Vaterländische Ritornelle von Kurt Tucholsky

Du bunter Blumenstrauß!
Hier, Leser, steck die Nase in die Pflanzen,
beriech sie, und die schönsten such heraus!
 
Blühende Geranien!
Ihr seid so wohlfeil und ein billiger Schmuck
wie Königsthrone in dem Land Albanien.
 
Bescheidenes Veilchen!
Und wenn du denkst, ein neues Wahlrecht kommt –
wir sind in Preußen … warte noch ein Weilchen!
 
10 
Jelängerjelieber!
11 
Ja, über unsern Kanzler und den Gardeflügelmann –
12 
da geht nichts drieber.
 
13 
Ihr Rosen, Tulpen und Narzissen!
14 
Die Hitze ließ uns auf der Wiese rasten …
15 
Dort üben die Soldaten … Horch, wer ruft?
16 
„Einjähriger Rosenbaum, drei Tage Kasten!“
 
17 
Du welkes Blatt!
18 
Wenn du im trocknen Laube raschelst, muß ich denken,
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daß unser Kanzler was geredet hat.
 
20 
Süß duftende Banane!
21 
Der Säugling heult. Die Misses legt ihn trocken.
22 
Als Windel dient die Votes-for-womens-Fahne.
 
23 
Vaterländisches Gartenland!
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Ein fetter Humus, doch was wächst, ist ohne Reiz.
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Fehlt wohl des guten Gärtners leichte Hand?
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Da lohnte sich, es besser zu begießen
27 
(mit Spucke nicht, mit Wasser!) – dann gedeihts.
28 
Und tausendschönre Blumen werden darauf sprießen!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.3 KB)

Details zum Gedicht „Vaterländische Ritornelle“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
28
Anzahl Wörter
161
Entstehungsjahr
1919
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Vaterländische Ritornelle“ wurde von Kurt Tucholsky, einem deutschen Journalisten und Schriftsteller, verfasst. Er wirkte in der Zeit von 1890 bis 1935 und das Gedicht würde somit in die Weimarer Republik und den Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft fallen.

Beim ersten Lesen fällt auf, dass es sich um eine Art Gartenallegorie handelt, in der Blumen und Pflanzen dabei helfen, kritische Kommentare über die Gesellschaft und Politik von damals zu formulieren.

In dem Gedicht beschreibt das lyrische Ich mehrere Blumen und Pflanzen und bringt diese in Bezug mit verschiedenen Aspekten des damaligen Deutschlands. So deutet Tucholsky etwa Kritik an der preußischen Gesellschaft an („wir sind in Preußen … warte noch ein Weilchen“) und zieht Parallelen zwischen dem Militär und der Natur („Dort üben die Soldaten … Horch, wer ruft? / Einjähriger Rosenbaum, drei Tage Kasten!“). Dabei nutzt er die Blumen als Metaphern, um politische Kritik auf humorvolle und subtile Weise zu äußern.

Formal gesehen handelt es sich um ein Gedicht mit strophenweisem Aufbau und variabler Versanzahl. Die Verse sind im Großen und Ganzen recht kurz und in freien Rhythmen gestaltet, was zu einer locker-entspannten Leseatmosphäre beiträgt. Sprachlich nutzt Tucholsky einfache, klar verständliche Worte und Sätze, so dass die Aussage auch für ungeübte Leser*innen leicht verständlich bleibt.

Zusammengefasst handelt es sich bei „Vaterländische Ritornelle“ um ein politisch-satirisches Gedicht, in dem Kurt Tucholsky seine Kritik an der damaligen deutschen Gesellschaft und Politik äußert. Unter dem Deckmantel der Blumen- und Gartenallegorie und dank der lockeren Form und einfachen Sprache wirkt diese Kritik auf den ersten Blick leicht und amüsant, hat jedoch bei genauerem Hinsehen einen ernsten und kritischen Unterton.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Vaterländische Ritornelle“ ist Kurt Tucholsky. 1890 wurde Tucholsky in Berlin geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1919. Charlottenburg ist der Erscheinungsort des Textes. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Tucholsky ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

In der Literatur der Weimarer Republik wurden auf inhaltlicher Ebene häufig die Ereignisse des Ersten Weltkrieges verarbeitet. Sowohl der Erste Weltkrieg als auch die späteren politischen Gegebenheiten der Weimarer Republik sind prägende Faktoren für diese Epoche. Bei der Neuen Sachlichkeit war der Inhalt der Texte wichtiger als die Form. Die Schriftsteller dieser Bewegung wollten mit ihren Texten möglichst viele Menschen aus allen sozialen Schichten ansprechen. Aus diesem Grund wurden die Texte in einer alltäglichen Sprache verfasst und wurden oft im Stile einer dokumentarisch-exakten Reportage geschrieben. Die Freiheit von Wort und Schrift war zwar verfassungsmäßig garantiert, doch bereits 1922 wurde nach der Ermordung eines Politikers das Republikschutzgesetz erlassen, das diese Freiheit wieder einschränkte. Viele Schriftsteller litten unter dieser Zensur. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die teils in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das im Jahr 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz verstärkte die Grenzen der Zensur nochmals. Später als die Pressenotverordnung im Jahr 1931 in Kraft trat, war sogar die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate möglich.

Zur Zeit des Nationalsozialismus mussten viele Schriftsteller ins Ausland fliehen. Dort entstand die sogenannte Exilliteratur. Ausgangspunkt der Exilbewegung ist der Tag der Bücherverbrennung am 30. Mai 1933 im nationalsozialistischen Deutschland. Alle nicht-arischen Werke wurden verboten und symbolträchtig verbrannt. Daraufhin flohen zahlreiche Schriftsteller aus Deutschland. Die deutsche Exilliteratur schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an und bildet damit eine eigene Literaturepoche in der deutschen Literaturgeschichte. Die Exilliteratur lässt sich insbesondere an den typischen Themenschwerpunkten wie Sehnsucht nach der Heimat, Widerstand gegen Nazi-Deutschland oder Aufklärung über den Nationalsozialismus ausmachen. Bestimmte formale Merkmale lassen sich jedoch nicht finden. Die Exilliteratur weist häufig einen Pluralismus der Stile (Realismus und Expressionismus), eine kritische Betrachtung der Wirklichkeit und eine Distanz zwischen Werk und Leser oder Publikum auf. Sie hat häufig die Absicht zur Aufklärung und möchte gesellschaftliche Entwicklungen aufzeigen (wandelnder Mensch, Abhängigkeit von der Gesellschaft).

Das vorliegende Gedicht umfasst 161 Wörter. Es baut sich aus 8 Strophen auf und besteht aus 28 Versen. Kurt Tucholsky ist auch der Autor für Gedichte wie „’s ist Krieg!“, „Abschied von der Junggesellenzeit“ und „Achtundvierzig“. Zum Autor des Gedichtes „Vaterländische Ritornelle“ haben wir auf abi-pur.de weitere 136 Gedichte veröffentlicht.

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