Vom Dorfe von Louise Otto-Peters

Still ist’s im Dorf – der letzte Erntewagen
Er schwankte eben voll und schwer herein;
Die Abendglocken haben ausgeschlagen,
Die Sonne sank mit sanftem Purpurschein.
Es ist ein Abend, recht wie ein Idyll,
Wo in der weiten Runde Alles still,
Und nur der Heimchen alte Flüsterweisen
Den Tag, der nun vollendet, selig preisen.
 
Die Mondessichel hängt am Firmamente,
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Die Sterne wandeln den gewohnten Gang,
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Wie da man sehnend dorthin hob die Hände,
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Und noch vom Mondschein blasse Lieder sang.
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So steh ich einsam in des Gartens Ruh,
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Seh ruhig nur den bunten Blumen zu –
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Erinn’rung führt zu weit vergangnen Tagen,
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Der Kindheit Buch liegt vor mir aufgeschlagen.
 
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Still ist’s im Dorf – doch plötzlich welch Bewegen
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Geht durch die Luft, die still zu stehen schien?
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Ich will das Haupt dicht an die Erde legen,
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Daß in das Ohr des Schalles Wellen ziehn.
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Es klang wie Jagdruf und wie Büchsenknall,
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Wie tausendfacher Menschenstimmen Schall – –
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Nicht möglich! – nein – ein Wahn hat mich bethört,
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Wie würde hier und jetzt ein Schuß gehört?! –
 
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II.
 
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Und doch geschah’s – die Ernte ging zu Ende,
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Im stillen Dorf beim letzten Abendrot.
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Doch dort – doch dort gab es noch fleißge Hände,
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Und eine andre Ernte hielt der Tod.
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Die Sonne hat es wohl voraus gesagt
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Und hat die Nacht als blutig schon verklagt,
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Als mit dem Purpurmantel weit umhangen,
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Der schöne Tag zur finstern Ruh gegangen.
 
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Traun, dieser Nacht, da gab’s nicht sanfte Träume,
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Es ward ein Schauerdrama aufgeführt –
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Da gab’s viel Volk und weite Bühnenräume,
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Und manche Brust im innersten gerührt,
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Und manches Herz, das plötzlich stille stand,
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Und manche Seele, die zum Himmel schwand,
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Und manchen Schrei, der, wenn auch hier verwehret,
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Vor Gottes Throne ward gewiß gehöret.
 
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Das war kein Girren holder Nachtigallen,
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Kein Heimchenzirpen, das so spät erklang!
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Nur Hilferuf hört man zum Himmel schallen,
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Das schönste Lied war manches Schwanensang.
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Das schönste Lied – Ihr macht es nicht zum Spott,
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Denn: „Eine feste Burg ist unser Gott!“
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Und ließ er auch die nächt’ge That geschehen,
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Wir bleiben doch in dem Vertrauen stehen.
 
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Die Mondessichel schied vom Firmamente,
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Die Sterne wandeln den gewohnten Gang,
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Sie sahn herab auf hoch erhobne Hände.
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Zum Jammerruf, der sich der Brust entrang,
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Die Nacht hat wohl für Klagelieder Raum,
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Doch keinen mehr zu einem sanften Traum,
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„Ein’ feste Burg ist unser Gott!“ tönt’s wieder,
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Wir singens doch, das schönste unsrer Lieder!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.2 KB)

Details zum Gedicht „Vom Dorfe“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
57
Anzahl Wörter
398
Entstehungsjahr
1840-1850
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht, das analysiert werden soll, trägt den Titel „Vom Dorf“ und stammt von der Autorin Louise Otto-Peters. Sie wurde am 26. März 1819 geboren und starb am 13. März 1895. Das Werk stammt also aus dem 19. Jahrhundert, einer Zeit, die allgemein als Biedermeier bezeichnet wird und die durch eine Rückzugstendenz ins Private und Intime gekennzeichnet ist.

Beim ersten Durchlesen des Gedichts gelingt es Otto-Peters sehr anschaulich, die Atmosphäre eines abendlichen, ländlichen Settings zu kreieren. Der flüchtige Leser könnte daher den Eindruck gewinnen, dass es sich um ein idyllisches Werk handelt.

Das Gedicht besteht aus acht Strophen mit ungleicher Verszahl. In den ersten beiden Strophen schafft Otto-Peters eine friedvolle, fast romantische Atmosphäre, die durch die konkrete Darstellung des Dorfes und der Natur bei Sonnenuntergang erzeugt wird. In der dritten Strophe bricht jedoch ein Umschwung ein, und das bisher Idyllische wird plötzlich gestört durch laute, möglicherweise bedrohliche Geräusche.

Die Autorin führt vor Augen, dass die Welt außerhalb des Dorfes keineswegs so friedlich ist, wie es scheint. In den letzten Strophen wird klar, dass es offenbar einen Kampf oder des Konflikt gegeben hat, bei dem Menschen ums Leben gekommen sind. Das lyrische Ich reflektiert über das Erlebte und zeigt eine tiefe Verbundenheit zu Gott, trotz der offensichtlich tragischen Ereignissen.

Bezüglich der formalen Struktur und der Sprache ist auffällig, dass das Gedicht keinen strikt einzuhaltenden Reim- oder Metrumsplan hat, jedoch wird ein fortlaufender Rhythmus eingehalten. Die Sprache ist eher einfach und gut verständlich gehalten, abgesehen von einigen Metaphern und poetischen Umschreibungen. Otto-Peters verwendet zudem häufig Antithesen und Kontraste, um die Dramatik der Geschichte zu unterstreichen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass „Vom Dorf“ von Louise Otto-Peters ein Gedicht ist, dass trotz seiner anfänglichen idyllischen Schilderungen ein sehr ernstes Thema behandelt und zum Nachdenken anregt. Es veranschaulicht die Fragilität des Lebens und die immerwährende Präsenz des Todes, selbst in scheinbar friedlichen Umgebungen. Dabei stellt es auch Glaube und Vertrauen in Gott als wesentlichen Teil des Lebens dar.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Vom Dorfe“ der Autorin Louise Otto-Peters. Geboren wurde Otto-Peters im Jahr 1819 in Meißen. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1850. Erschienen ist der Text in Leipzig. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten der Autorin kann der Text der Epoche Realismus zugeordnet werden. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das 398 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 57 Versen mit insgesamt 8 Strophen. Louise Otto-Peters ist auch die Autorin für das Gedicht „An Alfred Meißner“, „An August Peters“ und „An Byron“. Zur Autorin des Gedichtes „Vom Dorfe“ haben wir auf abi-pur.de weitere 106 Gedichte veröffentlicht.

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