Unser Weihnachtsbaum von Rudolf Lavant

Von tausend Kerzen flammt der Weihnachtsbaum,
Von dem man ewig singen wird und sagen,
Denn in Erfüllung ging der kühnste Traum,
Den voller Hoffnung wir in uns getragen.
In Rußland barst der Turm der Tyrannei,
Die auf die Köpfe trat und auf die Herzen;
Mit einem Zauberschlag ward Rußland frei
Und rang sich froh empor aus Schmach und Schmerzen.
 
In buntem Schimmer blitzt der Weihnachtsbaum,
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Es strahlt aus dem Gezweig in allen Farben;
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Die Freiheit schuf im Zarenreich sich Raum,
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Wieviel der Treusten auch im Kampfe starben.
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Durch alle Gauen hallt der Racheschrei,
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Zu Donnerschlägen ward das dumpfe Grollen;
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Gebrochen ist das Eis der Tyrannei,
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Geborsten treibt es hin in morschen Schollen.
 
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In Rußland steht der Völker Weihnachtsbaum,
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Der der entrechteten, enterbten Klassen!
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Dort hielt man noch mit einer Hand im Zaum
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Die murrenden, die unbequemen Massen.
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Dort trug voll Inbrunst man das Sklavenjoch,
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Es herrschte dort, im kaiserlichen Norden,
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Die gottgewollte, heil’ge Ordnung noch,
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Die längst im Westen schadhaft war geworden.
 
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Wir nennen’s jubelnd unsern Weihnachtsbaum,
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Daß dieser Trost der Herrschenden zerronnen,
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Daß sich erwies als Spinngewebe kaum,
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Was scheinbar man aus Stahl und Erz gesponnen,
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Und daß des Gottesgnadentumes Hort,
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Den man als unerschütterlich gepriesen,
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Als ein Phantom, als leeres, eitles Wort,
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Als lächerlicher Popanz sich erwiesen.
 
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Wir schwörten freudig unterm Weihnachtsbaum,
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Was wir voll kühnen Hoffens oft geschworen,
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Wird doch aus dieser Völkerbrandung Schaum
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Die Freiheit uns, die göttliche, geboren.
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Europa steht, von Schauern tief durchbebt,
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Zum zweitenmal vor einer Weltenwende,
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Denn was in diesen Tagen wir durchlebt,
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Kann nur der Anfang sein vom großen Ende.
 
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Und tröstend sendet dieser Weihnachtsbaum
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Den milden Schimmer seiner tausend Kerzen
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Bis an des fernsten Südmeers blauen Saum
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In der Enterbten kummervolle Herzen.
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Der Hoffnung Adler schwingen sich vom Nest,
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Sobald die ersten Weihnachtsglocken klangen:
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Das Volk der Arbeit hat ein Weihnachtsfest,
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Wie wir es heut begeh’n, noch nie begangen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.6 KB)

Details zum Gedicht „Unser Weihnachtsbaum“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
312
Entstehungsjahr
nach 1860
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht „Unser Weihnachtsbaum“ ist von Rudolf Lavant, einem deutschen Dichter, der von 1844 bis 1915 lebte. Da keine exakte Datierung des Gedichts vorliegt, kann vermutet werden, dass es im späten 19. oder frühen 20. Jahrhundert entstanden ist.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht sehr festlich und positiv, da es um einen Weihnachtsbaum geht und das Licht der Kerzen betont wird. Der Kontext von Weihnachten vermittelt auch eine Atmosphäre von Hoffnung und Veränderung, die den weiteren Inhalt des Gedichts vorbereitet.

Im ersten Teil des Gedichts spricht das lyrische Ich von einem Weihnachtsbaum, der von Tausenden von Kerzen beleuchtet wird. Es wird eine Verbindung zwischen dem Baum und der Hoffnung hergestellt, die die Menschen in sich tragen. Der Baum ist ein Symbol für den Sturz der Tyrannei in Russland und die darauf folgende Freiheit des Volkes. Der zweite Teil des Gedichts beschreibt die Freiheit, die sich durch den Kampf gegen die Tyrannei in Russland Raum geschaffen hat und wie der Weihnachtsbaum durch seine lebendigen Farben diese Freude widerspiegelt.

Die weiteren Strophen des Gedichts befassen sich mit der Überwindung alter, unterdrückender Ordnungen und der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Es wird die Aussicht auf Freiheit betont, die aus dem Kampf und Leiden der Völker entstehen wird. Das lyrische Ich bezeichnet diesen Wechsel als „Weltenwende“ und „großes Ende“ und den Weihnachtsbaum als Symbol dieser Veränderung.

Das Gedicht ist in sechser Reimpaar-Strophen aufgebaut, jede Strophe besteht aus acht Versen. Die Sprache wirkt auf den ersten Blick eher schlicht, ist aber reich an Metaphern und Symbolen. Besonders hervorzuheben ist die wiederkehrende Referenz auf den Weihnachtsbaum, der als leuchtendes, hoffnungsvolles Symbol dient und die Siege und Niederlagen des Volkes widerspiegelt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Dichter durch die Verwendung des Weihnachtsbaums als Symbol, eine positive und hoffnungsvolle Botschaft vermittelt, trotz der Schwierigkeiten und Herausforderungen, die sich im Verlauf der Geschichte ergeben. Die Wiederholung des Baums in jeder Strophe betont nicht nur die Allgegenwärtigkeit der Hoffnung, sondern auch die Kontinuität des Wunsches nach Freiheit und Wandel.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Unser Weihnachtsbaum“ ist Rudolf Lavant. Lavant wurde im Jahr 1844 in Leipzig geboren. Zwischen den Jahren 1860 und 1915 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Berlin. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Realismus, Naturalismus, Moderne, Expressionismus oder Avantgarde / Dadaismus zuordnen. Die Richtigkeit der Epochen sollte vor Verwendung geprüft werden. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da es keine starren zeitlichen Grenzen bei der Epochenbestimmung gibt, können hierbei Fehler entstehen. Das Gedicht besteht aus 48 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 312 Worte. Weitere Werke des Dichters Rudolf Lavant sind „An la belle France.“, „Bekenntnis“ und „Das Jahr“. Zum Autor des Gedichtes „Unser Weihnachtsbaum“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 96 Gedichte vor.

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