Archaïscher Torso Apollos von Rainer Maria Rilke

Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt,
darin die Augenäpfel reiften. Aber
sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber,
in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt,
 
sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug
der Brust dich blenden, und im leisen Drehen
der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen
zu jener Mitte, die die Zeugung trug.
 
Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz
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unter der Schultern durchsichtigem Sturz
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und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle;
 
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und bräche nicht aus allen seinen Rändern
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aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle,
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die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.2 KB)

Details zum Gedicht „Archaïscher Torso Apollos“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
14
Anzahl Wörter
98
Entstehungsjahr
1918
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Dieses Gedicht stammt von Rainer Maria Rilke, einem bedeutenden Lyriker der Moderne um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Es ist eines der bekanntesten und am häufigsten analysierten Gedichte Rilkes.

Beim ersten Lesen erzeugt das Gedicht einen intensiven und nachdrücklichen Eindruck. Es handelt sich um die poetische Auseinandersetzung mit einem archaischen, also sehr alten, unvollständigen Skulptur eines Apollos.

Rilke spricht direkt das lyrische Ich an und beschreibt die kraftvolle Wirkung, die der fragmentierte Torso auf ihn hat. Er betont zunächst, dass wir das „unerhörte Haupt“ nicht kennen, da es fehlt. Das Wort „unerhört“ impliziert dabei sowohl das Fehlen der physischen Präsenz, als auch die erstaunliche und außergewöhnliche Qualität, die es gehabt haben muss. Der Torso wird als voller Schönheit und Kraft beschrieben, als ob er noch immer glühe, wie ein Kandelaber.

Die anschließenden Strophen setzen die detaillierte und bildhafte Beschreibung des Torsos fort. Trotz seiner Unvollständigkeit strahlt der Torso eine fast überirdische Schönheit aus, die das lyrische Ich dazu auffordert, sein Leben zu ändern. Diese Schlussanweisung ist ein weithin bekannter Satz Rilkes, der oft zitiert und interpretiert wird. Er kann als Aufforderung verstanden werden, sich der Schönheit, der Kraft und der Vitalität zu öffnen, die in der Welt zu finden ist, selbst in scheinbar fragmentierten und unvollständigen Dingen.

In seiner poetischen Form und Sprache ist das Gedicht reich an Metaphern und intensiven Bildern. So beschreibt Rilke den Torso als einen „glühenden Kandelaber“ und dessen Oberfläche flimmert „wie Raubtierfelle“. Diese bildhafte Sprache vermittelt eine sinnliche und fühlbare Wirklichkeit, die erheblich zur emotionalen Wirkung des Gedichts beiträgt. Das Gedicht ist in freien Rhythmen geschrieben und folgt keiner strikten Reimform – ein typisches Merkmal für die poetische Praxis Rilkes. Die Strophen sind unregelmäßig, und es scheint, als ob die Form des Gedichts der Unvollständigkeit des Apollo-Torsos entspricht. Darüber hinaus ist die Wortwahl anspruchsvoll und fein nuanciert, was zur vielschichtigen Wirkung des Gedichts beiträgt.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Archaïscher Torso Apollos“ ist Rainer Maria Rilke. Im Jahr 1875 wurde Rilke in Prag geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1918. In Leipzig ist der Text erschienen. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Moderne zugeordnet werden. Der Schriftsteller Rilke ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 98 Wörter. Es baut sich aus 4 Strophen auf und besteht aus 14 Versen. Rainer Maria Rilke ist auch der Autor für Gedichte wie „Adam“, „Advent“ und „Allerseelen“. Zum Autor des Gedichtes „Archaïscher Torso Apollos“ haben wir auf abi-pur.de weitere 338 Gedichte veröffentlicht.

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