Ulrich von Hutten von Karl Henckell

Ein Vöglein zwitschert. Eine Wespe brummt.
Sonst regt kein Laut sich. Alles scheint verstummt.
Verloren tiefe, träumende Mittagsruh –
Im Schatten lagr’ ich lässig. Hier hast du,
Vieledler Held, dein Tagewerk beschieden
Und fandest Frieden, müder Kämpfer, Frieden.
Mit deinem letzten Hauch hast du geweiht
Die Einsamkeit.
 
Das Kirchlein, die Kapelle schaun mich an:
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Hier betete der schwergeprüfte Mann.
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Die Wiesenblumen nicken fernen Gruß:
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Hier ging, hier wandelte sein siecher Fuß.
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Hier glitt, lichtarm, dann trüber, immer trüber,
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Sein Leben noch an seinem Blick vorüber,
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Hier zuckte sein gequältes, müdes Herz
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Im Todesschmerz.
 
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O Hutten, selig unglückseliger Held,
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Schwertlilie auf der Freiheit Blütenfeld!
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Du brachst, an Mut als Knabe schon ein Mann,
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Der Klosterschule starren Geistesbann.
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Von Fulda irrtest du in deutschen Gauen,
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Ein Bild des Elends, jammervoll zu schauen.
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Weh! dich befiel, das Schuld und Unschuld trifft,
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Der Seuche Gift.
 
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Verfemt vom Vater, ohne Heim und Rast,
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Beladen mit des Unglücks Riesenlast,
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Gemeiner Söldner, Bettler, hin und her
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Gejagt, gehetzt fern über Land und Meer,
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Mit Pest und Schiffbruch, Feindeswut geschlagen,
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Und dennoch Sieger! Todgewaltig Wagen
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Riß auf des Lebens Kuppe dich empor
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Aus Nebelmoor.
 
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Da trat das Glück, die schöne Schmeichlerin,
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Mit ihrem Rosenstrauße vor dich hin.
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Der Vater starb, du durftest Erbe sein,
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Die gute Mutter weinte: „Werde mein!“
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Zum Dichter krönt’ in Augsburg dich Konstanze
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Holdlächelnd mit des Ruhmes Lorbeerkranze,
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Die Anmut lockte: „Wilder Pilgrim du,
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Süß ist die Ruh.“
 
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Zurück! Hinweg! Wer war wie du so treu?
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„Ich habs gewagt und trag des noch kein Reu.“
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Die Sache rief, dein Los nahm seinen Lauf:
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„Wach auf, du edle Freiheit, wache auf!“
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Ein Falk warst du, kein girrend schwacher Täuber,
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Stoßfertig auf den römischen Straßenräuber;
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Von eurer Ebernburg Empörersitz
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Schoß Blitz auf Blitz.
 
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O dreimal edles deutsches Freundespaar,
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Gesellt in gleicher Liebe und Gefahr,
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Franz Sickingen und Ulrich Hutten – Geist
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Und kühne Waffenführerschaft verschweißt!
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Wie durftet ihr in trotzigen Entwürfen
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Der freien Tatenfreude Wollust schlürfen!
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Rag vor, Herberge der Gerechtigkeit,
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In diese Zeit!
 
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Kalt niederlächelte der Kaiserthron –
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Da schuft ihr sie, die Revolution.
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Mit Bürger, Bauer wider Fürstenmacht
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Und unfehlbare Pfaffenniedertracht.
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Da schlugt ihr los – und schlugt zu früh. Verderben!
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Auf Landstuhl, Franz, das war ein traurig Sterben.
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Es irrt der Freund umher im Schweizerland,
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Qualübermannt.
 
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Hilflos armseliger Flüchtling – dich verriet
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Der Basler Studienfreund. Ihn preist kein Lied.
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Erasmus, deine feine Bildung war
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Der feinern Bildung des Gemütes bar;
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Riet dir dein Griechisch denn so arge Listen,
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Zu scheun den armen Bruder Humanisten?
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Gelehrter Mann, lieh dir dein Wissen Macht
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Zur Niedertracht?
 
