Unter dem Wasserfall von Karl Kraus

Wer vor mir ließ von diesem Wasserfall,
von dieser Sonne sich begnaden!
Wer vor mir stand, das Haupt im All,
stolz an der Ewigkeit Gestaden!
 
Von Gott bin ich hier eingeladen,
so hoch in Gunst wie jedes Tier,
und hier ist niemand außer mir,
hier will ich frei von mir mich baden!
 
Was ich mir selbst schuf, nahm mich selbst nicht auf,
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und Wort und Weib, sie wiesen nach den Schatten
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und alles Leben wurde ein Ermatten,
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zurück in mich lief meiner Welten Lauf.
 
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Nun bin ich zu den Wundern heimgegangen
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und auf der Gotteswelt allein.
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Hier dieser Sonnenstrahl ist mein.
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Wie hat die Schöpfung festlich mich empfangen!
 
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Lust ohne Leiden, Liebe ohne Last,
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Naturdrang ohne Scham und Schranken —
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ich bin an Gottes goldnem Tisch zu Gast
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und hab’ mir nichts mehr zu verdanken!
 
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Weit hinter mir ist alles Weh und Wanken.
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Wie hat der Wasserfall Bestand!
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Wie segnet dieses Sonnenland
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vor meiner Nacht mir die Gedanken!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.8 KB)

Details zum Gedicht „Unter dem Wasserfall“

Autor
Karl Kraus
Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
157
Entstehungsjahr
1920
Epoche
Moderne,
Expressionismus,
Avantgarde / Dadaismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Unter dem Wasserfall“ wurde von dem österreichischen Schriftsteller Karl Kraus verfasst, der von 1874 bis 1936 lebte. Damit fällt dieses Gedicht in die Epoche des Expressionismus – eine Zeit des enormen gesellschaftlichen Wandels, der in der Kunst durch intensive, emotionale Ausdrucksweise und tiefe innere Konflikte thematisiert wurde.

Beim ersten Lesen des Gedichts kann der Leser ein starkes Gefühl von innerer Freiheit und Selbstfindung erahnen. Es scheint als wäre der Sprecher zu einem Ort der Ruhe und Erkenntnisse gewandert, wo er sich von den Ängsten und Sorgen des Lebens freimachen kann.

Der Inhalt des Gedichts kann folgendermaßen zusammengefasst werden: Das lyrische Ich steht vor einem Wasserfall und einer strahlenden Sonne, voll Ehrfurcht vor der Schönheit der Natur. Es fühlt sich von höchster Stelle (Gott) eingeladen und sieht sich in Harmonie mit der Natur und sich selbst. Es betrachtet die Vergangenheit, in der eigene Schöpfungen und Bemühungen es enttäuscht haben und seines Lebens Kraft verloren gegangen ist. Aber nun, hier in der Natur, fühlt es sich wieder lebendig, als Teil der größeren Schöpfung und frei von jeglicher Abhängigkeit von anderen. Es genießt das Gefühl, frei von Leid und Bindungen zu sein, und nutzt die Natur als Quelle der Erneuerung und Klärung eigener Gedanken.

In seiner formalen Gestaltung besteht das Gedicht aus 6 vierzeiligen Strophen, die jeweils einen spezifischen Teil der beschriebenen inneren Reise des lyrischen Ichs darstellen. Die Sprache des Gedichts ist bildhaft und emotional, was typisch für den Expressionismus ist. Der Autor verwendet starke Gegensätze, um das Transformationsgefühl zu betonen, das das lyrische Ich durchmacht – von der Enttäuschung über seine selbstgeschaffene Welt hin zu der Erkenntnis und Akzeptanz der größeren, göttlichen Welt, in der es sich befindet.

Zusammengefasst, „Unter dem Wasserfall“ ist eine poetische Darstellung einer inneren spirituellen Reise, in der das lyrische Ich von seiner Vergangenheit und Enttäuschungen befreit wird, um in der Schönheit und Majestät der Natur wieder Hoffnung und Sinn zu finden.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Unter dem Wasserfall“ des Autors Karl Kraus. 1874 wurde Kraus in Jičín (WP), Böhmen geboren. 1920 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist München. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Moderne, Expressionismus, Avantgarde / Dadaismus oder Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit zugeordnet werden. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das Gedicht besteht aus 24 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 157 Worte. Die Gedichte „Aus jungen Tagen“, „Bange Stunde“ und „Bekenntnis“ sind weitere Werke des Autors Karl Kraus. Zum Autor des Gedichtes „Unter dem Wasserfall“ haben wir auf abi-pur.de weitere 61 Gedichte veröffentlicht.

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