die Sprache Klabunds ist klar und direkt, mit vielen Alltagsbildern und umgangssprachlichen Ausdrücken. Er verwendet zugleich aber auch viele ironische und sarkastische Elemente, besonders in Bezug auf politische und gesellschaftliche Themen. Das wirkt teilweise humoristisch, verleiht seinem Gedicht aber auch eine beißende Kritik und einen skeptischen Blick auf die damalige Zeit und ihre Zustände.

Alles in allem ist „Vorfrühling 1923“ ein typisches Beispiel für Klabunds Werk: Es vereint privates Erleben und politischen Zeitkommentar auf ironische und sarkastische Weise und ist damit ein Spiegelbild der turbulenten Zeit der Weimarer Republik.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Vorfrühling 1923“ ist Klabund. Geboren wurde Klabund im Jahr 1890 in Crossen an der Oder. 1927 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Berlin. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit zugeordnet werden. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das vorliegende Gedicht umfasst 191 Wörter. Es baut sich aus 3 Strophen auf und besteht aus 25 Versen. Der Dichter Klabund ist auch der Autor für Gedichte wie „Baumblüte in Werder“, „Bauz“ und „Berliner Ballade“. Zum Autor des Gedichtes „Vorfrühling 1923“ haben wir auf abi-pur.de weitere 139 Gedichte veröffentlicht.

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