Absage von Karl Kraus

Wo die Maschine mit dem Menschen rauft,
wo Blutverlust bedeutet Geld-Erraffen,
wo Hunger herrscht und Reichtum Nahrung kauft —
mit solcher Menschheit hab’ ich nichts zu schaffen!
 
Wo Männer ächten, was sie selbst begehrt,
und wo die Sinne zu der Sünde finden,
wo Liebe Schmach bringt und Natur entehrt —
mit solcher Mannheit kann mich nichts verbinden!
 
Wo Freigeborne jedem Schall und Schein
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gehorchen, ewiger Menschenfurcht verschworen,
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um als Tyrannen Sklaven noch zu sein,
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in solchen Reichen hab’ ich nichts verloren.
 
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Wo Druck in jeder Form die Geister lähmt
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und wo die Phrase sich von selbst entzündet,
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wo Technik sich dem Tode anbequemt,
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in solcher Welt ist nicht mein Glück begründet.
 
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Wo fauler Zauber allen Lebens Zweck
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dem schnöden Mittel heimlich längst vermietet,
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wie sehn’ ich mich aus dieser Wohnung weg,
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in der ein Besen mir die Stirne bietet!
 
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Wo Willkür, Wucher, Krankheit, Haß und Schmutz
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als die Verbündeten des Schlachtruhms schalten,
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da will ich kühn dem Vaterland zum Trutz
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mich für den allergrößten Feigling halten!
 
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Wo Wissenschaft den Heldentod erfand,
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in Gift und Gas die Glorie sich erneuert,
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da hat sich mir das teure Vaterland,
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denn Krieg ist Krieg, bedeutend noch verteuert.
 
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Wo statt der Glocken die Kanonen nun
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die frommen Christen zum Gebete rufen,
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mit solchen hat der Teufel nichts zu tun,
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da sie auf Erden schon die Hölle schufen.
 
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Wo Ehre fällt und Schande aufwärts steigt
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und heute gilt, wer gestern erst gestohlen —
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gern hätt’ ich Jenem doch den Weg gezeigt,
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daß er mir könnte diese Ordnung holen!
 
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Wo sie vor jedem Sonnenuntergang
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durch Wort und Tat ihr Seelenheil verfluchen —
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mein Leben und mein weiteres Leben lang
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hab’ ich bei dem Gelichter nichts zu suchen!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.9 KB)

Details zum Gedicht „Absage“

Autor
Karl Kraus
Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
276
Entstehungsjahr
1920
Epoche
Moderne,
Expressionismus,
Avantgarde / Dadaismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Absage“ von Karl Kraus kritisiert verschiedene Aspekte der Gesellschaft und Menschlichkeit, wie zum Beispiel die Gier nach Geld, Sünde und Verbrechen, Tyrannei und Sklaverei, geistige Lähmung, Wissenschaft und Krieg, sowie falsche Moral und Schande. Der Autor distanziert sich von den Menschen und Institutionen, die solche negativen Eigenschaften verkörpern und erklärt, dass er nichts mit ihnen zu tun haben möchte.

Die Aussage des Gedichts ist, dass der Autor enttäuscht und frustriert von der Gesellschaft ist, in der er lebt, und sich von deren Missständen und negativen Aspekten distanzieren möchte. Er sehnt sich nach einer besseren Welt, in der die von ihm kritisierten moralischen Verfehlungen nicht existieren.

In der Interpretation zeigt das Gedicht, wie der Autor sich gegen die Unmoral und Inhumanität in seiner Gesellschaft auflehnt. Dadurch fordert er auch seine Leser auf, sich der Kritik an diesen Missständen anzuschließen und sich von ihnen abzuwenden.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Absage“ des Autors Karl Kraus. Kraus wurde im Jahr 1874 in Jičín (WP), Böhmen geboren. 1920 ist das Gedicht entstanden. Erscheinungsort des Textes ist München. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Moderne, Expressionismus, Avantgarde / Dadaismus oder Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit zuordnen. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das 276 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 40 Versen mit insgesamt 10 Strophen. Weitere Werke des Dichters Karl Kraus sind „Auferstehung“, „Aus jungen Tagen“ und „Bange Stunde“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Absage“ weitere 61 Gedichte vor.

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