Venus Religio von Richard Dehmel

Charfreitagsruhe. Fühlst du’s auch:
dies bange Grün und diesen Hauch,
der drüber träumt?
Und fühlst du’s, wie der Fliederstrauch
von Knospen perlt und überschäumt?
 
Und sehnen deine Brüste sich
dem Auferstehungsmorgen zu,
wie’s Magdalenen innerlich
nicht ließ in Ruh,
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bis sie zum offnen Grabe schlich?
 
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Denn übermorgen graut der Tag
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ins Frühlingsfeld,
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da unterwarf sich Der die Welt,
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den einst dein Volk dafür gequält,
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daß eine Sehnsucht in ihm lag.
 
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Viel Glocken läuten zu mir her;
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so dumpf und sehr! die Luft so schwer!
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wem läuten sie?
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Das waren Deine Glocken nie
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und sind nicht Meine Glocken mehr.
 
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Im Flieder hängt ein altes Laub;
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du willst nun mein sein ganz und gar.
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Noch steht der Hain wie blind und taub;
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ist dir auch klar,
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daß unsre Kindheit Feindschaft war?!
 
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Mir ist, daß meine Seele dich
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gesucht seit ewig ohne Ruh;
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fühlst Du’s wie Ich?
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Und sehnen deine Brüste sich
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dem neuen Ostermorgen zu? –
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25.8 KB)

Details zum Gedicht „Venus Religio“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
30
Anzahl Wörter
157
Entstehungsjahr
1893
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Venus Religio“ stammt von Richard Dehmel, einem deutschen Dichter des Naturalismus und Symbolismus, der von 1863 bis 1920 lebte.

Vom ersten Eindruck her wirkt das Gedicht ruhig und introspektiv, mit einem starken Bezug zur Natur und Religion. Es ist in sechs Strophen unterteilt, die jeweils aus fünf Versen bestehen.

Inhaltlich befasst sich das lyrische Ich mit den Empfindungen der Natur und der eigenen Seele in der Karwoche, die zur Ostern führt. Das Gedicht beginnt mit der Stille des Karfreitags und der Vorahnung der Frühlingsnatur, die auf den Auferstehungsmorgen hinweist. Es folgt eine Expression des inneren Verlangens und der religiösen Sehnsucht, die an die Figur von Maria Magdalena erinnert. In der dritten Strophe wird die Christusfigur ins Gedicht eingeführt, deren Passion und Sehnsucht sich mit der des lyrischen Ichs verwebt. Es schreibt die Glocken der Kirche ab, da es den orthodoxen Glaubensritualen entfremdet ist und die Erfahrung einer tieferen, intuitiven Spiritualität sucht. Das Gedicht schließt mit wiederholten Fragen nach Gemeinsamkeit und Verständnis und endet mit einer vorsichtigen Hoffnung auf eine neue Auferstehung.

Die Ausdrücke des lyrischen Ichs scheinen auf eine tiefe Auseinandersetzung mit der eigenen Spiritualität, der Kirche und dem Verlangen nach individueller Freiheit hinzudeuten. Dabei wird die Natur als Sinnbild für die ersehnte Erneuerung und Veränderung genutzt.

In Bezug auf die Form besteht das Gedicht aus sechs Strophen, die jeweils fünf Verse enthalten. Dessen Struktur ist jedoch unregelmäßig und ohne festes Reimschema, was der Suche des lyrischen Ichs nach neuen Ausdrucksformen entspricht. Auch in der Sprache mischen sich traditionelle religiöse Bilder mit einer natürlichen und intuitiven Symbolik. Dabei erzeugt die Verwendung von Fragen und Dialogen eine dynamische und emotionale Atmosphäre, die den lyrischen Ausdruck intensiviert.

Abschließend kann man sagen, dass „Venus Religio“ eine tiefe innere Auseinandersetzung des lyrischen Ichs mit Religion, Spiritualität und individueller Freiheit darstellt. Im Dialog mit der Natur und der eigenen Seele, findet das Gedicht seinen ganz persönlichen Ausdruck von Ostern.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Venus Religio“ des Autors Richard Dehmel. Geboren wurde Dehmel im Jahr 1863 in Wendisch-Hermsdorf, Mark Brandenburg. Das Gedicht ist im Jahr 1893 entstanden. München ist der Erscheinungsort des Textes. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Moderne kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Der Schriftsteller Dehmel ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das 157 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 30 Versen mit insgesamt 6 Strophen. Der Dichter Richard Dehmel ist auch der Autor für Gedichte wie „Aufblick“, „Ballade vom Volk“ und „Bann“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Venus Religio“ weitere 522 Gedichte vor.

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