Ueber Schönheit von Anton Wilhelm Christian Fink

Auf! und heb’ empor vom Erdenthale,
Meine Ida, heb’ empor den Blick!
Laß den matten Schein vom Schönheitsstrahle
Hier im Land der Dämmerung zurück.
Siehst du nicht im ewig inngen Schimmer
Hoch Uranien über Sternenglanz? –
Wahrer Schönheit frischer Blüthenkranz,
Ida, welkt dem Hauch der Zeiten nimmer.
 
War’s nur dieser Glanz der vollen Rosen,
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Den der May auf deine Wange goß,
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Nur die Brust, auf welcher Götter kosen,
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Nur das Haar, das wallend niederfloß;
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Nur der Wuchs aus Harmonie gewoben
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Und vom Schmuck der Grazien umwallt –
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War’s nur diese holde Lichtgestalt
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Der mein Herz entgegen sich gehoben?
 
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Nein, o Ida! – Nicht des Busens Wallen
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Nicht der Wange Purpur war’s allein!
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Monde wechseln, und die Rosen fallen,
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Winter stürmt – entblättert steht der Hain! –
 
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Unter Blumen schleicht der Krankheit Schlange,
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Blumen sind für keine Ewigkeit!
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Unter Küssen selber pflückt die Zeit
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Manche Blüthe von der vollen Wange!
 
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Doch – es webet oft der Gottheit Milde
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Um die schönen Seelen ein Gewand
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Rein und herrlich, wie nach ihrem Bilde
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Einst die Ersterschaffne vor ihr stand.
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Schwesterlich umarmt der Geist die Hülle,
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Und die schöne Hülle selbst wird Geist!
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So durchströmend, so durchlodernd fleust
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In sie über heil’ger Gottheit Fülle.
 
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In des Auges lebenvollen Blikken
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Schwimmt der Seele holder Engelsinn
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Bald im Stralenmeere voll Entzükken,
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Bald, ein leichtes Abendwölkchen, hin;
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Wallet itzt auf reiner Freude Wellen
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Sorglos, wie auf stiller Flut der Schwan;
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Oder legt den Thränenschleier an,
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Wann der Wehmuth Fluten höher schwellen.
 
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Auf der Wange lichten Frühlingsauen
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Geht die Seel’ im Morgenroth herauf;
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Demuth, holde Schaam und Liebe thauen
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Schwesterlich den reinsten Purpur drauf.
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Auf der Stirne hohem Aetherbogen
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Thront der Geist, wie über seiner Welt;
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Die Gedanken sind am Himmelszelt
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Zahllos, wie die Sterne, aufgezogen.
 
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Aus des Mundes süßen Melodieen
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Tönt die Seele freundlicher hervor,
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Auf der Sprache sanften Harmonieen
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Steigt sie milder zu des Freundes Ohr:
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Spricht im leisen Ach! wie Wehmuthsflöten,
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Wenn die Nachtigall am Waldsee klagt:
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O! und was der blöde Mund nicht wagt,
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Sagt der Liebe Tochter, das Erröthen.
 
57 
Geist und Seele lebt im schönen Bilde,
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Wie im Spiegel eine Lichtgestalt,
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Wahrer Abdruck iener innern Milde,
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Die in schöne Formen überwallt.
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Geist und Seele schwebt aus jeder Regung,
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Wie auf Grazien die Anmuth schwebt;
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Geist und Seele wallt und wirkt und lebt
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In der Glieder leisester Bewegung.
 
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Ida, meine Ida, Jugendblüthe
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Welkt hinweg vom Engelangesicht;
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Aber dieses Herzens ewge Güte
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Schwindet aus dem schönen Auge nicht.
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Anmuth strömt von eines Nestors Munde,
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Und der Seele holden Abglanz bleicht,
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Wenn die Schönheit mit der Jugend weicht,
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Keine Zeit und keine Todesstunde.
 
73 
W. Fink.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30 KB)

Details zum Gedicht „Ueber Schönheit“

Anzahl Strophen
11
Anzahl Verse
73
Anzahl Wörter
427
Entstehungsjahr
1793
Epoche
Klassik

Gedicht-Analyse

Das vorgelegte Gedicht „Ueber Schönheit“ wurde vom Dichter Anton Wilhelm Christian Fink verfasst, der in der Zeit der Aufklärung lebte und im Jahr 1794 starb. Eine erste flüchtige Betrachtung weckt den Eindruck einer tiefgründigen Betrachtung der Schönheit, welche sich nicht nur auf das Äußere, sondern auch auf innere Werte bezieht.

Der Inhalt dreht sich um das lyrische Ich, das zu seiner Geliebten Ida über die wahre Natur der Schönheit spricht. Es erachtet diese nicht nur als ästhetische Qualität, sondern vor allem als eine innere Eigenschaft, die weder der Zeit noch dem Tod unterliegt. In den ersten beiden Strophen wird die äußere Schönheit in Form von Rosen (Wangen) und dem Glanz der Sterne (Augen) beschrieben, um dann aber schnell zu der Erkenntnis zu kommen, dass die körperliche Schönheit vergänglich ist (Strophe 3 und 4). In den weiteren Strophen wird die Schönheit dann als innere Eigenschaft, als Teil der Seele, hervorgehoben. Ida wird aufgefordert, diese innere Schönheit zu erkennen und ihre äußere Schönheit nicht überzubewerten.

Das Gedicht ist hauptsächlich in Paarreimen verfasst, mit jeweils vier Hebungen pro Vers. Es besteht aus elf Strophen unterschiedlicher Länge, was ein ungewöhnliches Format ist. Die Sprache ist blumig und die Metaphern sind reichhaltig, wie es für die time-typische romantische Poesie üblich ist. Im Fokus stehen Bilder aus der Natur, wie Rosen, Sterne und die Frühlingswiese, die eine metaphysische Dimension suggerieren.

Fazit: Das Gedicht „Ueber Schönheit“ von Anton Wilhelm Christian Fink ist ein Appell an das lyrische Ich, die körperliche Schönheit zu schätzen, aber sie nicht über die innere Schönheit zu stellen. Es ist ein Loblied auf die Seelenqualitäten, die ewig und unvergänglich sind. Die Form und die Sprache des Gedichts sind hochstilisiert und metaphorisch reich, was den Leser einlädt, tiefer in die Bedeutung jedes Verses einzutauchen.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Ueber Schönheit“ stammt aus der Feder von Anton Wilhelm Christian Fink. 1770 wurde Fink in Halle (Saale) geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1793. Erscheinungsort des Textes ist Leipzig. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Klassik zugeordnet werden. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das 427 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 73 Versen mit insgesamt 11 Strophen. Weitere Werke des Dichters Anton Wilhelm Christian Fink sind „Als ich sie Abends nach Hause geführt hatte“ und „An ** wegen eines Vorwurfs über Liebe“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Ueber Schönheit“ keine weiteren Gedichte vor.

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