Venus Vita von Richard Dehmel

Und einen Feldweg, und um Morgengrauen,
die kahlen Bäume stehen da wie tot,
ich aber wandre, ohne aufzuschauen.
Ich fühle eine Furcht; und Regen droht.
Ich höre den gedüngten Acker schweigen;
und heute wird kein Morgenrot.
Die Straße teilt sich. In den schwarzen Zweigen
sagt keine Tafel mir die rechte Spur:
soll ich hinunter, soll ich steigen.
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Da däucht mir, in der tiefen Flur
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rief mich mein Name; aus ersticktem Munde.
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Ich horche; Nichts. Im Osten nur
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enttaucht ein Licht dem fernen blassen Grunde.
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Es ist kein Stern, es schimmert warm und traut,
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mir dämmert eine längst vergangne Stunde,
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und wieder hör’ich fern und laut
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die bange Stimme meinen Namen rufen;
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und mir graut.
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Mir scheinen plötzlich diese Ackerhufen
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bekannt; ich bin so wandermatt;
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und dieser Pfad, und diese Wurzelstufen?
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hinab! – Schon wird der Abhang glatt;
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auf Einmal, wie von einem Kinderwagen,
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springt mir ein Rad
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unter den Füßen auf. Ich seh es jagen,
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es springt und rollt den Kiesweg vor mir her,
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seh’s Funken schlagen;
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mein Schreck, mein Zittern wird Begehr,
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ich muß ihm nach, es haben! bis zur Kehle
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hämmert mein Herz, das Rad rennt immer mehr,
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und immer ruft mich klagend jene Seele
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und winkt das Licht,
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das Rad – Ich – jetzt: ich greife, fehle,
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es ist ein Lichtrad! halt! nach, eh’s zerbricht!
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ich fass’es, stürze – wach’ich? meine matten
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Finger umklammern es, – nein – nicht:
37 
in meiner Hand zerrann es wie ein Schatten ...
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.5 KB)

Details zum Gedicht „Venus Vita“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
37
Anzahl Wörter
239
Entstehungsjahr
1893
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Venus Vita“ wurde von Richard Dehmel verfasst, einem deutschen Dichter, der von 1863 bis 1920 lebte. Aufgrund des Geburts- und Sterbedatums des Autors könnte das Gedicht in die Epoche des Naturalismus oder Expressionismus fallen. Es ist definitiv in einer Phase großer gesellschaftlicher Umbrüche und intensiver Künstlerausdrucksweise entstanden.

Beim ersten Lesen des Gedichts wird man von einer starken atmosphärischen Stimmung erfasst. Das lyrische Ich scheint sich in einer düsteren, unsicheren Umgebung zu bewegen, was eine unheimliche und bedrohliche Stimmung hervorruft. Die Form des Gedichts, mit 37 Versen in einer Strophe, sorgt für einen durchgängigen, nahezu atemlosen Fluss der Erzählung, der die angsterfüllte Aufregung und Ungewissheit des Sprechers widerspiegelt.

Inhaltlich berichtet das lyrische Ich von einer Wanderung bei Morgengrauen und einer darauffolgenden, nicht näher definierten beunruhigenden Erfahrung. Es hört seinen Namen gerufen, sieht ein unbestimmtes Licht und fühlt eine Furcht. Dies könnte als eine Art metaphysische Erfahrung interpretiert werden, als Begegnung mit dem Übernatürlichen oder dem Unbewussten. Das wiederholte Auftreten des wegspringenden Rades könnte ein Symbol für die Unberechenbarkeit des Lebens, das ständig in Bewegung ist und sich der Kontrolle entzieht, sein.

Sprachlich fallen die vielen Verben auf, die den Versen eine hohe Dynamik verleihen. Auch die Verwendung umgangssprachlicher Wörter wie „däucht“, „Begehr“ oder „zerbrann“ schafft eine außergewöhnliche, ungewöhnliche Atmosphäre und verleiht dem Gedicht einen intensiven emotionalen Ausdruck. Insgesamt deutet das sprachliche Bild auf ein eher düsteres und emotional aufgewühltes Innenleben des Sprechers hin.

Abschließend lässt sich sagen, dass das Gedicht „Venus Vita“ eine intensive emotionale Atmosphäre erzeugt, die tief in die Seelenlandschaft des lyrischen Ichs hineinführt. Dehmel nutzt eine symbolische, metaphorische Sprache, um komplexe menschliche Erfahrungen und Gefühle darzustellen, die nicht leicht in Worte zu fassen sind.

Weitere Informationen

Richard Dehmel ist der Autor des Gedichtes „Venus Vita“. 1863 wurde Dehmel in Wendisch-Hermsdorf, Mark Brandenburg geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1893 entstanden. Der Erscheinungsort ist München. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Moderne zuordnen. Bei Dehmel handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 37 Versen mit nur einer Strophe und umfasst dabei 239 Worte. Weitere Werke des Dichters Richard Dehmel sind „Bastard“, „Bitte“ und „Büßende Liebe“. Zum Autor des Gedichtes „Venus Vita“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 522 Gedichte vor.

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