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Ein Zornschrei noch, ein glühender, für das!
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Die Feder tauchtest du in heiligen Haß.
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Zu Zwingli schlepptest du dich todkrank fort,
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Der wies dir deinen letzten Ruheport.
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Hier starbst du, hier umstürzte deine Zeder,
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Man fand kein Buch, Gerät, nur eine Feder –
79 
Schriftsteller Ulrich Hutten, niemals feil,
80 
Heil, Toter, Heil!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30.7 KB)

Details zum Gedicht „Ulrich von Hutten“

Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
80
Anzahl Wörter
465
Entstehungsjahr
1883-1886
Epoche
Realismus,
Naturalismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Ulrich von Hutten“ stammt vom Autor Karl Henckell und wurde in einer Zeit veröffentlicht, die sich durch kulturelle und soziale Unruhen aufgrund der sich abzeichnenden politischen Umwälzungen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts auszeichnete.

Beim ersten Eindruck des Gedichts fällt die detaillierte und bildhafte Beschreibung des Lebensweges von Ulrich von Hutten auf, einem Humanisten und Dichter der deutschen Renaissance.

Inhaltlich widmet sich das Gedicht dem Leben von Ulrich von Hutten. Es beschreibt nicht nur seine persönlichen Erlebnisse und Schicksalsschläge, sondern gibt auch einen Einblick in sein Wirken als Dichter und als Kämpfer für Freiheit und Gerechtigkeit. Es zieht dabei eine Linie von seiner Jugend bis zu seinem Tod, und beleuchtet dabei seine Kämpfe, Siege, Niederlagen und Verrate. Es endet mit einer Ehrerbietung an Hutten und seine unermüdlichen, treuen und couragierten Bemühungen für seine Überzeugungen.

Die Form des Gedichts besteht aus zehn Strophen mit jeweils acht Versen. Der metrische Rhythmus und die Reimstruktur führen zu einer melodischen und fließenden Sprache, was das Gedicht angenehm lesbar macht und den Lesefluss unterstützt.

Die Sprache des Gedichts ist reich an Metaphern und Bildern, die dazu beitragen, Huttens Leben und Wirken auf dramatische und emotionale Weise darzustellen. Beispielsweise wird seine Kämpfertätigkeit metaphorisch als „Schwertlilie auf der Freiheit Blütenfeld“ und seine revolutionären Ansichten als „Stoßfertig auf den römischen Straßenräuber“ beschrieben. Solche eindrucksvollen Bilder tragen dazu bei, die Bedeutung Huttens Werke und Taten zu unterstreichen und verleihen dem Gedicht eine emotionale Tiefe.

Insgesamt beschäftigt sich das Gedicht „Ulrich von Hutten“ von Karl Henckell eingehend mit dem Leben und Wirken des gleichnamigen Dichters und Humanisten. Es setzt ihn in Szene als jemanden, der trotz aller Widrigkeiten unerschütterlich für seine Überzeugungen einstand und dafür sowohl geliebt als auch verfolgt wurde. Die ausdrucksstarke Sprache und die bildhafte Darstellung tragen dazu bei, Huttens Bedeutung in der Geschichte sichtbar zu machen und zu würdigen.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Ulrich von Hutten“ des Autors Karl Henckell. 1864 wurde Henckell in Hannover geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1886 zurück. Erschienen ist der Text in München. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Realismus oder Naturalismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Basis geschehen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben bei Verwendung. Das 465 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 80 Versen mit insgesamt 10 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Karl Henckell sind „Die Dirne“, „Die Engelmacherin“ und „Giordano Bruno“. Zum Autor des Gedichtes „Ulrich von Hutten“ haben wir auf abi-pur.de weitere 21 Gedichte veröffentlicht.

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