Verse zum Gedächtnis des Schauspielers Josef Kainz von Hugo von Hofmannsthal
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O hätt ich seine Stimme, hier um ihn |
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Zu klagen! Seinen königlichen Anstand, |
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Mit meiner Klage dazustehn vor euch! |
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Dann wahrlich wäre diese Stunde groß |
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Und Glanz und Königtum auf mir, und mehr |
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Als Trauer: denn dem Tun der Könige |
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Ist Herrlichkeit und Jubel beigemengt, |
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Auch wo sie klagen und ein Totenfest begehn. |
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O seine Stimme, daß sie unter uns |
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Die Flügel schlüge! – Woher tönte sie? |
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Woher drang dies an unser Ohr? Wer sprach |
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Mit solcher Zunge? Welcher Fürst und Dämon |
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Sprach da zu uns? Wer sprach von diesen Brettern |
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Herab? Wer redete da aus dem Leib |
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Des Jünglings Romeo, wer aus dem Leib |
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Des unglückseligen Richard Plantagenet |
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Oder des Tasso? Wer? |
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Ein Unverwandelter in viel Verwandlungen, |
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Ein niebezauberter Bezauberer, |
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Ein Ungerührter, der uns rührte, einer, |
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Der fern war, da wir meinten, er sei nah, |
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Ein Fremdling über allen Fremdlingen, |
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Einsamer über allen Einsamen, |
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Der Bote aller Boten, namenlos |
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Und Bote eines namenlosen Herrn. |
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Er ist an uns vorüber. Seine Seele |
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War eine allzu schnelle Seele, und |
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Sein Aug glich allzusehr dem Aug des Vogels. |
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Dies Haus hat ihn gehabt – doch hielt es ihn? |
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Wir haben ihn gehabt – er fiel dahin, |
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Wie unsre eigne Jugend uns entfällt, |
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Grausam und prangend gleich dem Wassersturz. |
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O Unrast! O Geheimnis, offenkundiges |
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Geheimnis menschlicher Natur! O Wesen, |
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Wer warest du? O Schweifender! O Fremdling! |
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O nächtlicher Gespräche Einsamkeit |
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Mit deinen höchst zufälligen Genossen! |
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O starrend tiefe Herzenseinsamkeit! |
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O ruheloser Geist! Geist ohne Schlaf! |
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O Geist! O Stimme! Wundervolles Licht! |
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Wie du hinliefest, weißes Licht, und rings |
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Ins Dunkel aus den Worten dir Paläste |
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Hinbautest, drin für eines Herzschlags Frist |
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Wir mit dir wohnten – Stimme, die wir nie |
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Vergessen werden – o Geschick – o Ende – |
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Geheimnisvolles Leben! Dunkler Tod! |
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O wie das Leben um ihn rang und niemals |
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Ihn ganz verstricken konnte ins Geheimnis |
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Wollüstiger Verwandlung! Wie er blieb! |
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Wie königlich er standhielt! Wie er schmal, |
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Gleich einem Knaben, stand! O kleine Hand |
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Voll Kraft, o kleines Haupt auf feinen Schultern, |
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O vogelhaftes Auge, das verschmähte, |
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Jung oder alt zu sein, schlafloses Aug, |
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O Aug des Sperbers, der auch vor der Sonne |
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Den Blick nicht niederschlägt, o kühnes Aug, |
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Das beiderlei Abgrund gemessen hat, |
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Des Lebens wie des Todes – Aug des Boten! |
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O Bote aller Boten, Geist! Du Geist! |
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Dein Bleiben unter uns war ein Verschmähen, |
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Fortwollender! Enteilter! Aufgeflogener! |
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Ich klage nicht um dich. Ich weiß jetzt, wer du warst, |
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Schauspieler ohne Maske du, Vergeistiger, |
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Du bist empor, und wo mein Auge dich |
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Nicht sieht, dort kreisest du, dem Sperber gleich, |
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Dem Unzerstörbaren, und hältst in Fängen |
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Den Spiegel, der ein weißes Licht herabwirft, |
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Weißer als Licht der Sterne: dieses Lichtes |
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Bote und Träger bist du immerdar, |
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Und als des Schwebend-Unzerstörbaren |
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Gedenken wir des Geistes, der du bist. |
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O Stimme! Seele! aufgeflogene! |
Details zum Gedicht „Verse zum Gedächtnis des Schauspielers Josef Kainz“
Hugo von Hofmannsthal
7
72
456
1910
Moderne
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Verse zum Gedächtnis des Schauspielers Josef Kainz“ wurde von Hugo von Hofmannsthal (* 1. Februar 1874, † 15. Juli 1929) geschrieben. Von Hofmannsthal gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der Wiener Moderne, daher lässt sich das Gedicht zeitlich um das Ende des 19. und den Anfang des 20. Jahrhunderts einordnen.
Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht ehrfurchtsvoll und melancholisch. Es drückt Bewunderung für die hervorragenden schauspielerischen Leistungen Kainz' aus, bedauert aber auch seinen Tod.
Inhaltlich lässt sich das Gedicht in die folgenden Hauptabschnitte unterteilen: Einführung und Wunsch nach Kainz' Fähigkeiten; detaillierte Beschreibung seiner Talente und Fähigkeiten; Darstellung des Verlusts, den sein Tod verursacht hat; Darlegen seiner Art und Weise, Kunst zu interpretieren; der Wunsch, ihm Hommage zu zollen und ihn zu gedenken.
Im Laufe des Gedichts beschreibt das lyrische Ich Josef Kainz' Talent zunächst als etwas Erhabenes: Es wünscht, es besäße seine königliche Erscheinung und Ausdruckskraft. Das lyrische Ich bemerkt Kainz' Einzigartigkeit und Unvergleichlichkeit und betont, wie dieser in der Lage war, seine Zuschauer trotz verschiedener Rollen zu beeindrucken und tief zu berühren. Es bedauert zudem, dass Kainz' Fähigkeiten so kurzlebig waren, vergleicht seinen Verlust mit dem Verlust der eigenen Jugend und veranschaulicht dies mit einem Bild der Vergänglichkeit, dem des Wasserfalls.
Bei der Analyse der Form und Sprache des Gedichts fallen zunächst die unregelmäßigen Strophenlängen und -formen auf. Die Sprache ist auch von einer expressiven Tiefe geprägt. Der Stil ist geprägt von Gebeten, rhetorischen Fragen, überschwänglichen Metaphern und Symbolen, die den Charakter Kainz' in den unterschiedlichen Rollen wiedergeben. Auffallend ist, dass das Ende jeder Strophe meist mit einer Anrufung endet, die Kainz als „Bote“, „Geist“ oder „Stimme“ bezeichnet, was seine Funktion als Übermittler künstlerischer Inhalte metaphorisch unterstreicht.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Gedicht als Hommage an den Schauspieler Josef Kainz gesehen werden kann und den Schmerz des lyrischen Ichs über seinen Verlust ausdrückt. Dabei wird die hohe Bewunderung für Kainz' Talent und Fähigkeiten durch die Verwendung expressiver Sprache und beeindruckender Symbolik deutlich gemacht.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Verse zum Gedächtnis des Schauspielers Josef Kainz“ ist Hugo von Hofmannsthal. Hofmannsthal wurde im Jahr 1874 in Wien geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1910 zurück. Erscheinungsort des Textes ist Leipzig. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Moderne zuordnen. Der Schriftsteller Hofmannsthal ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das 456 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 72 Versen mit insgesamt 7 Strophen. Der Dichter Hugo von Hofmannsthal ist auch der Autor für Gedichte wie „Auf den Tod des Schauspielers Hermann Müller“, „Ballade des äußeren Lebens“ und „Botschaft“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Verse zum Gedächtnis des Schauspielers Josef Kainz“ weitere 40 Gedichte vor.
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