Vberschrifft an dem Tempel der Sterbligkeit von Andreas Gryphius

IHr irr’t in dem ihr lebt / die gantz verschränckte Bahn
Läst keinen richtig gehn. Diß / was ihr wüntscht zu finden
Ist Irrthumb: Irrthumb ists / der euch den Sinn kan binden.
Was euer Hertz ansteckt / ist nur ein falscher Wahn.
Schaut arme / was ihr sucht. Warumb so viel gethan?
Vmb diß / was Fleisch vnd Schweiß vnd Blutt / vnd Gutt / vnd Sünden
Vnd Fall / vnd Weh nicht hält; wie plötzlich muß verschwinden
Was diesen / der es hat / setzt in deß Todes Kahn.
Ihr irr’t in dem ihr schlafft / ihr irr’t in dem ihr wachet;
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Ihr irr’t in dem ihr traurt / ihr irr’t in dem ihr lachet.
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In dem ihr diß verhönt / vnd das für köstlich acht.
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In dem ihr Freund als Feind / vnd Feind als Freunde schätzet /
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In dem ihr Lust verwerfft / vnd Weh vor Wollust sätzet /
14 
Biß der gefund’ne Tod euch frey vom irren macht.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.5 KB)

Details zum Gedicht „Vberschrifft an dem Tempel der Sterbligkeit“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
14
Anzahl Wörter
150
Entstehungsjahr
1658
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht „Überschrift an dem Tempel der Sterblichkeit“ wurde von dem deutschen Barockdichter Andreas Gryphius (* 2. Oktober 1616, † 16. Juli 1664) verfasst. Dieser gehört zum literarischen Zeitalter des Barocks (1600 bis 1720), welches von einer starken Kontrastbewegung und dem „Vanitas“-Motiv – der Vergänglichkeit des Lebens – geprägt ist.

Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht sehr ernst und nachdenklich, was vor allem durch die thematische Beschäftigung mit der Sterblichkeit und dem scheinbar sinnlosen Streben des Menschen hervorgerufen wird.

Inhaltlich geht es darum, dass das lyrische Ich die Menschen kritisiert: Sie handeln falsch, indem sie im Leben auf der Suche nach etwas Unbestimmtem sind, was sie in der Welt der Vergänglichkeit jedoch niemals finden können. Dadurch, dass sie Fleisch und Sünde anstreben und den Tod außer Acht lassen, irren sie. Diese Irrtümer wiederholen sich in ihrem Schlaf und ihrer Wachheit, ihrer Trauer und ihrem Lachen. Erst der Tod macht sie ‚frei‘ von diesen Irrtümern – eine düstere Vorstellung von Freiheit.

In Bezug auf die Form und die Sprache des Gedichts ist zu sagen, dass es sich um ein Sonett handelt, welches aus zwei Quartetten (vierzeilige Strophen) und zwei Terzetten (dreizeilige Strophen) besteht. Die Sprache ist dem Barock entsprechend altertümlich und komplex. Mit seinen substanzreichen Versen voller Metaphern und Anspielungen vermittelt es eine tiefgehende Botschaft.

Die Metapher des „Todes Kahn“ in Vers 8 ist dabei besonders eindrucksvoll. Sie versinnbildlicht die Überquerung des menschlichen Lebens zum Tod, ähnlich wie Charon in der griechischen Mythologie die Seelen der Verstorbenen über den Fluss Styx bringt. Dies unterstreicht die Unausweichlichkeit und Endgültigkeit des Todes und die Vergänglichkeit des Lebens.

Das Gedicht kann als eine kritische Reflexion über das Streben des Menschen nach weltlichen und vergänglichen Dingen gesehen werden, während das Unvermeidliche, der Tod, häufig vergessen oder ignoriert wird. Gryphius regt also zu einer intensiven Auseinandersetzung mit den wahren Werten des Lebens und mit der eigenen Sterblichkeit an.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Vberschrifft an dem Tempel der Sterbligkeit“ ist Andreas Gryphius. 1616 wurde Gryphius in Glogau geboren. 1658 ist das Gedicht entstanden. Erschienen ist der Text in Breßlau. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Barock zugeordnet werden. Der Schriftsteller Gryphius ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Als Literatur des Barocks wird in der deutschen Geschichte der Literatur seit etwa 1800 das schriftstellerische Schaffen in Europa im Zeitraum zwischen etwa 1600 und 1720 bezeichnet. Der Begriff „Barock“ stammt aus dem Portugiesischen („barocco“) und bedeutet so viel wie schiefrunde, seltsam geformte Perle. Während des Dreißigjährigen Krieges wurden große Teile des Deutschen Reiches zerstört. Die Bevölkerung, damals durch ein starkes soziales Gefälle zwischen Hof und Provinz geprägt, litt folglich unter den katastrophalen Auswirkungen des Krieges. Viele Menschen starben an den Folgen des Krieges und der Pest. Die Epoche des Barocks wurde davon stark beeinflusst. Insbesondere Pest und Krieg im Barock zeigen auch ein besonderes Merkmal auf: der Gegensatz. Zum einen Armut, Elend und Tod, zum anderen Prunk, Glanz und Macht. So lebte die normale Bevölkerung in bitterer Armut, während Adelige einen protzigen Lebensstil bevorzugten. Die Dichter der Renaissance nutzten noch die lateinische Sprache, die Autoren der Literaturepoche des Barocks begannen, ihre Werke in Deutsch zu veröffentlichen. Da während der Literaturepoche des Barocks die äußere Ästhetik und der Wohlklang eines literarischen Werkes eine wichtige Rolle spielten, war die bevorzugte Literaturform das Gedicht. In den Gedichten wurden häufig Metaphern, Symbole und Hyperbolik (Übertreibung) eingesetzt.

Das 150 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 14 Versen mit nur einer Strophe. Der Dichter Andreas Gryphius ist auch der Autor für Gedichte wie „Abend“, „An Eugenien“ und „An Gott den Heiligen Geist“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Vberschrifft an dem Tempel der Sterbligkeit“ weitere 463 Gedichte vor.

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